Mag ja sein, dass ZDF-Reihen wie „Hanna Hellmann“, „Lena Lorenz“ oder nun „Marie fängt Feuer“ in erster Linie dem Zeitvertreib der mutmaßlich weiblichen Zielgruppe dienen; aber auch solche Produktionen lassen sich lieblos und uninspiriert oder, wie hier, mit spürbarer Zuneigung zu den Figuren realisieren. Mit dem Auftakt zur neuen „Herzkino“-Reihe gelingt dem „Zweiten“ zudem erneut das durchaus mutige Kunststück, die Titelrolle einer praktisch unbekannten Darstellerin anzuvertrauen, die ihre Aufgabe allerdings mit Bravour meistert. Gäbe es in diesem Land nicht Tausende junger Schauspielerinnen und würden nicht jedes Jahr Hunderte von Kino- und Fernsehfilmen produziert, könnte man davon ausgehen, dass „Marie fängt Feuer“ die knapp dreißigjährige Christine Eixenberger zum Star macht. In Teilen Bayerns ist sie das bereits, allerdings als Kabarettistin. Ihre Erfahrungen als Schauspielerin vor einer Kamera sind praktisch gleich null, was ihre Leistung umso bemerkenswerter macht.
Die Handlung ist weniger aufregend: Marie Reiter ist alleinerziehende Mutter eines 14jährigen Sohnes (Moritz Regenauer) und lebt mit dem Jungen bei ihren Eltern Ernst (Wolfgang Fierek) und Irene (Saskia Vester). Eine Szene genügt, um ihre Beliebtheit zu verdeutlichen: Als sie zu Beginn mit dem Moped durch den Ort braust, lächeln ihr die Menschen ausnahmslos zu; auch der Polizist (Gabriel Raab), obwohl sie vor seinen Augen über eine rote Ampel fährt. In der oberbayerischen Kleinstadt (gedreht wurde in Murnau) ist die Welt noch in Ordnung. Es gibt nicht mal den sonst in Filmen dieser Art obligaten gierigen Investor, der in unberührter Natur ein Luxushotel errichten will. Im Rathaus sitzt auch kein korrupter Bürgermeister, sondern eine Frau (Katharina Müller-Elmau), die offenbar tatsächlich das Beste für den Ort will.
Foto: ZDF / Bernd Schuller
Der Reihenauftakt trägt den Titel „Für immer und ewig“, denn die Handlung beginnt mit dem Polterabend von Marie und ihrem Verlobten Stefan (Stefan Murr). Entsprechend romantisch sind die Kalenderbilder, die Regisseur Edzard Onneken und Kameramann Marco Uggiano bei hochsommerlichem Kaiserwetter rund um den Staffelsee gefunden haben: Sonnenauf- und untergänge oder ein Rendezvous mit Dutzenden von Kerzen sorgen für reichlich „Herzkino“-Romantik. Dass „Marie fängt Feuer“ trotzdem kein Pilcher-Süßstoff ist, liegt vor allem an Eixenberger, die die Titelheldin patent, natürlich, mit bodenständiger Attraktivität und vor allem mit viel Energie verkörpert; eine tolle Frauenrolle. Dramaturgisch dient die Idylle natürlich vor allem der Fallhöhe: Mit der Romantik ist es schlagartig vorbei, als das Liebespaar entdeckt, dass ausgerechnet die Scheune, in der die beiden tagsdrauf heiraten wollen, in Flammen steht. Der Schock wird noch größer, als sich herausstellt, dass Maries Max und Stefans 15jähriger Sohn Daniel in dem Gebäude eingesperrt sind. Die Jungs können zwar gerettet werden, aber als ein Brandexperte feststellt, dass das Feuer keineswegs ausgebrochen, sondern gelegt worden ist, hängt bei Marie und Stefan der Haussegen schief, bevor sie überhaupt unterm selben Dach leben: Die beiden Söhne bestreiten die Brandstiftung. Marie glaubt Max, Stefan glaubt Daniel; aber einer der Jungs ist ein Lügner.
