„Freude, schöner Götterfunken…“, liest der 20-jährige Ludwig van Beethoven (Anselm Bresgott) etwas steif von einem Zettel ab. Gerade hat sich der junge Mann, den der frühe Tod der Mutter und der darauffolgende Absturz des in die Alkoholsucht flüchtenden Vaters in die Rolle des Familienoberhaupts drängte, an der Universität Bonn in Philosophie und Literatur eingeschrieben. Bei Friedrich Schillers Gedicht „Ode an die Freude“ höre man schon beim Lesen die Töne, sagt er. Und beginnt die Melodie zu summen, in die wohl nahezu das gesamte Fernsehpublikum einstimmen könnte. „Schreib’s auf, Ludwig“, fordert ihn sein Lehrer, der Bonner Hoforganist Christian Gottlob Neefe (Ulrich Noethen), auf. Ganz ohne Beethovens meistgespieltes Werk geht es in „Louis van Beethoven“ nicht, aber erst im Abspann ist das Finale der 9. Sinfonie, eingespielt vom WDR Sinfonieorchester, tatsächlich zu hören.
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Autor-Regisseur Niki Stein bietet dem Publikum durchaus kein gefälliges Weihnachtskonzert mit den größten Klassik-Hits des 1770 geborenen Komponisten. Seine Auswahl orientiert sich weitgehend an der filmischen Dramaturgie, die gerade Beethovens produktivste Wiener Jahre ab 1792 ausspart. Konsequenter Weise liegt der Schwerpunkt auf den frühen Klaviersonaten sowie den späten Streichquartetten, ergänzt durch zeitgenössische Werke, vor allem von Wolfgang Amadeus Mozart. Der junge Beethoven spielt auch Johann Sebastian Bach, passend auf den historischen Instrumenten des Czech Ensemble Baroque. Und ein halbes Jahr vor seinem Tod kommentiert Beethoven den Walzer von Johannes Strauß herablassend: „Mit so etwas kann man heutzutage Geld machen?“ Häufig wird die Musik live vor der Kamera eingespielt, was viel lebendiger klingt, als wenn sie nur aus dem Off zu hören wäre.
Österreichs Schauspiel-Star Tobias Moretti übernahm die Rolle des späten Meisters, der nichts mehr hört, seinen Neffen, Schüler, Gehilfen und Ziehsohn Karl (Peter Lewys Preston) malträtiert und alle Musiker überfordert. Als „unspielbar“ gilt der Beethoven, der gern auf die damals gängigen Kompositionsregeln pfeift. Moretti verkörpert das taube Genie aufbrausend, unnachgiebig, stets misstrauisch blickend, nicht als verzweifelter Leidensmann, aber als Gefangener seiner eigenen Welt. Niki Stein versteht es, der eigentlich unfassbaren Situation eines tauben Musikers und Komponisten durch die Inszenierung zumindest in Ansätzen gerecht zu werden. Da hört das Publikum, wie Beethoven selbst, nur dumpfe Töne, während die Menschen auf ihn einreden. Einfaches kann er von den Lippen ablesen, kommuniziert jedoch mit seinen Mitmenschen meist über ein kleines Notizbuch. Aber wenn des Meisters Augen über das Notenblatt wandern, erklingt die Musik in üppiger Fülle, als könne Beethoven die Töne allein durchs Lesen hören. Und manchmal, etwa um die geizige Schwägerin Therese (Johanna Gastdorf) zu ignorieren, kommt ihm die Taubheit vielleicht auch ganz gelegen.
