München Mord – Auf der Straße, nachts, allein

Heerwagen, Mittermeier, Held, Süß, Rosmair, Ani/Jung, Saul. Im Schmerz verliebt

Foto: ZDF / Jürgen Olczyk
Foto Rainer Tittelbach

Eine männliche Leiche an der Isar. Immer dieses banale Töten! Neuhauser und Schaller steht derweil der Sinn nach Höherem: nach magischer Liebe, nach schwerer Lyrik – und Flierl fühlt sich mal wieder nicht beachtet. Damit ist sie nicht allein. Viele in der sechsten „München-Mord“-Episode sehnen sich neben sexueller Erfüllung vor allem nach etwas Anerkennung. Der Fall, die Beziehungen der Hauptpersonen und dieses „Thema“ der verzweifelten Herzen, das alle Geschichten in diesem Krimi umkreist, werden in „Auf der Straße, nachts, allein“ auf geradezu vorbildliche Weise miteinander verwoben. Außerdem gibt es wieder ein Dutzend erinnerungswürdiger Szenen, die Schauspieler sind klasse, und München ist ein Dorf.

Männer für gewisse Stunden – und die Liebe, die immer mit Leid endet
Eine männliche Leiche mit Bauchschuss ist an der Isar angeschwemmt worden. Immer dieses banale Töten! Harald Neuhauser (Marcus Mittermeier) und Ludwig Schaller (Alexander Held) steht derweil der Sinn nach Höherem. Der sehr spezielle Chef vertreibt sich die Freizeit mit schwerer Lyrik, und der Sunnyboy des Münchner Keller-Trios hat eine neue Flamme (Judith Rosmair). Das freilich hat Auswirkungen auf Neuhausers Arbeitsmoral – und so fühlt sich Angelika Flierl (Bernadette Heerwagen), ohnehin kein Ausbund an Selbstbewusstsein, mal wieder wie das fünfte Rad am Wagen. Auch privat läuft es bei ihr nicht gut – und so verbindet sie das Angenehme mit dem Nützlichen, das eigene Vergnügen mit dem Fall, indem sie sich auf eigene Rechnung einen Callboy bestellt. Denn so wenig auch die Damen, die mit dem Toten Kontakt gehabt haben, bereit sind, auszusagen, einen Satz behält Flierl lange im Ohr: „Er war ein äußerst diskreter und super einfühlsamer Dschamsterer.“ Zu deutsch: ein Mann für gewisse Stunden, der weiß, wie er Frauen glücklich macht, nicht nur körperlich. Dass Schaller mal eben eine zweite Wasserleiche gibt und anhand von Fließgeschwindigkeit und Körpergewicht Ort und Milieu des Mordfalls eruieren kann, ist dann aber doch eine größere Hilfe als Flierls Gigolo-Alleingang und bringt ihm sogar Lob vom dauergereizten Zangel (Christoph Süß) ein. Dadurch stößt Schaller auf einen 24-Stunden-Kiosk, der unter anderem von einem unfreundlichen jungen Mann (Ludwig Blochberger) betrieben wird. Die Besitzerin ist ausgerechnet die geheimnisvolle Schöne, die Neuhauser so aus der Bahn geworfen hat.

München Mord – Auf der Straße, nachts, alleinFoto: ZDF / Jürgen Olczyk
Das Objekt des Begehrens hat auch selbst emotionale Schwächen. Judith Rosmair

Wer ist der Stärkere? Wer lässt wen stehen? Wer mordet aus Liebe?
München ist ein Dorf. In einer Reihe wie „München Mord“, die mit ihren komödiantisch-ironischen Einfärbungen nie unter Realitätsverdacht steht, besitzt dieser Fall, der sechste des schrägen Trios, allerdings nichts von einer Zufallskonstruktion, sondern sorgt – im Gegenteil – für eine kluge dramaturgische, aber auch thematische Verdichtung, die im Titel ihren Aus-druck findet. „Auf der Straße, nachts, allein“, das umschreibt zum einen die Situation des Mordes, aber auch das Lechzen der Single-Großstädter nach Kontakten, nach Dates, nach Sex. Im Film verknäueln sich die Beziehungen. Letztlich kulminiert (sexuelle) Interaktion hier immer in der Frage: Wer ist der Stärkere? Wer lässt am Ende wen stehen? Wer „liebt“ mehr und bricht am Ende unter all seinen Projektionen und Idealisierungen zusammen? Im Zentrum des amourösen Reigens, den das Autorenduo Friedrich Ani und Ina Jung entworfen haben, steht das weibliche Objekt des Neuhauserschen Begehrens. Eine kluge, selbstbestimmte und realistisch denkende Frau, glaubhaft attraktiv gespielt von Judith Rosmair, die allerdings in einer anderen Interaktion genau die Schwäche zeigt, die Marcus Mittermeiers Kommissar beinah Kopf und Kragen kostet. „Vollkommen verwandelt“, wird das im Film genannt. Ein guter psychologischer Beweggrund – will man eine spannende Geschichte erzählen. Und dann ist da noch einer, eine ganz arme Sau, der liebt, aber nur in kleinsten Dosen zurückgeliebt wird. Und auch Kollegin Flierl kennt diese Art von Kommunikation, nicht unbedingt amourös-sexuell, aber zumindest am Arbeitsplatz: denn da investiert sie sehr viel mehr in ihre Beziehung zu Neuhauser, während dieser – nach Höherem strebend – sie kaum noch beachtet.

