Ostfriesenblut

Christiane Paul, Erdmann, Metschurat, Ostermann. Neue Morde, familiäre Krisen

Foto: ZDF / Sandra Hoever
Foto Harald Keller

„Ostfriesenblut“ ist der zweite Beitrag der ZDF-Reihe mit Verfilmungen der Romane des Kriminalschriftsteller Klaus-Peter Wolf. Als Ermittlerin vereint seine Erfolgsfigur Ann Kathrin Klaasen analytische und empathische Fähigkeiten. Diese Qualitäten bringen ihr die Aufmerksamkeit eines Serienmörders ein, der bis in ihre Privatsphäre vordringt und sich in ihr Familienleben einmischt. Das befindet sich nach der im Vorgängerfilm erzählten Trennung von ihrem Mann und dem gemeinsamen Sohn in einer Krise. Wie der Premierenfilm bezieht „Ostfriesenblut“ seine Spannung aus der intensiven Charakter-Zeichnung und der atmosphärischen Dichte der Geschichte. Mit Recht baut Regisseur Ostermann auf das Können seiner Schauspieler, allen voran Christiane Paul. Auf spekulative Gewalt- und Sexszenen hat er wohlweislich verzichtet – sie hätten dem Gehalt der Geschichte nur geschadet.

Eigentlich müssten die Ostfriesen bereits ausgerottet sein. Seit der Schriftsteller Klaus-Peter Wolf, der zuvor mit Jugendbüchern und sozialkritischen Romanen hervorgetreten war, 2007 mit „Ostfriesenkiller“ einen Bestseller landete und die Geschichte seiner Ermittlerin Ann Kathrin Klaasen jährlich fortschreibt, hechten immer mehr Nachahmer in seine Fußstapfen. Friesenkrimis, so weit das Auge reicht. Und in Friesland reicht es sehr weit. Die Einworttitel wie „Ostfriesenblut“, „Ostfriesengrab“, Friesen-Dings, Friesen-Bums, werden knapp. Resultat: absurde Wortkombinationen, die nur noch Kopfschütteln auslösen. Aber egal ob Nonsens oder nicht, der Friese im Titel zahlt sich aus. Wer bei den Internet-Kaufläden nach Wolfs Büchern sucht, stößt automatisch auf die Trittbrettfahrer. Die werden halt auch mal gekauft, vor allem die preiswerten E-Books. Wenn das Buch nichts taugt, hält sich der Ärger in Grenzen.

Dem ZDF darf man zugute halten, dass es recht früh zur Stelle war. Seit 2013 schon bedient es die Nachfrage mit der gewitzten Reihe „Friesland“. Zusätzlich hatte sich der Sender die Rechte an Wolfs Ostfriesland-Zyklus gesichert und im April 2017 mit der Verfilmung des ersten Romans „Ostfriesenkiller“ an den Start gebracht. Der Auftaktfilm ließ auf gehobene Ambitionen schließen und der zweite Beitrag fällt dahinter nicht zurück, auch wenn das Drehbuch- und Regieteam ausgewechselt und Peter Heinrich Brix‘ Dienststellenleiter durch Kai Maertens ersetzt wurde, der seinen Part, der ohnehin von der Romanfigur bestimmt wird, nicht wesentlich anders anlegt. Im Zentrum steht abermals die von Christiane Paul trefflich verkörperte Kommissarin Ann Kathrin Klaasen. Zu Beginn des Zyklus geriet sie in eine persönliche Krise. Sie wusste um die Untreue ihres Mannes, der Konflikt eskalierte, Hero Klaasen (Andreas Pietschmann) zog zu seiner Freundin und nahm Eike (Alexis Salsali), den Sohn aus der gerade zerbrochenen Beziehung, gleich mit. Diese Erfahrung, ebenfalls in Wolfs Romanen angelegt und den jeweiligen Kriminalfällen als Fortsetzungsgeschichte unterlegt, bestimmt noch immer das Verhalten der sensiblen Ermittlerin. Sie bekommt zusehends Probleme mit ihrem Sohn, der in der Schule auffällig wird. Womöglich eine Folge der zerrütteten Familienverhältnisse. Auch macht Klaasen weiterhin der gewaltsame Tod des Vaters zu schaffen. Sie ist besessen von dem Gedanken, den unbekannten Mörder zu fassen.

OstfriesenblutFoto: ZDF / Sandra Hoever
Zweiter Einsatz, starkes Team. Ubbo Heide (Kai Maertens), Rupert (Barnaby Metschurat), Ann Kathrin Klaasen (Christiane Paul), Frank Weller (Christian Erdmann)

Doch diese private Ermittlung bleibt weiterhin Nebenhandlung. Der aktuelle Fall, der wie der vorherige nach neunzig Minuten einer Lösung zugeführt wird, beginnt mit dem Mord an einer alten Dame. Das Publikum kennt den Täter von Anfang an und weiß, dass dieser Thomas Hagemann (Jörg Schüttauf) mit großer Grausamkeit zu Werke geht. Der Grund dafür und das Motiv für seine Taten – weitere Morde folgen – finden sich in seiner Vergangenheit. Klaasen findet die Zusammenhänge heraus, durch ihre detailbesessene Tatortanalyse und Viktimologie, mit Hilfe der Kriminaltechnik, aber auch dank ihrer ausgeprägten Intuition. Sie imaginiert zurückliegende Geschehnisse – nicht indem sie ihre Fantasie anstrengt, die Bilder fallen ihr förmlich zu. Die Erscheinungen gehen so weit, dass sie ihren Vater leibhaftig vor sich sieht und sich sogar mit ihm unterhält. Erneut wird die Kommissarin über die Maßen persönlich in den Fall verwickelt. Hagemann hat sie als Interviewpartnerin im Fernsehen gesehen – der ZDF-Moderator Rudi Cerne liefert in der kurzen Szene einen Gastauftritt – und fühlt sich ihr verbunden. Er hat in ihrer Wohnung Kameras installiert, verfolgt ihr Privatleben und bekommt mit, dass ihr Mann sie wegen einer anderen, die für Eike bereits zur Ersatzmutter geworden ist, verlassen hat. Nun will er Klaasen, wie er meint, einen Gefallen tun – er entführt die Nebenbuhlerin Susanne Mönninghoff (Anne Werner) in der Absicht, sie zu ermorden.