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Ein Besuch bei seinem Bruder Johann (Cornelius Obonya) und deren Frau Therese im Herbst 1826 in Krems bildet die Rahmenhandlung für das Biopic. Beethoven steht trotz des Erfolgs seiner 9. Symphonie unter Druck. Seine Auftraggeber verlangen ein neues Finale für die Streichquartette. Karl trieb er mit seiner Ungeduld und Härte sogar zu einem Selbstmord-Versuch. Gleichzeitig erinnert ihn ein Brief von Eleonore von Breuning daran, dass er selbst einmal verliebt gewesen ist. „Oft sogar, aber die wollten alle nicht mitkommen in meine Welt“, sagt Beethoven zu Karl. Die angedeutete Liebe zu Eleonore (Caroline Hellwig) ist ebenso wenig eindeutig belegt wie die angeblichen Begegnungen des jugendlichen Beethoven mit Wolfgang Amadeus Mozart in Wien 1787, aber beides ist auch nicht völlig aus der Luft gegriffen. In Rückblicken springt Niki Stein nun immer wieder in die Bonner Kindheit und Jugend zurück und erzählt eine „Coming of Genius“-Geschichte, wie er selbst sagt. Nicht jeder, der sich an rheinischem Singsang versucht, klingt allerdings wirklich überzeugend.
„Beethoven verkörpert, wie kein Zweiter, die Emanzipation des Künstlers von einem an Leibeigenschaft grenzenden Abhängigkeitsverhältnis zu seinem Brotherren hin zum selbstständig handelnden, vom Ertrag seiner künstlerischen Tätigkeit lebenden, freien Bürger. Beethoven steht damit stellvertretend für die gesellschaftliche Entwicklung seiner Zeit, die vor allem durch den ungeheuren Umbruch durch die Französische Revolution geprägt ist. (…) Für mich ist diese Geschichte hochaktueller denn je: Die Neuerungen, der Aufbruch der achtziger und neunziger Jahre des 18. Jahrhunderts zeigen durchaus Parallelen zu dem Geist der sechziger und siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Auch musikalisch waren diese Jahre, nach der Klassik und ihren Fortläufern, wohl die prägendsten Jahre der Musikgeschichte. Und wieder sind wir in einer Zeit angekommen, die alles zurückdrehen will, die den Freiheitsgedanken diskutiert, die in Frage stellt, ob wirklich alle Macht vom Volke ausgehen muss.“ (Niki Stein, Buch & Regie)
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Es beginnt mit der Szene einer nächtlichen Ruhestörung, weil der ehrgeizige Vater Jean (Ronald Kukulies) den jungen Louis bis zum frühen Morgen üben lässt. Der lässt sich durch den tobenden Vater allerdings nicht aus der Ruhe bringen und wirkt kein bisschen so, als hätte er schon Stunden geübt. Das sollte man dem talentierten Jungmusiker Colin Pütz allerdings nicht ankreiden, am Piano schlägt er die anderen Beethoven-Darsteller ohnehin um Längen. Eindrucksvoll im ersten Viertel des Films ist außerdem der mitreißende Auftritt von Sabin Tambrea, der als rebellischer Schauspieler und Sänger eines Tourneetheaters Bühne und Film rockt. Für kurze Zeit ist dieser Tobias Pfeiffer Louis‘ Lehrer, ehe er bei Nacht und Nebel vor den Bütteln der Feudalherrschaft fliehen muss. Den Kurfürst hatte er im vollen Saal provoziert, indem er aus der 1776 verfassten Amerikanischen Unabhängigkeitserklärung zitierte. Dass „alle Menschen vor Gott gleich erschaffen und mit unveräußerlichen Rechten bedacht wurden“, war auch im damals vergleichsweise liberalen Bonn eine Ungeheuerlichkeit.
Das Barocktheater Cesky Krumlov, ein Unesco-Weltkulturerbe, konnte bei den Dreharbeiten in Tschechien als prächtige Kulisse genutzt werden. Und auch sonst wirkt das Szenenbild für eine Fernsehproduktion über zeittypische Kutschen, Perücken und Kostüme hinaus bemerkenswert üppig, insofern hat „Louis van Beethoven“ einigen Schauwert zu bieten. Ein Vergleich mit Milos Formans Kino-Klassiker aus dem Jahr 1984 drängt sich auf, wäre aber sicher ein bisschen ungerecht, denn das Budget von „Amadeus“ (geschätzt 18 Millionen US-Dollar) dürfte mindestens um das Dreifache höher gelegen haben. Es gibt auch keinen Krieg der Komponisten wie in „Amadeus“ zwischen Salieri und Mozart, sondern nur ein recht friedliches Duett, zu dem Beethoven von Mozart aufgefordert wird.
