Die Blutspur des Kriegs führt vom Balkan an die Nordsee
An der Nordseeküste bei Wilhelmshaven taucht eine Wasserleiche auf. Der Tote ist ein ehemaliger Offizier der holländischen KFOR-Truppen im Kosovo. Jan Holzer (Jan Josef Liefers) und seine temperamentvolle deutsch-türkische Kollegin Amal Catack (Ivan Anderson) ermitteln in dem Fall. Der Mann ist erstochen worden. Er war Soldat, hat Menschen getötet – vielleicht also ein Racheakt? Auch der Leiter der Segelschule, Michael Kühnert (Peter Lohmeyer), war im Kosovo, als KSK-Soldat hat er Kriegverbrecher gejagt. Den Toten will er aber nicht gekannt haben. Dieser wollte sich offenbar in der Nähe bei einem Kriegskumpel, Gerd Heider (Achim Buch), in seine internationale „Sicherheitsfirma“ einkaufen. Holzer kann nicht recht glauben, dass Kühnert etwas mit dem Mord zu tun hat. Der Mann hat nach der Bundeswehr Philosophie studiert, führt mit seiner Frau Elena (Sylvie Testud) und Tochter Sabin (Franziska Brandmeier) ein beschauliches Leben am Meer, und er hat ein Alibi. Der wegen einer Tötung im Dienst seelisch schwer angeschlagene Kommissar verspürt eine besondere Anziehung zu Kühnerts Frau, die auch ihrerseits von diesem Mann beeindruckt zu sein scheint: Elena ist gehörlos und Holzer einer, der nur das Nötigste spricht. Ein zweiter Mord könnte Holzers Vermutungen bestätigen: Der Seilmacher Miro Pupic, Kosovo-Albaner und Freund der Kühnerts, ist erschossen worden – sein Mörder muss ein Präzisionsschütze sein. Hat Pupic den Holländer getötet und hat jetzt die Quittung dafür bekommen?
„Ich habe beim Segeln einen ehemaligen KSK-Soldaten kennen gelernt, und während langer Nachtwachen hat er mir einen Einblick in die Welt gegeben, in der er sich als aktiver Elitesoldat bewegt hat. Seine Aufgabe war es, serbische Kriegsverbrecher der europäischen Gerichtsbarkeit zuzuführen. Das war der Anfang, dann folgten lange Recherchen.“ (Fromm zur Genese der Geschichte)
Foto: ZDF / Gordon Timpen
Schuld-und-Sühne-Drama, Politkrimi, Liebesgeschichte
Welche seelischen Spuren hinterlässt der Krieg? Wie verändern sich Menschen, zu deren Job es gehörte massenhaft zu töten? Wie verändert sich die Moral in Zeiten der Globalisierung? Unterliegen Schuld und Sühne denselben Relativierungsprozessen, wie sie im Warenhandel zunehmend angewendet werden? Holt einen in dieser globalen Welt das, was man getan hat, schneller ein als früher? Und gibt es Situationen, in denen das Recht vor der Gerechtigkeit zurücktreten sollte? „Mörderische Stille“ von Regisseur Friedemann Fromm („Weißensee“), der auch das Drehbuch schrieb, wirft unterschwellig viele Fragen auf und zielt mit den hier erzählten Familiengeheimnissen in eine andere Richtung als viele der schicksalsschwangeren ZDF-„Montagkrimis“: Der Film ist Schuld-und-Sühne-Drama, Politkrimi und er erzählt auch eine Liebesgeschichte. Souverän austariert zwischen politisch relevant, spannend, tragisch und aufregend emotional schlägt „Mörderische Stille“ – trotz des einfallslosen Titels, der in die typische ZDF-Kerbe schlägt – einen stimmigen, angenehm konzentrierten Erzählton an.
