„Bauspeicheldrüsenkrebs – nicht reparabel.“ Miriam spricht es entgeistert aus, aber sie hat verstanden. Die junge Mutter weiß, was zu tun ist. Die Kleinen nur nichts spüren lassen. Ihrem Partner, dem Vater ihrer Kinder, kann sie es einfach nicht sagen. Er hat seine Familie für sie verlassen. Für sie war es anfangs nur ein Spiel, so war sie, eine passionierte Geliebte, die älteren Frauen ihre Ehemänner wegschnappt. Und dann waren auf einmal die Zwillinge da – und sie steckte in der Familienfalle. Und jetzt die nächste Prüfung. Wer kümmert sich um ihre Kinder, wenn sie nicht mehr ist? Dem Mann an ihrer Seite traut sie diese Kraft nicht zu; er, ein nüchterner Ingenieur, ist viel beschäftigt, ständig unterwegs, der Prototyp des abwesenden Vaters. Aber was ist mit Lene, seiner ersten Frau? Sie ist Pfarrerin; sie müsste verzeihen können. Sie ist stark, warmherzig und in sich ruhend und sie empfindet offenbar noch etwas für den Vater ihrer drei Kinder. Aber Lene ist nicht nur Pfarrerin, sie ist auch eine Frau, hat Gefühle, eine Würde. Und der Schmerz sitzt auch nach Jahren noch immer tief.
Die Fürsorge und Weitsicht einer dem Tod geweihten Mutter, die Sehnsucht nach Versöhnung und der Wunsch, in Frieden gehen zu können – um diese Themen kreist der ZDF-Fernsehfilm „Pass gut auf ihn auf“, der sich in seinem Verlauf zur Geschichte der beiden Frauen entwickelt. Je mehr sich der Fokus stärker auf die betrogene Ehefrau richtet, kommen weitere Motive ins Blickfeld: Diese Pastorin ist gar nicht so stark, auch sie stößt an ihre Grenzen, wirkt zerrissen, ratlos. Aber was sagt sie doch in ihrer ersten Predigt, zu der sich ihr Ex eines Sonntagmorgens in die Kirche schleicht. „Die Vorläufigkeit, die Zerbrechlichkeit von Ehe und Beziehung akzeptieren“, verkündet sie vor ihrer Gemeinde. Und sie geißelt den Begriff „Ehebrecherin“, der vor allem den Interessen der Ankläger diene, und stellt das Gebot „Du sollst nicht ehebrechen“ öffentlich in Frage. Sie weiß es: Hätte in ihrer Beziehung alles gestimmt, ihr Mann hätte sich nicht verführen lassen. Umgekehrt, das weiß auch die einstige Rivalin: ohne eine Männerfalle wie sie hätte das Ehepaar die Krise vielleicht bewältigt.
„Ich kann Miriams Angst nachvollziehen, dass ihren Kindern die Mutter fehlen und ihr Mann mit dem Verlust und den zusätzlichen Aufgaben als allein erziehender vater überfordert sein wird. Trotzdem habe ich mich immer wieder dabei ertappt, die Position der Ex-Ehefrau einzunehmen.“ (Julia Koschitz)
Eine der vielen Stärken des TV-Dramas von Johannes Fabrick nach dem Drehbuch von Britta Stöckle ist seine Konzentration auf das Wesentliche, die innere Psychologie des Konflikts. Zwei Hauptfiguren, zwei Patchwork-Familien, keine weiteren Nebenfiguren, keine Nebenkriegsschauplätze. Der Zuschauer bewegt sich anfangs auf Augenhöhe mit der vom Schicksal gebeutelten jungen Frau. Er wird geradezu zum Komplizen der Heldin. Nur er weiß Bescheid – und er fühlt mit ihr. In der Schwebe und damit spannend bleibt darüber hinaus die Frage: wann und wie sagt sie es ihrem Partner? Kleiner Knackpunkt: der Verlauf der Krankheit ist schwer mit der Dramaturgie der Geschichte zu vereinbaren; Miriam müsste „schlechter“ aussehen und ihre Umgebung müsste die Spuren der Krankheit früher wahrnehmen. Da aber „Pass gut auf ihn auf“ kein Krebsdrama ist und eine tief berührende Szene nach der anderen folgt, verliert man diese dramaturgische Unebenheit rasch aus dem Blick. Mit Fortgang der Handlung wird auch die Frage, wann kommt die Entdeckung, zweitrangig. Zumindest was den Partner angeht. Seine Ex-Frau rückt ins Zentrum. So ist sie es auch, der die Todkranke ihr Schicksal „beichtet“, innerhalb eines Gesprächskreises: „Einer trage des Anderen Last“. Die intensivste, berührendste Szene des Films, in der sich lange Angestautes, die ganze Tragik der Situation, Bahn bricht. Die Angst, die Sorge um die Kinder, die Schuld, die tiefe Verletzung, die Erkenntnis, dass der Bauch nicht immer das fühlt, was der Kopf denkt.
„Der Film hat mich nachdenklich gemacht. Es wird einem bewusst, wie begrenzt das Leben ist, wie viele oder vielmehr: wie wenige Jahre man noch vor sich hat. Immer wollen wir perfekt sein, wollen Beruf und Privatleben perfekt miteinander vereinbaren. Und setzen uns damit ungeheuer unter Druck. Davon sollten wir uns verabschieden und mehr auf uns und die, die uns nahe sind, achten.“ (Barbara Auer)
Mit der Besetzung von Julia Koschitz und Barbara Auer bewiesen Regisseur Fabrick und Produzentin Kirsten Hager ein glückliches Händchen. Keine Frage, beide gehören zu den besten ihrer Generation; aber sie harmonieren auch perfekt, als Typ, aber auch in der Art und Weise, wie sie ihre Rollen spielen: weiblich, warm, aber auch mit Distanz und Dominanz, woraus sich eine gewisse Strenge ergibt. Ihre Charaktere sind zwei, die sich beäugen. Das ist ideal für die Augenschauspielerin Koschitz, in deren „Seelenfenster“ sich für den Zuschauer permanent die tiefe Tragik der Geschichte spiegelt. Auer dagegen, deren Figur anfangs nicht weiß, was diese andere Frau von ihr will, scheut übermäßigen Blickkontakt. Ihre seelische Verfassung schlägt sich auf ihrem Körper nieder. Diese ideale Kombination wird perfektioniert durch Johannes Fabrick und seinen Erzählstil. Selbst bei Julia Koschitz geht er nur in den Schlüsselmomenten nah auf ihr Gesicht. Außerdem ergänzt er Großaufnahmen stets mit Gegenständen und Landschaft, mit stimmungsvollen, subjektiven Details und mit Beziehung und Alltag spiegelnden Totalen. In den meisten seiner Filme (Ausnahme zuletzt „Lena Fauch 2“ mit Veronica Ferres) gibt es nicht diese konventionalisierte Drama-Gesichts-Rhetorik, mit der oft nur Bedeutsamkeit ausgestellt wird. Fabrick erzählt in Bildern. Das ist mehr als das i-Tüpfelchen auf einem Fernsehfilm, der einen Melodram-Stoff in ein bewegendes Drama überführt, preiswürdige Schauspielerleistungen zu bieten hat und der den Zuschauer mit reichlich Stoff für (herbstliche) Gedanken entlässt. (Text-Stand: 30.10.2013)