„Dabei bist du doch mehr so der Hippie-Typ!“ Langsam ist Frank Lehmann es leid. Immer muss er erklären, weshalb er, ausgerechnet er, nicht verweigert habe. Frank hat es schlicht und einfach vergessen. Schön blöd. Aber blöd ist jener „Pionier Lehmann“, so sein neuer Name, den er vom Feldwebel eingebrüllt bekommt, keineswegs. Nur vorsichtig. Er will nicht auffallen, sich nur so durchmogeln. Für ihn gibt es nichts, für das es sich zu engagieren lohnt. Was nicht heißt, dass er mit Freunden aus der alternativen Szene rumhängt. Er zieht sogar in eine dieser Revoluzzer-WGs im Ostertorviertel, Bremens alternativem Kiez. Seine Mitbewohner findet er seltsam. Immer dieses Gelaber. Aber das ist nichts gegen die Schinder beim Bund. Und so begibt sich „Pionier Lehmann“ aus der Deckung und emanzipiert sich ein Stück weit. Eine der Antriebsfedern heißt Sibille, ist Germanistikstudentin und ist wie auch er rhetorisch nicht auf den Kopf gefallen. Doch wie das mit schönen Frauen oft so ist: sie bringen einem kein Glück. Schon gar nicht, wenn auch die Freunde scharf auf sie sind…
Foto: WDR / Thomas Kost
Aus 585 Seiten Roman 90 Fernsehfilm-Minuten zu machen, scheint ein auswegloses Unterfangen. Doch der Versuch, Sven Regeners „Neue Vahr Süd“ als Einzelstück für den Bildschirm zu adaptieren, ist bestens gelungen. Drehbuchautor Christian Zübert konzentriert sich auf den Konflikt der konfliktscheuen Hauptfigur, und auf die gesellschaftlichen Widersprüche jener Jahre. Er lässt das Zeit-Panorama der frühen Achtziger von seiner Hauptfigur gegen den Strich bürsten, ja jener Frank provoziert geradezu den Zeitgeist. Der spätere „Herr Lehmann“ aus Regeners früher geschriebenem Kult-Roman über die Berliner Szene der ausgehenden 80er Jahre ist ein Wanderer zwischen den Welten, ein stiller Beobachter, der nach und nach Verantwortung für sein Leben übernimmt, sich dabei aber seine Unabhängigkeit bewahrt und der seine Verweigerungshaltung zum Lebensprinzip macht. Fast alle um ihn herum sind noch politisch. Frank Lehmann aber vergisst, zu verweigern.
Was Zübert außerdem bestens gelingt, ist der lakonische Grundton, der auch den Roman auszeichnet. Der Autor hat den Geist erfasst, diese Lässigkeit, diese unaufdringliche Ironie – und er behält bei aller notwendiger dramaturgischer Zuspitzung in Richtung auf das Bundeswehrgelöbnis im Weserstadion den episodischen Charakter der Vorlage bei. Das geht umso leichter, als Regisseurin Hermine Huntgeburth („Teufelsbraten“), die wieder einmal auf dem „historischen Feld“ ganze Arbeit leistet, mit Frederick Lau einen Schauspieler in der Hauptrolle besetzte, der es schafft, die sozialen Ideen und die offene Dramaturgie zu binden, Sympathie beim Zuschauer aufzubauen und dem es so gelingt, den Film auf seine Schultern zu packen. Umso grandioser ist, dass jener Lehmann eine Figur ist, die sich anfangs durch seine Passivität auszeichnet, eine Figur also gegen alle Regeln der klassischen Dramaturgie.
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„Neue Vahr Süd“ lebt neben den lustvoll zugespitzten, skurrilen Charakteren von den schrägen, oftmals absurden Situationen, die der Zeitgeist und die Sven Regener schrieben. Der Macho-Drill beim Bund, die verdrehten Politvokabeln der Studenten, das wilde Abhängen in der Abbruch-WG – und dazu der Soundtrack jener Jahre, der hier (wie so oft in anderen Filmen) nicht zum signalhaften Musikteppich verkommt. Es ist der beste Fernsehfilm-Soundtrack der letzten Jahre, weil er nicht nur gute, sondern für die „Szene“ die richtigen Songs ausgewählt hat: Patti Smith, Devo, Bob Marley, Cure und David Bowie, Künstler, die bei Studenten wie Autonomen, bei Ex-Hippies wie Punkern gleichermaßen angesagt waren. Und am Ende geht es mit dem Eels-Indie-Hit aus „Herr Lehmann“ Richtung Berlin.
Eine weitere Stärke sind die Dialoge, gekennzeichnet von einem trockenen Witz, der sich so richtig erst aus den Situationen ergibt. Hier werden keine Pointen gedroschen. Der Held gleitet auf einer absurden Schleifspur durchs Dasein. Die Lächerlichkeit speist sich aus vielen Quellen. Und auch das Gesagte besticht durch seine Mehrdeutigkeit. „Schon weg sein, schon wieder hier sein!“, brüllt der Feldwebel und trifft damit auch die Gemütsverfassung des Helden, der sich überall wie ein Fremder fühlt und bereits Stunden vor dem Zapfenstreich schon wieder in der Kaserne beim verhassten Bund auftaucht. „Sie sehen nicht gerade aus, wie einer, der hier hin gehört“, feixt ihn der Hauptmann an. Ein Satz, den ihm auch sein zunehmend durchgeknallter WG-Mitbewohner Martin Klapp hätte sagen können. Dass der irgendwann die Axt rausholt, hätte man ahnen können. Im Kino nebenan spielt man „Shining“.