„Die Kriegsverbrechen im Kosovo sind nicht mal 17 Jahre her und aus dem Gedächtnis getilgt, und immer weiter finden ähnliche Verbrechen in den jetzigen Kriegsgebieten statt – ohne großes Interesse der Medien und dadurch auch ohne Kenntnis der Öffentlichkeit.“ (Produzentin Cornelia Wecker)
Man küsst sich, man schlägt sich: der Schmerz sitzt tief
Den realpolitischen Kosovo-Hintergrund mit der Erfahrungswelt von Gehörlosen kurzzuschließen, ist eine vorzügliche Drehbuchidee, um die Geschichte einerseits zu verdichten und um andererseits den Aspekt der (subjektiven) Wahrnehmung ins Spiel zu bringen: Die Wahrnehmung als menschliche Schlüsselerfahrung – moralisch, emotional und ästhetisch. Für den Film bekommt zudem noch die Gebärdensprache eine große Bedeutung: Sie öffnet dem Zuschauer den Blick auf die latente Liebesgeschichte zwischen dem introvertierten Kommissar und der gehörlosen Ehefrau. Fromm ist seit seinem Zivildienst fasziniert von dieser Art der Kommunikation. „Es gibt Situationen, in denen Worte die Wahrheit eher vernebeln, der Wahrhaftigkeit von Gefühlen abträglich sind“, so der Regisseur. Durch die Gebärdensprache hingegen entsteht eine äußerst intensive Auseinandersetzung mit den Gefühlen – und das nutzt Fromm eindrucksvoll für seinen Film: hier der tief sitzende Schmerz, dort die Unmöglichkeit, ihn verbal auszudrücken. Die Folge: Emotionen werden physisch ausgelebt, man küsst sich, man schlägt sich. Für die Wahrnehmung des Zuschauers bedeute das schließlich: „Er wird dadurch gezwungen, viel genauer hinzusehen.“
Foto: ZDF / Gordon Timpen
„Die Geschichte spielt in einer Hafenstadt, da sich in Wassernähe gerne spezielle Menschen ansiedeln – Menschen, die sich zurückziehen wollen, aber gleichzeitig die Möglichkeit haben, sofort mit einem Schiff in die unendliche Weite der Meere zu fliehen.“ (Produzentin Cornelia Wecker)
Das Schweigen der Männer, das Temperament der Frauen
Und tatsächlich, das Auge bekommt reichlich Eindrücke. Da ist die hyperaktive Kripo-Assistentin, die zwar auch einiges zu sagen hat, aber ihrem Chef auch immer wieder eindrucksvoll an die Gurgel springt. Ivan Anderson („Dreiviertelmond“) erfüllt diese tragende Nebenrolle mit Charisma, Power und Leidenschaft. Und da ist der von Tinnitus und Schuldgefühlen geplagte, schweigsame Kommissar, den Jan Josef Liefers quasi als absoluten Gegenpol zu seinem Münsteraner „Tatort“-Pathologen anlegen durfte: still, selbstkritisch und mit zurückgenommenem Gesichtsausdruck. Der Melancholiker steht dem Schauspieler gut; Liefers liefert hier eine seiner überzeugendsten Filmauftritte ab. „In der Ruhe liegt die Kraft“ ist seit jeher das Markenzeichen für das Spiel von Peter Lohmeyer. Bei ihm wirken selbst noch markante Merksätze wie „Einer muss immer bezahlen, sonst kommt nichts ins Gleichgewicht“ einfach nur cool. Und regelrecht ein Ereignis ist Sylvie Testud – und das sicher nicht nur für Kino-Nostalgiker, die sich bei ihrem Gesicht reflexartig an ihre Glanzleistung in Caroline Links „Jenseits der Stille“ erinnern. Sie gibt dem Film eine eigene Sprache, eine Sprache, die mit Verschlüsselungen spielt. Sie sorgt, soweit dies in der Primetime im ZDF möglich ist, für den Tanz der Signifikanten, der typisch ist für das französische Kino, das lieber nur zeigt und andeutet, als alles auszusprechen. Medium sind ihre Augen, die Seelenfenster, in denen sich die großen Emotionen spiegeln: Liebe, Verzweiflung, Glück. Nicht zuletzt durch diese Darstellungsebene des Films gelingt Fromm mit „Mörderische Stille“ viel mehr als ein politisch motivierter Whodunit. Und auch er kann von seiner weiblichen Hauptdarstellerin nicht genug schwärmen: „Sylvie hat diese besondere Energie und Ausstrahlung, die keine Worte braucht. In ihrem Gesicht spiegelt sich in einem Moment die Welt, und im nächsten bleibt nur noch ein großes Geheimnis in ihrem Blick.“
Foto: ZDF / Gordon Timpen