„Dein Vater hat immer gehofft, dass du auf die richtige Seite wechselst“, sagt Clubbesitzer Tito zu Bukow (Charly Hübner). Doch der denkt nicht dran, will lieber aufräumen in seinem Leben und unter die kriminelle Vergangenheit des Vaters einen dicken Strich ziehen. Papas Tresor wird leer gemacht, doch weder Gold noch Grundbuchdokumente interessieren ihn und seine neue Liebe. Mit Katrin König (Anneke Kim Sarnau) könnte er sich vorstellen, neu anzufangen, das Milieu, in dem er groß geworden ist, hinter sich zu lassen. Doch dann kommt alles ganz anders. Tito, der Kronprinz von Bukow Senior, wird ermordet. Unter dringendem Tatverdacht steht ein eifersüchtiger Rock & Roller, der schon bessere Zeiten gesehen hat. Während sich König jenem Jo Mennecke (Bela B Felsenheimer) und seiner Frau Dora (Sithembile Menck) widmet und dabei ein paar Tipps in Sachen Liebe, Arbeit und Nähe einholt, schlittert Bukow in einen Alptraum. Subocek (Aleksandar Jovanovic), ein übler Schwerverbrecher, der einst die Familie des Kommissars terrorisiert hat, ist nach elf Jahren Knast wieder draußen. Bukow hatte damals, um seinen Sohn zu retten, Beweismittel gegen Subocek vernichtet. An einer weiteren „Zusammenarbeit“ ist er selbstverständlich nicht interessiert. Doch ihm bleibt keine andere Wahl. Subocek weiß von Königs Beweisfälschung, die zur Verurteilung von Frauenmörder Wachs führte; er hat sogar einen Handymitschnitt davon. Bukow belügt König. Was kann er tun, um nicht auf ewig erpressbar zu sein?
So fulminant wie der „Polizeiruf 110“ aus Rostock 2010 begann und innerhalb eines Jahres mit seinen ersten vier Episoden einen ungewohnt rauen, ruppigen & sehr physischen Erzähl- und Umgangsstil im ARD-Sonntagskrimi etablierte, so hat nun Eoin Moore, der die Reihe entscheidend geprägt hat, diesem ziemlich anderen TV-Kommissar einen ebenso fulminanten Abgang bereitet. Ausnahmsweise wurden den Journalisten vorab nur 73 der 88 Filmminuten präsentiert. Bis dahin steht „Keiner von uns“, dessen Filmtitel anspielt auf die Eingangs-Episode „Einer von uns“, in der guten Tradition der Reihe, die das stets Genrehafte – in den Geschichten wie in der formalen Gestaltung – mit einer guten Portion schmutzigem Realismus kurzschließt. „Die Art des Abschieds sollte etwas mit Bukow zu tun haben, sie sollte sich aus der inneren Logik der Figur ergeben“, betont Moore im Presseheft. Das gilt für den Charakter, aber auch für das, was Bukow ganz konkret in den Jahren als Bulle mit Straßenköter-Image passiert ist. Sein Abgang korrespondiert sehr direkt mit der dritten Episode „Feindbild“ und mit jenem Subocek, der als eine Art Racheengel zurückkehrt. Er ist aber auch der, der Bukow die zwei Seelen in einer Brust noch einmal deutlich vor Augen führt. „Weil du im Grunde deines Herzens ein Verbrecher bist“, flüstert er ihm zu. Vermutlich wird der sich diese Worte zu Herzen nehmen müssen, um irgendwie rauszukommen aus dem Dilemma.
Der Presse-Preview-Cut fällt in einen aufregenden Schusswechsel, der in eine klassische Western-Situation eingebunden ist. Nicht erst jetzt vermittelt sich der Eindruck, dass das kein gutes Ende nehmen wird. Der Anfang vom Ende beginnt mit jener spannend ausgespielten Szene, in der Bukow von seinem ärgsten Widersacher und dessen Schergen in seinem Pickup überwältigt wird. Bei diesen Bildern versteht man, weshalb die Macher sich in ihren Statements zum Film in christlichen Metaphern ergehen. Blutverschmiert, die Hände gefesselt am Lenkrad, der Hals an der Kopfstütze mit Klebeband fixiert. Bukow, der gefallene Engel muss leiden. Eine zweite entscheidende Szene, deren Höhepunkt ein Kniefall Katrin Königs vor Bukow ist, zielt in die entgegengesetzte Richtung. Die Kollegin liebt diesen Mann, dem sie trotzdem nie zu hundert Prozent vertrauen konnte. Sie macht es zu ihrem Problem, zu einem Muster ihrer Psyche, das sie zu überwinden versucht. Der Zuschauer weiß, dass Königs Zweifel berechtigt sind und sie es über die Jahre auch immer waren, aber er weiß auch, dass Bukow es diesmal von Herzen gut meint mit seiner geliebten Kollegin. Und weil Krimi-Deutschland weiß, dass Charly Hübner aus dem „Polizeiruf“ aussteigt, ist es naheliegend, dass das Vertrauen und die Liebe Bukow nicht retten werden. Vielleicht aber wird er Katrin König vor größerem Unheil bewahren können. Es geht um den Job, ums Überleben, nach Königs Kniefall kann sich das Paar den Luxus ihrer Liebe nicht mehr länger leisten. „Einfach einen kleinen Moment hier so bleiben“: zwanzig Sekunden Nähe, nachdem Bukow sie in den Subocek-Schlamassel eingeweiht hat, ihr trauriger Kopf auf seiner breiten Brust.
„Keiner von uns“ scheint den jahrelangen Weg Bukows zu einem konsequenten Ende zu bringen. Der Ausstieg Hübners bietet diesem „Polizeiruf 110“ Möglichkeiten, die eine normale Episode nicht besitzt. Eoin Moore und seine Ko-Autorin Anika Wangard müssen sich nicht an die Gesetze eines klassischen Reihenkrimis halten. Die unumstößlichen Sicherheiten der seriellen Heldenerzählung fallen; und so ergibt sich für die Macher eine Ausnahme-Situation, die sie – das wird in den ersten 73 Minuten deutlich – hinlänglich nutzen. Das Ergebnis ist ein extrem rüder Polizeifilm, der die fließenden Grenzen zwischen Bullen und Gangstern knallhart auslotet. Im Mittelpunkt Menschen, die alles oder nichts mehr zu verlieren haben. In einer lang ausgespielten Sequenz in und um ein Bordell sind (fast) alle Parteien an Bord. Jetzt sitzt Subocek in der Klemme. Denn da gibt es noch einen, genannt der „Falke“, der im Kiez regieren möchte. Und mittendrin auch Bukow – und Pöschel (Andreas Guenther) als Beobachter aus der Ferne, der sogleich dem Chef (Uwe Preuss) berichtet („Subocek, was macht der da mit Sascha, im Bademantel?“). Bei Subocek, obwohl er bestens organisiert ist, ja, er sogar aus dem Knast erfolgreich operiert hat, stellt sich die Frage, ob er tatsächlich der Pate von Rostock werden will oder ob es ihm doch mehr um ein perfides Katz-und-Mausspiel mit seinem Erzfeind geht… Diese Stimmungen, die langen Gesichter und schweren Blicke brauchen Schmuddelwetter. Und so ist mal wieder Herbst in Rostock. Wenig Himmel, keine Sonne, alles Grau in Grau. Die richtige Tonlage für das Finale dieses packenden Finales.