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Erst einmal wird Louis jedoch vom Bonner Hoforganisten Neefe unter die Fittiche genommen. In Helene von Breuning (Silke Bodenbender), der „ersten Dame der Bonner Gesellschaft“, findet er außerdem eine Förderin aus dem Adelsstand. 1784 übernimmt mit Maximilian Franz von Österreich ein neuer, für Reformen aufgeschlossener Herrscher die Macht im Kurfürstentum Köln. Nun übernimmt Anselm Bresgott („Druck“) die Rolle des hochbegabten Jung-Komponisten, der mit Einverständnis des Kurfürsten 1787 nach Wien geschickt wird, wo Mozart (Manuel Rubey) der musikalische Star ist. Der 17-jährige Beethoven wird allerdings von seinem unzuverlässigen, eitlen Vorbild meist sitzen gelassen und rennt Mozart vergeblich hinterher. Immerhin kommt es zu einem improvisierten Duett, das sich Niki Stein als fiktiven Höhepunkt für die mögliche Wiener Begegnung ausgedacht hat. Mozart und Beethoven, gemeinsam musizierend: eine wahrlich verlockende Vorstellung.
Zurück in Bonn, hat Beethoven erst einmal andere Sorgen: Kurz nacheinander sterben die Mutter Magdalena (Tatiana Nekrasov) und seine kleine Schwester. Der Vater ertränkt seinen Schmerz in den Bonner Schenken und macht Schulden. Ludwig, der älteste von drei Brüdern, übernimmt die Rolle des Familienoberhaupts, wobei Niki Stein nicht Alltag und soziale Not in den Vordergrund rückt, sondern die Standesunterschiede. Ludwig wettert gegen die „gepuderten Gecken mit Schönheitsflecken“, ärgert sich darüber, dass „selbst Mozart vor denen zu Kreuze kriechen muss“, und lässt den Grafen Spee seine Abneigung auch handgreiflich spüren. Einen revolutionären Mythos um Beethoven baut der Film gleichwohl nicht auf, und überhaupt vermeidet es Niki Stein erfreulicher Weise, den bedeutenden Komponisten mit übermäßigem Pathos zu feiern. Auch wer kein Beethoven- oder Klassik-Fan ist, wird in diesem kurzweiligen Biopic intelligent unterhalten. (Text-Stand: 26.11.2020)
Foto: Degeto / WDR / ORF / Tom Trambow
Die Musik Beethovens im Film
Streichquartette:
Große Fuge B-Dur (Op. 133) Artemis Quartett / Czech Ensemble Baroque
Nr. 1 in F-Dur (op. 18,1) 2. Satz Adagio affettuoso ed appassionato / Artemis Quartett
Nr. 13 B-Dur (Op. 130) 2. Satz Presto / Artemis Quartett
Nr.13 in B-Dur (Op. 130) 6. Satz Finale – Allegro / Auryn Quartett
Nr.14 cis-moll (Op. 131) 5. Satz Presto / Artemis Quartett
Nr.16 F-Dur (Op. 135) 4. Satz Allegro / Artemis Quartett / David Marlow (Hammerklavier)Klaviersonaten:
Nr.14 in cis-Moll (op. 27,2) „Mondscheinsonate“ Peter Lewys Preston
D-Moll (op.31,2) „Der Sturm“ / Peter Lewys Preston
F-moll (WoO47) „Kurfürstensonate“ Larghetto Maestoso – Allegro assai / Colin PützKlavierquartett:
C-Dur (WoO 36) / David Marlow, Jiri Havrlant, Barbara Willi / Czech Ensemble Baroque7. Sinfonie in A – Dur, 2. Satz / WDR Sinfonieorchester; Jukka Pekka Saraste
Variationen F-Dur über Se vuol Ballare (WoO40) Hiro Kurosaki (Violine); Linda Nicholson (Hammerklavier)
Variationen F-Dur über Se vuol Ballare (WoO40) / David MarlowAcht Variationen für Klavier zu vier Händen (WoO 67) / Dominik Maringer; David Marlow
Bagatelle Op. 119, 1 Dominik Maringer
Variationen in D-Dur (WoO65) „Righini-Variationen“/ David Marlow