Onneken hat für das ZDF diverse Beiträge für die Reihen „Lotta & …“ (mit Josefine Preuß) und „Bella…“ (mit Andrea Swatzki) gedreht und war auch an „Türkisch für Anfänger“ beteiligt, ist also keiner jener „Herzkino“-Routiniers, deren Filme oft wie Vertragsarbeiten wirken, auch wenn nicht jeder der schwungvollen Kameraflüge am Kirchturm vorbei inhaltlich motiviert wirkt. Der Einsatz der Feuerwehr in der brennenden Scheune sorgt sogar für ein bisschen Action in Zeitlupe. Auch Onneken hat jedoch nicht verhindert, dass die Figuren jenseits des Liebespaars üblichen Klischees entsprechen (Drehbuch: Klaus Henrik, Michael Kenda, Marie-Helene Schwedler). Mit Hilfe von Maries Eltern zum Beispiel behandelt der Film die schon oft erzählte Geschichte vom klassischen Ehepaar: Vater steht vor der Rente, Mutter hat sich dreißig Jahre lang für die Familie aufgeopfert und freut sich nun auf einen gemeinsamen Lebensabend; aber Ernst hat Angst vor der Leere, zumal er auf Drängen Irenes auch sein Amt als Kommandant der Freiwilligen Feuerwehr abgeben muss. Ähnlich stereotyp fällt Daniel (Jonas Holdenrieder) aus, ein typischer trotziger Teenager, den seine rötlichen Haare erst recht als Rebellen ausweisen. Der Junge raucht, trinkt, ist renitent, gönnt seinem verwitweten Vater das neue Glück nicht und opponiert nach Kräften gegen Marie. Selbstverständlich hat er das Feuer gelegt, um die Hochzeit zu verhindern. Marie erwartet, dass Daniel zu seiner Tat steht. Stattdessen nimmt Stefan die Brandstiftung auf sich; dabei ist er gerade erst zu Ernsts Nachfolger ernannt worden. Dass Daniel abhaut, ist ebenfalls typisch für solche Storys und regelmäßig der Anlass, der die Liebenden wieder zueinander führt.
Foto: ZDF / Susanne Bernhard
Zum Ausgleich sorgt die Feuerwehr für ein neues Element am Sonntagabend. Weil der Truppe der Nachwuchs fehlt, sollen zwei Wehren miteinander fusioniert werden, aber das Kommando hätte der Nachbarort; und ausgerechnet der stockkonservative Ernst, der die Feuerwehr als letzten Hort der Männlichkeit betrachtet, hat eine Idee, die für seine Verhältnisse geradezu revolutionär ist. Für Onnekens Inszenierung gilt das nicht, selbst wenn „Marie fängt Feuer“ nicht zuletzt dank der Parallelen zu den Heimatdramen „Lena Lorenz“ & „Hanna Hellmann“ wie eine Donnerstagsreihe wirkt. Aber die Figuren sind ausnahmslos treffend besetzt, und außerdem lohnt sich der Film schon allein wegen Christine Eixenberger. Auch Fierek kriegt seine Auftritte – und sorgt damit für die wenigen ausgesprochen heiteren Momente.
Die zweite Episode, „Vater sein dagegen sehr“, zeigt das ZDF am 27. November. Auch hier wird zwar nicht geklärt, warum Marie ihren Max schon als junger Teenager bekommen hat und was aus dem Vater des Jungen geworden ist. Das Thema kommt aber zur Sprache, als sie sich eines zutiefst schockierten jungen Mädchens annimmt: Das Kind hat zufällig rausgefunden, dass sein Vater (Michael A. Grimm) nicht der Erzeuger ist. Natürlich wird auch die Geschichte von Marie, Stefan und den beiden Jungs weitererzählt. „Was bisher geschah“ müssen die Hauptfiguren in typischen „Du weißt ja“-Sätzen referieren. Das Liebespaar hat seine Hochzeit erst mal verschoben, zumal der Schreiner eine Arbeit in einem achtzig Kilometer entfernten Ort annehmen will, um den durch den Brand entstandenen Schaden bezahlen zu können; für den Übeltäter Daniel hatte die Tat offenbar keine Konsequenzen. Diesmal ist der Junge deutlich umgänglicher. Trotzdem wird er erneut auffällig, wenn auch nicht im strafbaren Sinn: Max hat sich in eine Mitschülerin verguckt, aber die interessiert sich in erster Linie für Daniel. Marie hat derweil für jeden ein offenes Ohr, auch für Ernst, der seine Frau an den Rand der Verzweiflung bringt, weil er den Haushalt „durchorganisiert“. Es wäre schön, wenn das ZDF die Geschichte fortsetzen würde. (Text-Stand: 2.11.2016)