Erfreulicherweise widerstehen Autor Nils-Morten Osburg und Regisseur Rick Ostermann der Versuchung, die Gewalttaten breit auszumalen. Eine spekulative, nicht selten bis ins Abstruse blutrünstige Gestaltung, wie sie im sogenannten „Nordic Noir“ und von dessen Epigonen gepflegt wird, hätte die untergründige eigentliche und gesellschaftlich relevante Thematik zum schlichten dramaturgischen Kniff herabgewürdigt: Hagemann, der unbarmherzige Täter, ist ein Opfer der „Schwarzen Pädagogik“ der Fünfzigerjahre. Er wurde von Lehrern und Altersgenossen psychisch und physisch misshandelt. Nun, da er an Krebs erkrankt ist und den Tod erwartet, sucht er diese alte Last abzuwerfen. Er tut es, wie er es als Kind gelernt hat: mittels Gewalt. Wie sehr eine solche Unaufgeregtheit die innere Spannung eher fördert denn hemmt, zeigt sich wiederum, als Klaasen und ihr Kollege Frank Weller (Christian Erdmann) zum ersten Mal miteinander schlafen. Regisseur Rick Ostermann wahrt Zurückhaltung, belässt es bei der Ouvertüre und blendet dann zum heimlichen Zeugen Hagemann, der das Geschehen am Monitor seines Überwachungssystems verfolgt. Unwillkürlich fragt man sich als Betrachter, wie der unberechenbare Hagemann darauf reagieren wird. Jörg Schüttauf ist klug genug, Hagemanns Empfindungen im Uneindeutigen zu belassen.

OstfriesenblutFoto: ZDF / Sandra Hoever
Zwei Leichenfunde kurz hintereinander. Barnaby Metschurat und Christiane Paul

Wie in dieser Sequenz, konzentriert sich die Regie häufig auf Schauspielleistung und Atmosphäre. Ann Kathrin Klaasen kann minutenlang dasitzen und sich ins Opfer versetzen und man sieht dennoch gebannt zu. Diese Zuwendung ist auch an der Montage ablesbar. Der Schnitt wird in Dialogszenen nicht zwingend auf den letzten Punkt gesetzt, die Kamera bleibt oft noch auf den Gesichtern, wenn bereits alles gesagt ist. So entstehen Dichte und Intimität und damit eine Nähe zum Zuschauer, wie sie ein ständiger hochfrequenter Wirbel optischer Attraktionen – Stichwort „Babylon Berlin“ – nicht zu bieten in der Lage ist. Kleinere Störfaktoren allerdings sollen nicht verschwiegen werden. So kann das Alter der Protagonisten nicht vollends überzeugen. Der Täter und seine Opfer erscheinen zu jung angesichts ihrer in Rückblenden erzählten Vorgeschichte, die bis in die Fünfziger zurückreicht. Die Beziehung von Klaasen zu Weller wird überstürzt eingeführt – daraus hätte sich, wie in einer guten Serie, noch über eine längere Strecke hinweg dramatisches Kapital schlagen lassen.

Und die Rolle von Ann Kathrin Klaasens Vater wurde mit Ernst Stötzner besetzt, der im ZDF bereits den Vater der Krimifigur Helen Dorn in der gleichnamigen Reihe spielt. Eine einfallslose Besetzungspolitik, die die Figur unglaubwürdig macht und zudem Rollenfestlegungen – angelsächsisch „typecasting“ – fördert, eine im deutschen Fernsehen leider verbreitete Erscheinung, die skurrilerweise bisweilen von der rezensierenden und institutionellen Kritik auch noch honoriert wird. Die gelungene Schlusssequenz versöhnt ein wenig mit diesen Schwächen: Sie zeigt eine Schulhofmauer, übersät mit den gemalten Bildern von Schülern, fröhlich bunt, ein Symbol für unbeschwerte Kindheit und Vielfalt. Dann im Gegenschnitt ein Schulfoto im Stil der Fünfziger und Sechziger: die Schüler uniformiert, soldatisch aufgereiht, ernst. Daneben der Lehrer als Führerpersönlichkeit im übelsten Sinne.

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Reihe

ZDF

Mit Christiane Paul, Christian Erdmann, Barnaby Metschurat, Kai Maertens, Andreas Pietschmann, Jörg Schüttauf, Ernst Stötzner, Alexis Salsali, Anne Werner, Peter Franke

Kamera: Frank Küpper

Szenenbild: Anne Schlaich

Kostüm: Christian Binz

Schnitt: Christoph Wermke

Musik: Stefan Will

Redaktion: Daniel Blum

Produktionsfirma: Schiwago Film

Produktion: Martin Lehwald, Marcos Kantis, Michal Pokorny

Drehbuch: Nils-Morten Osburg – nach dem gleichnamigen Roman von Klaus Peter Wolff

Regie: Rick Ostermann

Quote: 6,48 Mio. Zuschauer (20,9% MA); Wh. (2020): 5,15 Mio. (19,8% MA)

EA: 28.12.2018 10:15 Uhr | ZDF-Mediathek

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