Polizeiruf 110 – Die Gazelle

Kurt Böwe, Katrin Saß, Uwe Steimle, Aglaia Szyszkowitz. Die schöne Beischlafdiebin

Foto: NDR
Foto Tilmann P. Gangloff

Bei der Erstausstrahlung 1996 war die Resonanz auf diesen „Polizeiruf 110“ eher verhalten, was aus heutiger Sicht überrascht: „Die Gazelle“ ist schon allein wegen der hinreißenden Hauptdarstellerin sehenswert; die Titelfigur war die erste Hauptrolle für die junge Aglaia Szyszkowitz. Sie spielt eine Beischlafdiebin, die in einem Luxushotel an der Ostsee die Kreditkarten einsamer Reisenden kopiert und eines Tages zwei schwere Fehler begeht: Erst verliebt sie sich in eines ihrer Opfer, dann legt sie sich mit dessen Vater an. Spannung im Stil des klassischen Sonntagskrimis hat der Film von Bodo Fürneisen nur bedingt zu bieten, aber dafür viele schöne komische Einfälle – und eine Hauptfigur zum Verlieben.

Angesichts von weit über 500 deutschen Kino- und Fernsehfilmen pro Jahr sowie einer kaum noch überschaubaren Vielzahl von Serien reicht eine Produktion schon lange nicht mehr, um als Schauspieler den sogenannten Durchbruch zu schaffen. Vor gut zwanzig Jahren war das noch ein bisschen anders. Wer damals die „Polizeiruf“-Episode „Die Gazelle“ gesehen hat, müsste eigentlich geahnt haben: Aus dieser jungen Frau wird mal was. Die Rede ist von Aglaia Szyszkowitz. Hundert Rollen später gehört die Österreicherin nicht zuletzt dank der ZDF-Krimireihe „Einsatz in Hamburg“ sowie vielen Fernseh- und Kinokomödien zu den beliebtesten deutschsprachigen Schauspielerinnen. 1996 aber war Szyszkowitz praktisch unbekannt. Es war also durchaus mutig vom NDR, ihr die Titelfigur anzuvertrauen, schließlich beschränkte sich die Kameraerfahrung der damals 27jährigen Grazerin auf eine kleine Rolle in der täglichen ZDF-Serie „Jede Menge Leben“. Das Vertrauen der Verantwortlichen hat sich ausgezahlt: Szyszkowitz ist in diesem Film auch heute noch hinreißend. Ein Jahr nach der Ausstrahlung des Krimis (1996) folgte der TV-Thriller „Buddies – Leben auf der Überholspur“; mit der Kinokomödie „2 Männer, 2 Frauen – 4 Probleme!?“ (1998) wurde sie endgültig zum Star.

Beim Publikum kam „Die Gazelle“ damals allerdings nicht so gut an, was sich in der Rückschau nur mit enttäuschten Erwartungen erklären lässt. Die Filme mit Kurt Böwe und Uwe Steimle als „Polizeiruf“-Duo des NDR erfreuten sich vor allem in Ostdeutschland großer Beliebtheit und wurden liebevoll „Ostern“ genannt (mit kurzem O), weil Böwe gern mit wehendem Mantel über die Mecklenburger Hügel stapfte. Davon kann hier keine Rede sein, und das nicht allein, weil sich die Handlung im Seebad Warnemünde zuträgt. Dabei ermitteln Groth und Hinrichs sogar erstmals gemeinsam mit ihrer Potsdamer „Polizeiruf“-Kollegin Tanja Voigt (Katrin Saß), weil alle drei in einem luxuriösen Hotel an einem Seminar für Kriminalisten teilnehmen. Trotzdem spielt das Trio über weite Strecken nur eine Nebenrolle, denn im Zentrum steht die Titelfigur: Die schön Dinje, von Groth schwärmerisch „die Gazelle“ genannt, als er sie beim eleganten Strandlauf beobachtet, ist eine Beischlafdiebin, die einsame Reisende um den Finger wickelt. Modernste Technik hilft ihr dabei, die Männer auszunehmen, ohne dass sie es bemerken: Nach vollzogenem Akt kopiert sie die Kreditkarten. Aber nun gerät sie in vielerlei Hinsicht an den Falschen: Der nicht minder attraktive Südafrikaner Louis Krüger (Gedeon Burkhard, dank „Kleine Haie“ und „Abgeschminkt“ 1996 bereits etabliert) weilt mit seinem strengen Vater (Walter Kreye) in dem Hotel und verfällt Dinje umgehend; aber auch für sie sind die Rendezvous mit dem schmucken jungen Mann mehr als bloß ein Job. Als ihr Komplize Becker (Dirk Martens) Louis’ Hotelzimmer durchsucht, wird er vom alten Krüger überrascht, kann ihn aber überwältigen und entdeckt einen Beutel mit Diamanten. Am nächsten Morgen findet Kommissar Hinrichs Beckers Leiche im Meer; ein Unfall, mutmaßt die örtliche Polizei, zumal die Obduktion ergibt, dass der Mann stark alkoholisiert war. Tanja Voigt weiß allerdings zufällig, dass der Mann gar keinen Alkohol getrunken hat. Das Trio will der Sache auf den Grund gehen. Dinje wiederum hat in Beckers Sachen einen Diamanten gefunden, ahnt, dass da noch mehr zu holen ist, und will die Krügers erpressen.

