Eine Tischlertochter am Bauhaus hat Pläne: Holzbaukästen sind erst der Anfang…
Weimar 1920. Ein Jahr nach der Eröffnung des Bauhauses ist die Kunstschule in der Bevölkerung verrufen als ein Sammelbecken von Spinnern und Klecksern, von Kommunisten und Nudisten. Auf die künstlerisch begabte Lotte Brendel (Alicia von Rittberg), Aushilfskraft im elterlichen Tischlerbetrieb, übt dieser individualistische Lebensstil eine magische Anziehungskraft aus. Nachdem der Student Paul Seligmann (Noah Saavedra) Lotte überschwänglich mit dem Lehralltag am Bauhaus und dessen Kunst-Philosophie vertraut gemacht hat, ist sie wie elektrisiert: Sie bewirbt sich, wird angenommen, bricht mit ihrem Elternhaus und tut früh Quellen auf zum Geldverdienen. Lotte genießt die Gemeinschaft – mit der androgynen Friedl (Nina Gummich), der hilfsbereiten Anni (Marie Hacke) oder der kratzbürstigen Dörte (Julia Riedler) – und sie verliebt sich in Paul, mit dem sie Pläne schmiedet vom gemeinsamen Häuserbauen und Möbelentwerfen. Der Mann, der ihr dabei gelegentlich im Weg steht, obwohl er 1919 die Gleichbehandlung von Männern und Frauen in der Bauhaus-Ausbildung auf seine Fahnen geschrieben hat, ist der Bauhaus-Begründer und Design-Papst Walter Gropius (Jörg Hartmann). Aus politischen Gründen, weil der Druck von rechts zunimmt und die Finanzierung unsicherer wird, muss dieser in der Frauenfrage zurückrudern. Aber Tischlertochter Lotte, deren Holzbaukästen ein Verkaufsschlager werden, lässt sich nicht in die Weberei abschieben. Nach der erfolgreichen Mitarbeit an einem Musterhaus wachsen für Lotte und Paul die Träume in den Himmel. Doch dann ist Lotte schwanger, und der Umzug der Kunstschule nach Dessau beschert Paul dort einen Job als Bauleiter. Jeder hat nun sein „Baby“, aber hat sich das Lotte so vorgestellt?!
Ist das der Beginn einer wunderbaren Liebe…?
Gerade noch mitten in einem Straßenkampf versteht sich Paul aufs Dozieren: „Wozu brauchen wir Kunstwerke, die nichts mit dem Leben zu tun haben. Die Welt verändert sich, und die Kunst muss Antworten geben. Wie können unser Leben wieder langsamer machen? Und wie können wir schöne Dinge für alle herstellen und nicht nur für ein paar reiche Säcke?“ Lotte antwortet mit Ironie und hinreißendem Lächeln: „Fragen über Fragen und keine Antworten, du Ärmster.“
Foto: MDR / Stanislav Honzik
„Lotte am Bauhaus“ ist ein Jubiläumsfilm, der nicht wie eine Pflichtübung aussieht
Man muss schon auf runde Jubiläen hoffen, damit dem deutschen Fernseh(film)zuschauer auch einmal besondere historische Stoffe nähergebracht werden, die nicht dem Mainstream oder der öffentlich-rechtlichen Polit- und Bildungskanon-Routine entspringen. 100 Jahre Bauhaus ist so ein Geburtstag, und „Lotte am Bauhaus“ ist ein Film, der nicht wie eine Pflicht-Übung aussieht, sondern als populäre Ergänzung gesehen werden kann zu den diesjährigen Events für die eingeweihten Kunstinteressierten. Die in den 105 Minuten aufgefächerte Geschichte mit einem anderen Jubiläum aus dem Jahre 1919 kurzzuschließen, dem Wahlrecht der Frauen, ist nicht nur in Hinblick auf die vornehmliche Fernsehfilmklientel eine gute Idee. Die 14 Jahre deutsche Bauhaus-Geschichte aus dem Blickwinkel einer jungen Frau zu erzählen, dahinter steckt mehr als die Konvention, die Fiktion im Fernsehen auf frauenaffin zu modeln. Die weibliche Sicht ermöglicht es, einen wesentlichen Aspekt der gesellschaftlichen Realität jener Jahre einzufangen: die Benachteiligung des weiblichen Geschlechts.