Es geht weniger um Sex, mehr um den Wunsch, etwas Anerkennung zu finden
Der Fall, die Beziehungen der Hauptpersonen und das „Thema“, das alle Geschichten in diesem Krimi umkreist, werden in dieser „München-Mord“-Episode auf vorbildliche Weise miteinander verwoben. Das erhöht eindeutig die Lust auch beim Zuschauer im Gegensatz zu Krimis, die die Kommissare in eine seltsame, fremde Welt führen und diese sich am Thema abarbeiten lassen (wie zuletzt im „Tatort – Hardcore“). Gut auch, dass die Drehbuchautoren ihre Geschichte(n) nicht an Vordergründigem, beispielsweise modischen Medienphänomenen festmachen, man sieht nicht ständig irgendwelche Online-Portale, ja es heißt sogar (der schönste Satz des Films!) „Melde dich, aber keine SMS bitte – das ist kindisch.“ Nein, es geht um den zeitlosen Wunsch, nicht allein zu sein und vor allem Anerkennung zu finden. Die narzisstische Gier nach Selbstbestätigung scheint dabei größer zu sein als Sehnsucht nach Zweisamkeit oder nach sexueller Erfüllung. „Auf der Straße, nachts, allein“ ist erfreulicherweise näher dran an der Lebens- & Liebesphilosophie eines Films wie „American Gigolo“ (mit Richard Gere) als am Zeitgeist-Boom der Dating-Portale. In der Sznene der „Dschamsterer“ wird heimlich und diskret geliebt. Die Schönen und Reichen sind hier auch keineswegs glücklicher als die armen Hunde. Sie können manchmal nur noch tiefer fallen.

München Mord – Auf der Straße, nachts, alleinFoto: ZDF / Jürgen Olczyk
Ziemlich neben der Kappe. Die Kollegen müssen auf den vom Liebesleid geplagten Harald Neuhauser (Marcus Mittermeier) achtgeben. Bernadette Heerwagen & Alexander Held

Schaller als Wasserleiche – eine erinnerungswürdige Szene jagt die nächste…
Mehr noch als sonst rücken die Kommissare in dem Film von Anno Saul – es ist nach „Wo bist du, Feigling“ und „Einer, der’s geschafft hat“ seine dritte Regiearbeit für die Reihe – in den Mittelpunkt des Geschehens. Neben dem vom Liebesleid übermannten Neuhauser vertraut der „spinnerte“ Schaller mehr denn je auf seine kriminalistische Intuition und spielt verschiedene Mordvarianten im Geiste durch, welche gleichsam visualisiert werden. Was in Krimis mit realistischerem Konzept mitunter etwas befremdlich wirkt, ist hier ein belebendes Element. Stringente Ermittlungsarbeit ist ohnehin kein herausragendes Merkmal dieser Reihe, dagegen besticht immer wieder die Art und Weise, wie München und die unkonventionellen, dennoch – dank vorzüglicher Darstellerleistungen – liebenswerten „Helden“ in Szene gesetzt werden. Es gibt wenig Krimireihen, deren Episoden so viele markante Einzelszenen besitzen. Man muss nur ein zweites Mal kurz durch den Film zappen – und sofort beginnt das lustvolle Erinnern und Zurückversetzen: Neuhausers Liebesgeständnis zu Beginn, sein später immer lautstärkeres Leiden an der Liebe, Schaller als Wasserleiche, die Comedy-Einlagen von Christoph Süß als Vorgesetzter Zangel, seine Plaudereien aus der Callboy-Szene, die Flierls diesbezüglichen „Erkundungen“ ironisieren, die Szene in der Polizeikneipe „Rampe“, in der sich der verliebte Kommissar als Rampensau aufführt, die von Radiohead aufgeheizte Lagebesprechung in eben jener Kneipe, Schallers unvermitteltes Rezitieren klassischer Gedichte (worin Held unvergleichlich ist, wie er im „Tatort – Im Schmerz geboren“ schon ausgiebig beweisen durfte). Fazit: eine der wenigen ZDF-Samstagsreihen, bei denen man immer wieder gern dabei ist, um sich im Rahmen des Erwartbaren überraschen lassen kann.

Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von YouTube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.

Mehr Informationen

tittelbach.tv ist mir was wert

Mit Ihrem Beitrag sorgen Sie dafür, dass tittelbach.tv kostenfrei bleibt!

Kaufen bei

und tittelbach.tv unterstützen!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Reihe

ZDF

Mit Bernadette Heerwagen, Marcus Mittermeier, Alexander Held, Christoph Süß, Judith Rosmair, Ludwig Blochberger, Nina Franoszek, Tilman Strauß, Matthias Ransberger, Ercan Karacayli, Götz Otto

Kamera: Nathalie Wiedemann

Szenenbild: Michael Björn Köning

Schnitt: Dirk Grau

Musik: Stephan Massimo

Soundtrack: Metallica („Enter Sandman“), Sade („Bullet Proof Soul“), Radiohead („Creep“), Rage Against The Machine („Killing In The Name“)

Produktionsfirma: TV60 Filmproduktion

Produktion: Andreas Schneppe, Sven Burgemeister

Drehbuch: Friedrich Ani, Ina Jung

Regie: Anno Saul

Quote: 5,80 Mio. Zuschauer (20,2% MA)

EA: 14.10.2017 20:15 Uhr | ZDF

Spenden über:

IBAN: DE59 3804 0007 0129 9403 00
BIC: COBADEFFXXX

Kontoinhaber: Rainer Tittelbach