Die Lage ist ernst, aber nicht hoffnungslos
Lotta (Josefine Preuß) hat es geschafft: Die junge, allein erziehende Mutter ist endlich Ärztin. Doch glücklich ist sie nicht mit ihrer ersten Anstellung im Krankenhaus ihrer Heimatstadt. Keiner nimmt sie ernst, ihr Chef (Bernhard Schütz) stellt sie bloß und dann ist sie auch noch bei ihrem Vater (Frank Röth) wieder eingezogen. Und obwohl Töchterchen Lilo mit ihrem Erzeuger in den Urlaub gefahren ist, kann Lotta die Pause von ihrer Mutterrolle so gar nicht genießen. Denn ihr Vater kippt um – und liegt dort im Krankenbett, wo die Tochter ihren Arbeitsplatz hat, besser: hatte – denn in einem ihrer berüchtigten Wutanfälle hat Lotta gekündigt. Das Erwachen kommt, vergeht aber wieder, denn „Arschloch“-Chef bleibt „Arschloch“-Chef – und außerdem hat sie mal wieder eine neue Herzensaufgabe: Sie muss die kurz vor der Insolvenz stehende Transportfirma ihres Vaters retten, da die Familie sonst sogar ihr Haus verliert. Die Lage ist ernst, aber nicht hoffnungslos. Bei ihrem kontraproduktiven Auftritt bei der Bank lernt sie eine ziemlich abgebrühte millionenschwere Unternehmerin (Andrea Sawatzki) kennen; der imponiert diese forsche junge Frau und sie stellt Lotta sogar zwei Aufträge in Aussicht. Für die Jungunternehmerin ein Anfang. Ihr Bruder Sebastian (Bernhard Piesk), vom Sommerurlaub heimgekehrt, sieht das nicht so optimistisch, reagiert vor allem aber beleidigt darauf, dass er in der Krise übergangen wurde und sein Vater plötzlich Lotta die Verantwortung für die Firma übergeben hat. Auch als die Arbeiter abspringen, stellt er sich stur, genauso wie Lottas lesbische beste Freundin (Sylta Fee Wegmann), die sich noch immer mehr von ihr erhofft – und so muss die approbierte Ärztin mit einem schweren Alkoholiker (Tilo Prückner), dem sie gerade erst gekündigt hatte, den Laden schmeißen.
Foto: ZDF / Britta Krehl
Soundtrack: Adele („Right as Rain“), The Bird and the Bee („I’m into something good“), Roisin Murphy („Checkin‘ on me“), James Blunt („Heart to Heart“), Amy MacDonald („Slow it down“), Doobie Brothers („Long Train Runnin'“), Zaz, Mighty Oaks („Back to you“), Joco („Why didn’t I see“), Hindi Zahra („Imik si mik“), Nick Straker Band („Walk in the Park“)
Neugierig, voller Tatendrang – und Selbstzweifel
Dass auch beim fünften ZDF-Alltagsabenteuer von Josefine Preuß’ Wirbelwind am Ende alles so läuft, wie sich das die Heldin vorstellt, davon ist auszugehen. Denn wie schon bei Astrid Lindgrens Kinderbuchfigur Lotta kann auch diese Geistesverwandte alles – und sie schafft jeden. In „Lotta & der dicke Brocken“ übernimmt sie wie gewohnt Verantwortung – nicht primär für sich, ihr Kind oder für Menschen, die keine Fürsprecher haben, sondern sie hilft erstmals ihrem Vater, zu dem sie seit Jahren ein Nicht-Verhältnis pflegt. Lotta geht einen Schritt weiter auf ihrem Lebensweg, zeigt sich flexibel und hilfsbereit wie gewohnt, nimmt eine Auszeit von ihrem Traumberuf, die ihr vielleicht gar nicht mal so ungelegen kommt. Ihr Wirken als Ärztin hat sie sich anders vorgestellt. „Was wollen Sie wirklich?“, fragt am Ende die von Andrea Sawatzki streng und ein bisschen geheimnisvoll gespielte Unternehmerin im Rollstuhl. „Sie müssen sich selbst mögen“, gibt sie ihr einen weiteren Rat fürs Leben. Wer die Entwicklung der Filmfigur nach Annegret Heldts Roman „Die letzten Dinge“ verfolgt hat, weiß, dass diese quirlige Mittzwanzigerin, nach außen eine echte Lotta, neugierig und wild auf neue Erfahrungen, gleichzeitig voller Selbstzweifel steckt, die sie eben gerade mit ihrem Aktionismus zu besänftigen versucht. Und er weiß, dass sie zwar langsam an Reife gewinnt, aber nicht das werden möchte, was andere „erwachsen“ nennen – sprich: diplomatisch und pragmatisch. Dieses „andere“ Erwachsenwerden, dass sie eine große Ehrlichkeit an den Tag legt, ihr berechnendes Verhalten fremd ist und dass sie sich nicht andauernd entschuldigt für ihre gelegentlichen „Ausrutscher“, das macht – seit 2010 – viel vom Reiz dieser Reihe aus.
Foto: ZDF / Britta Krehl
Die Lage ist hoffnungslos, aber nicht ernst
Was für die Haltung Lottas gilt, das gilt auch für die Tonlage der „Lotta“-Filme. Die Lage ist hoffnungslos, aber nicht ernst. Die Handlung ist auch diesmal mehr oder weniger austauschbar, sie ist Vorwand, um die Heldin einen weiteren Entwicklungsschritt gehen und den Zuschauer unterhaltsam daran teilhaben zu lassen. Alles, was in „Lotta & der große Brocken“ passiert, ist vor allem relevant in Bezug auf die Heldin. Kein Konflikt ist als Konflikt nachhaltig. Das gilt leider auch für die Spannungen innerhalb der Familie; selbst die angeknackste Beziehung zwischen Bruder und Schwester wird nur behauptet, nicht vertieft und am Ende einfach nur weggetanzt. Es ist schade, dass die ernsthaften Ansätze der Geschichte so verpuffen, dass sie viele Zuschauer wohl nicht einmal wahrnehmen werden. Dramaturgisch sollte man den Film mit anderem Maß messen als andere Komödien. Der Alltag, nicht eine ausgeklügelte Erzählstruktur gibt den Rhythmus des Films vor: ein ewiges Auf und Ab. Gerade läuft alles gut, da kommt die nächste Hiobsbotschaft, die Lottas Rettungspläne über den Haufen schmeißt. Wäre da nicht die sympathisch sprunghafte Hauptfigur und Josefine Preuß („Die Pilgerin“), die dieses Hin und Her charmant zu überspielen weiß, könnte man dem Drehbuchautor Sebastian Orlac durchaus eine gewisse Einfaltslosigkeit vorwerfen. Aber diesem Film kann man nicht lange böse sein. Und weil das so ist, nimmt man ihn als das, was er sein will: eine One-Women-Show, eine Entwicklungs-Geschichte als sommerlicher Gute-Laune-Film mit treffsicherer Popmusik verpackt, sympathisch gespielt, routiniert, aber mit großem Spaß gedreht. Und mal gibt es auch ein passendes Sprachbild. Was sagt doch der Poet unter den Fuhrarbeitern? „Ein sinkendes Schiff – und wer übernimmt das Steuer? Eine Maus.“ (Text-Stand: 29.2.2016)