Ein klug reduziertes Erzählkonzept: eine Frau, die die Gesellschaft mitgestalten will
Im Mittelpunkt steht eine junge Frau, die lernt, ihre Interessen zu vertreten und ihre Bedürfnisse umzusetzen, die erkennt, dass sie nicht weniger kreativ ist als die männlichen Studenten, eine Frau, die gegen alle Widerstände Autonomie, Liebe, Mutterschaft und Beruf unter einen Hut zu bringen versucht und die die Gesellschaft mitgestalten möchte. Der Fokus liegt auf der Aufbruchsstimmung der Zeit, die Ursprungsfamilie verkörpert das Gestern und wird aus der Geschichte verbannt („Wenn du jetzt gehst, dann gehst du für immer“). Der Plot eröffnet keine weiteren Baustellen. Wie zuletzt auch bei Ausnahme-Biographien wie „Kästner und der kleine Dienstag“ und „Katharina Luther“ oder dem Zeitgeist-Biopic „Der große Rudolph“ zeichnet sich der Film von Gregor Schnitzler („Spieltrieb“) durch sein klug reduziertes Konzept aus. Zwei Männer spielen in Lottes Leben wichtige Rollen. Alle Nebenfiguren tragen zum Horizont der 1920er Jahre bei und sind nur in ihrer Funktion für die Hauptfigur interessant, was durch die Betonung ihrer Individualität nicht unangenehm auffällt. Auch alles Ideologische findet maßvoll Eingang in die Handlung: die rechtsnationalen Kräfte im Bauhaus, die Braunhemden, aber auch die Szenen, in denen sich Lotte als Frau respektlos behandelt sieht und die auch gelegentlich die Beziehung des Liebespaars tangieren.
Foto: MDR / Stanislav Honzik
Aus „Lotte am Bauhaus“ hätte man auch gut eine sechsteilige Serie machen können
Für das ZDF und Arte entsteht gerade Lars Kraumes „Die Neue Zeit“, eine Serie über die Bauhaus-Frauen; im Zentrum steht die deutsche Malerin und Grafikerin Dörte Helm. Keine Frage, auch aus „Lotte am Bauhaus“, dieser Geschichte um Lotte Brendel, die von mehreren Bauhaus-Frauen inspiriert wurde, hätte sich – gerade mit einer Alicia von Rittberg – mehr machen lassen als nur ein Einzelstück; mindestens eine sechsteilige Drama-Serie wie „Charité“, die ja ihrerseits pro Staffel gut und gerne zehn statt sechs Folgen gebraucht hätte, um eine Serie von internationalem Top-Format zu werden. Und führt man sich die Wirkungsgeschichte des Bauhauses vor Augen, ließe sich ein solches Serien-Projekt sogar noch weiterspinnen. Das wäre dann wohl auch ganz im Sinne jener euphorischen Bauhäusler, wie sie im Film die neue Zeit und die Moderne in der Kunst feiern. Für öffentlich-rechtliche Produktionsverhältnisse aber kann man mit dem Ergebnis mehr als zufrieden sein. „Lotte am Bauhaus“ weiß sein Format bestmöglich zu nutzen. Gleich in der ersten Szene setzen Schnitzler und Autor Jan Braren („Homevideo“) auf eine sinnliche Metapher für den Freiheitsdrang der Bauhaus-Studenten und die ansteckende Wirkung auf die Heldin, die sich am liebsten auch gleich die Kleider vom Leibe reißen würde, um mitzumachen bei deren nudistischer Tollerei. Es folgen ein bisschen häuslicher Kontrast, Lottes große Leidenschaft für das Kopieren alter Meister, ihr „ungebührlicher“ Hang zu Widerworten und dann – ein Bauhaus-Aufsager & ein hinreißendes Lächeln später – ist man nach genau acht Filmminuten mittendrin in der Geschichte: „Da sind wir, das sittenlose, gemeingefährliche Bauhaus!“
