Polnische Ostern

Henry Hübchen, Jakob Ziemnicki. Deutscher Kleingeist auf Erweckungstrip in Polen

Foto: ZDF / Georges Pauly
Foto Rainer Tittelbach

Ein deutscher Bäckermeister und erklärter Atheist feiert „Polnische Ostern“. Er hat all seine Liebsten verloren – jetzt will er wenigstens seine Enkelin aus dem Land der Autoknacker zurückholen. Doch gegen Familiensinn und Katholizismus macht der sture Alte keine Schnitte. Jakob Ziemnicki schlägt in seinem Debüt einen warmherzigen Grundton an, verzichtet auf bissige Kultur-Satire, nicht aber auf gelegentliche Witze, die sich nationaler Stereotypen bedienen. „Polnische Ostern“ ist eine melancholische, verhalten erzählte Komödie, die mit dem bestens aufgelegten Henry Hübchen als typisch deutscher Kleinbürger steht und fällt.

Bäckermeister Werner Grabosch ist ein vereinsamter Kleinbürger, dem nichts geblieben ist als sein Rendsburger Einfamilienhaus mit Blick auf den Nord-Ostsee-Kanal. Dort sitzt er und leckt seine Wunden: die Frau tot, die Tochter vor kurzem verunglückt und jetzt soll ihm auch noch sein einziger Sonnenschein, Enkelin Mathilda, genommen werden. Ihr Vater Tadeusz, ein Pole, dem das Sorgerecht zugesprochen wurde, nimmt die Kleine mit in sein Heimatland. Doch Grabosch hat einen Plan: angetrieben von seinen Vorurteilen gegenüber dem Land der Autoknacker und bewaffnet mit Videokamera macht er sich auf nach Czestochowa – in der Hoffnung, genügend belastendes Material zu sammeln, damit der verhasste Schwiegersohn das Sorgerecht wieder verliert. Die Zustände in der Familie von Tadeusz übertreffen anfangs alle Befürchtungen: beengte Wohnverhältnisse, dubiose Geschäfte, psychische Probleme – und dann dieser krankhafte Katholizismus! Doch nach und nach gewinnt der sture Deutsche diese Familie lieb – vor allem Tadeusz’ attraktiv lässige Mutter. Gerade will Grabosch beim traditionellen Osterfrühstück beichten, da steht der polnische Sozialdienst vor der Tür.

Polnische OsternFoto: ZDF / Georges Pauly
Graboschs Verbissenheit weicht mit dem Charme der Gastgeberin. „Man kann das Leben nicht kontrollieren. Es passiert einfach.“ Henry Hübchen & Grazyna Szapolowska

„Polnische Ostern“ ist nach „Hochzeitspolka“ ein weiterer Versuch, die deutsch-polnischen Mentalitäten und die dazu gehörigen Ressentiments zum Ausgangspunkt für eine Culture-Clash-Komödie zu machen. Der gebürtige Pole Jakob Ziemnicki schlägt in seinem Debütfilm einen warmherzigen Grundton an, verzichtet auf bissige Kultur-Satire, nicht aber auf den einen oder anderen Witz, der sich nationaler Stereotypen bedient. Da lästert die Herrin der übervölkerten Plattenbauwohnung: „Erbarmen, die Invasion der Deutschen geht weiter.“ Ein anderer jammert: „Was ist das für eine Welt! Jetzt kommen sogar die Deutschen zu spät.“ Umgekehrt gibt es vor allem augenzwinkernde Seitenhiebe gegen die religiösen Rituale der Polen. Bußgeld oder Beten für zu langsames Autofahren, Wodka, Folklore und ein Famili-ensinn mit Hang zu liebevollen Verstrickungen – langsam findet der Atheist Gefallen an alldem.

Doch die nationalen Gegensätzlichkeiten sind nur das Unterfutter für diese melancholische, verhalten erzählte Komödie, die mit Henry Hübchen als typisch deutschem Kleingeist auf Läuterungs- und Erweckungstrip steht und fällt. Er, der Biedermann, grimmig, unsicher, aber nicht ohne Herz, nimmt den Zuschauer an die Hand. Jener ungläubige Grabosch muss am Ende erkennen, dass die polnische Religiosität doch zu etwas gut sein kann: seine Enkelin und auch er lernen so, besser den Verlust der Mutter bzw. der Tochter zu verarbeiten. Aus dieser stillen Erkenntnis ergeben sich die stimmigsten Momente des Films. „Polnische Ostern“ hat dramaturgische Schwächen, auch optisch kommt die kleine Kino-Koproduktion nicht über Fernseh-Niveau hinaus und der Film ist auch als Komödie nicht der Brüller. Aber das macht nichts, solange man bereit ist, sich dem emotionalen Kern der Geschichte zu öffnen. „So entpuppt sich der Trip in den wilden Osten statt als krachlederne Multikulti-Komödie als feinfühlige Schilderung von Trauer und Trost“, schrieb treffend der Focus zum Kino-Start.

 

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Kinofilm

ZDF

Mit Henry Hübchen, Grazyna Szapolowska, Paraschiva Dragus, Adrian Topol, Barbara Wysocka, Violetta Bronner, Doris Kunstmann

Kamera: Benjamin Dernbrecher

Schnitt: Dirk Grau

Musik: Dirk Dresselhaus

Produktionsfirma: Polyphon

Drehbuch: Katrin Milhahn, Jakob Ziemnicki

Regie: Jakob Ziemnicki

EA: 29.06.2012 23:30 Uhr | ZDF

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