Die deutsche Geschäftsführerin eines polnischen Gerüstbauunternehmens liegt tot und akkurat verschnürt auf einem Lkw auf dem Firmengelände. Zwanzig bis dreißig Mal ist auf sie eingeschlagen worden. Für die einen war sie eine Top-Chefin, die sich auch für den deutsch-polnischen Amateurfußballverein engagierte, für die anderen eine eiskalte Geschäftsfrau, die nicht genug kriegen konnte. Für Vincent Ross (André Kaczmarczyk) und Alexandra Luschke (Gisa Flake) ist es kein Routinefall. Eine ermordete deutsche Staatsbürgerin auf polnischem Boden ist eine heikle Situation. Dass diese Frau einen 13-jährigen Sohn hinterlässt – und dieser Marco (Len Blankenberg) keine weiteren Familienangehörigen hat, fordert das Ermittlerduo besonders emotional. Aber auch sonst ist feinfühliges Sondieren der Beziehungen gefragt: In der Firma gibt es zwei Kollegen (Adrian Topol, Albert Tallski), die sich nicht ausstehen können; und im Fußballverein kriselt es, nicht nur, weil Ex-Trainer Pawel (Ivan Shvedoff) und sein Nachfolger Hannes (Hanno Koffler) miteinander auf Kriegsfuß stehen. Auch die Stimmung bei den Nachwuchskickern Robert (Lauri Kröck) und Kevin (Franz Ferdinand Krause) ist angespannt. Das liegt nicht nur am Tod der Mutter ihres Freundes, sondern an einem wichtigen Turnier, von dem sie sich einen Karrieresprung erhoffen.
Foto: rbb / Oliver Feist
Der „Polizeiruf 110 – Spiel gegen den Ball“ ist nur auf den ersten Blick ein handelsüblicher Whodunit. Dass man nicht den Eindruck bekommt, es werde ein Verdächtiger nach dem anderen durchs deutsch-polnische Grenzgebiet gejagt, ist – neben den Autoren – Ross‘ & Luschkes sympathischer Art des Ermittelns zu verdanken. Im Gegensatz zu anderen TV-Kommissaren halten sie sich angenehm zurück mit ihren Vorurteilen und Wertvorstellungen. Sie befragen entsprechend unaufgeregt, Fingerspitzengefühl beweisen sie besonders in den Gesprächen mit den Jugendlichen. Wie Luschke dem verschlossenen Sohn der Ermordeten die schreckliche Nachricht überbringt, nachdem sich Ross dazu nicht in der Lage sah, das zeugt von großer Empathie. Auch zueinander haben Kommissar und Kommissarin einen guten Draht; ihr gemeinsamer Umgangston ist alltagsnah und dem Fall angemessen ernsthaft. Und selbst wenn sie ihre Ermittlungsergebnisse resümieren, hat man nie den Eindruck, dass dies eine dieser redundanten Krimi-Momente für den weniger aufmerksamen Zuschauer ist. „Vor der Tat ist alles irgendwie durchdacht und danach chaotisch und improvisiert“, lassen die Autoren Ross klug & knapp darlegen. Solche Resumees gehören zu jedem Krimi. Der feine Unterschied hier: Es wird wenig allzu Offensichtliches wiederholt, stattdessen entwickeln die beiden quasi beim Reden ihre Thesen zu möglichen Tatszenarien und Mordmotiven. André Kaczmarczyk und Gisa Flake machen das schön beiläufig, frisch die Sprache, bar jeder Routine.
Foto: rbb / Oliver Feist
Aber auch der Fall kommt auf leisen Sohlen – und entwickelt sich im Schlussdrittel zu einem intensiven Krimi-Drama. Selbst wenn Kenner (die Zahl der Krimi-Plots und der dazugehörigen Psychologie ist nun mal endlich) die finale Tätervariante möglicherweise früh durchschauen werden, so bleibt die besondere Art und Weise, wie das Ganze erzählt wird: dramaturgisch und menschlich unangestrengt, inszenatorisch und kameratechnisch kunstvoll kunstlos. Mehr denn je spiegelt sich der Realismus-Anspruch des rbb-Reihen-Ablegers in „Spiel gegen den Ball“. Der oft missbrauchte Begriff „Authentizität“, bei diesem „Polizeiruf“ trifft er ins Schwarze. Das fängt an bei der Besetzung mit zahlreichen, stimmig gecasteten polnischen Darstellern und dem realistischen Umgang mit Sprache, inklusive gelegentlicher Untertitel, und setzt sich fort beim Spiel und den Dialogen, die vor allem eines wollen: den Situationen entsprechen. Aber auch die Kamera findet stets das passende Verhältnis zwischen Nähe und Distanz. Mit der Handkamera geht es nah an die Charaktere, wenn sie sich in Aktion befinden. Auch vor bewegenden Großaufnahmen schrecken Regisseur Christian Werner und Kamerafrau Eva Katharina Bühler nicht zurück. Besonders eindrucksvoll geraten außerdem die Landschaftstotalen, wunderschöne Tableaux mit Fluss und einem Hauch Caspar David Friedrich. Ebenso sehen lassen können sich die atmosphärischen Schlussbilder oder die Montage der Täterüberführung, bei der Erinnerungen und Verhaftung schemenhaft verschwimmen.
Wem ermittlungstechnisch und visuell so viel Schönes widerfährt und wer einen dichten, konzentriert und gut gemachten Film einem spektakulären Krimi vorzieht, der könnte bei „Spiel gegen den Ball“ glatt den Mord-Plot aus den Augen verlieren. Könnte. Nach einer Filmstunde jedenfalls haben Ross und Luschke diesen sozialen und ökonomischen Mikrokosmos mit seinen möglichen Verdächtigen hinreichend eruiert, um nun aus einem ebenso sensibel wie stimmungsvoll erzählten Whodunit das besagte nachdenkliche Krimi-Drama zu machen. Eines, das einfühlsame Zuschauer nicht so einfach abhaken werden. Und auch in diesen finalen Szenen erweisen sich die beiden des Kommissariats in Swiecko als Meister im zwischenmenschlichen Fach. Für sie gilt – ähnlich wie für die anderen Ost-„Polizeiruf“-Kollegen Brasch (Claudia Michelsen), König & Böwe (Anneke Kim Sarnau & Lina Beckmann) und ganz besonders für Koitzsch & Lehmann (Peter Kurth & Peter Schneider): Bei allem Einsatz für Recht und Ordnung bleiben sie auch immer Mensch.
Foto: rbb / Oliver Feist