„Zeitenwende, Bruch mit der alten Welt, die im Ersten Welt-krieg Bankrott gemacht hatte, Aufbruch der Jugend, Sehn-sucht nach dem Neuen in Kunst, Design und Architektur, Kampf um gleiche Rechte für Frauen in Leben und Beruf, Multikulturalismus statt nationaler Enge, kurz: Abschied vom Gestern. Das alles war das Bauhaus 1919 – 1933, und darum ist sein Mythos heute lebendiger als je.“ (Prof. Dr. Christoph Stölzl, Fachberater für den Film)
Foto: MDR / Stanislav Honzik
Braren und Schnitzler rekonstruieren ein Stück weit die Klarheit des Bauhaus-Codes
„Lotte am Bauhaus“ spielt vor fast 100 Jahren. Aber die Sprache im Film wirkt modern, verzichtet auf historisierende Rhetorik und barocke Handlungsführung. Damit rekonstruiert Autor Braren ein Stück weit die Klarheit des Bauhaus-Codes. „Die Funktion liefert das Kriterium für die Gestaltung“, heißt es im Film. Weniger radikal drückt es Gropius aus: „Um die Dinge richtig zu gestalten, müssen wir ihr Wesen durchdringen, ihren Zweck erforschen und ihre Funktion bestimmen; das gilt für einen Stuhl ebenso wie für einen Tisch oder ein Haus.“ Oder für einen Film, könnte man ergänzen. Die Regeln, was die Verwendung von Form, Farbe und Material angeht, lassen sich schließlich auch auf die Filmsprache übertragen. Soweit das in einem Primetime-Fernsehfilm möglich ist, beherzigen die Macher durchaus die Gesetze der Einfachheit und der Effektivität. Aber auch im Erzählten wird der typische Bauhausstil mit seinen klaren Linien und Formen immer wieder ins Bild gerückt: beispielsweise in den faszinierenden multifunktionalen Baukastenentwürfen der Heldin, den Konstruktionszeichnungen oder den Architektenplänen für das Dessauer Bauhaus, die mit digitaler Bildbearbeitung eindrucksvoll in die realen Gebäudeansichten übergehen. So bekommt sogar der Zuschauer, dem bei Bauhaus nur Freischwinger und Wagenfeld-Lampen einfallen, ein Gespür für das Wesen dieser innovativen kunsthandwerklichen Formensprache.
Eine sehr lebendige Figur, eine anmutige Alicia v. Rittberg, ein bitterer Wohlfühlfilm
Den Geist des Bauhauses emotional zu vermitteln, diese Aufgabe kommt der Titelfigur und Hauptdarstellerin Alicia von Rittberg zu. Von der Handwerkertochter im Woll-Rock und mit Rosen-Resli-Frisur zur „Vollblut-Bauhäuslerin mit Kurzhaarschnitt und moderner Kleidung im Architektinnenstil“ (von Rittberg) nimmt einen diese Lotte Brendel mit durch diesen mitunter ekstatischen Aufbruch der Jugend in Richtung Neuzeit. Diese so lebendige Figur, anfangs unbekümmert, forsch und begeisterungsfähig, später selbstbewusst, couragiert, stolz und kämpferisch, verführt Zuschauer jeden Geschlechts, und die Anmut der Hauptdarstellerin trägt das Übrige dazu bei, dass diese Geschichte auch als Wohlfühlfilm mit bitterem Ausklang funktioniert. Wenn die Beziehung von Lotte und Paul im Schlussdrittel in die Krise gerät, damit die Frau beweisen kann, dass sie in der Lage ist, sich als alleinerziehende Mutter durchzuboxen, bleibt wenigstens die Hoffnung auf das kleine – amouröse – Happy-End. Was in anderen Filmen leicht in Kitsch ausgeartet wäre, das wird in „Lotte am Bauhaus“ durch das Erzählte, das geistige Ambiente, das Spiel eines frischen Ensembles, relativiert. So spielt beispielsweise Jörg Hartmann als finaler „Glücksbote“ Gropius, mit feiner Ironie im Text, nonchalant über den dramaturgisch-narrativen Trick hinweg – und alle sind zufrieden. Und auch der Schluss mit dem Ausblick auf die Bauhaus-Wirkungsgeschichte ist informativ und filmisch attraktiv zugleich. Fazit: Es muss also doch nicht immer eine ganze Serie sein!