Polizeiruf 110 – Die GazelleFoto: NDR
„Polizeiruf“-Zusammenarbeit von NDR und RBB: Die Kommissare Hinrichs (Uwe Steimle), Groth (Kurt Böwe) und Tanja (Katrin Sass) kommen dahinter, dass das „Weinseminar“ vermutlich so eine Art Börse für geschmuggelte Diamanten ist.

Die Krimispannung mag sich in Grenzen halten, zumal sich das Drehbuch von Michael Illner und Jürgen Pomorin, der später bevorzugt unter dem Pseudonym Leo P. Ard schrieb, zunächst auf die Liebesgeschichte konzentriert und die Männer hinter der Kamera – Regie: Bodo Fürneisen, Bildgestaltung: Sebastian Richter – von ihrer Hauptfigur offenbar ähnlich hingerissen waren wie der junge Südafrikaner. Dennoch sind das vergleichweise schwache Abschneiden des Films und die auch nicht gerade überschwänglichen Kritiken aus heutiger Sicht nicht recht nachzuvollziehen; womöglich war der „Polizeiruf“ den Zuschauern nicht Krimi genug. Dabei sind die komischen Momente, für die vor allem die Polizisten sorgen, amüsant in die Handlung integriert. Sehr nett ist beispielsweise ein vom ehrgeizigen Hinrichs organisiertes Volleyballspiel, das Fürneisen in Zeitlupe zeigt und mit einer Musik (Rainer Oleak) unterlegt, die an die berühmte Vangelis-Melodie aus dem Sportlerfilm „Die Stunde des Siegers“ erinnert. Bei der Gelegenheit entdeckt der Kommissar auch die Leiche: Nachdem er den Volleyball zum wiederholten Mal in die Sandburg eines Jungen geschmettert hat, kickt der Vater des Kindes den Ball wütend ins Meer. Pure Satire ist dagegen die Fortbildungs-Veranstaltung, bei der ein humorloser Seminarleiter (Dieter Montag) in gebotener Ausführlichkeit über die verschiedensten Formen der Farbenblindheit doziert. Während Hinrichs die Informationen eifrig mit verschiedenfarbigen Filzstiften notiert, vertreiben sich Grothe und Voigt die Zeit mit Schiffeversenken. Sehr schräg sind auch die Auftritte eines Sängers (Giso Weißbach), der die Hotelgäste allabendlich mit Chansons unterhält.

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Reihe

NDR, rbb

Mit Kurt Böwe, Katrin Saß, Uwe Steimle, Aglaia Szyszkowitz, Gedeon Burkhard, Walter Kreye, Dirk Martens, Dieter Montag, Giso Weißbach

Kamera: Sebastian Richter

Szenenbild: Christa Köppen

Kostüm: Susanne Panfilowitsch

Schnitt: Sybille Windt

Musik: Rainer Oleak

Produktionsfirma: Polyphon

Drehbuch: Michael Illner, Jürgen Pomorin

Regie: Bodo Fürneisen

EA: 17.11.1996 20:15 Uhr | ARD

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