Lauchhammer – Tod in der Lausitz

Maticevic, Johne, Hosemann, Zertz/Hunfeld, Franzen. Gottes Werk & Teufels Beitrag

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Foto: Key Visual / MDR
Foto Tilmann P. Gangloff

Die herausragend gute Krimiserie „Lauchhammer – Tod in der Lausitz“ (MDR, RBB, Arte, Degeto / Moovie) lässt sich leicht auf einen Handlungskern reduzieren: Ein Kommissar (Misel Maticevic) wird nach dem mysteriösen Mord an einem Teenager mit den Gespenstern seiner Jugend konfrontiert. Tatsächlich erzählen die sechs Folgen vom strukturellen und kulturellen Wandel einer ganzen Region, vom Klimawandel ganz zu schweigen. Das vielköpfige Ensemble ist exzellent zusammengestellt, die Bildgestaltung ist ausgezeichnet. Nicht minder preiswürdig ist die Leistung von Frauke Hunfeld und Silke Zertz: Die Autorinnen haben die vielen Erzählstränge mit großem Geschick zu einem Handlungsteppich verwoben. Viele sechsteilige Miniserien ließen sich problemlos auch als Fernsehfilm-Zweiteiler erzählen; dank der dichten Umsetzung durch Regisseur Till Franzen ist „Lauchhammer“ keine Minute zu lang.

Einst hat Gott die brandenburgische Lausitz als Königin unter den Landschaften erschaffen; aber dann hat der Teufel die Kohle darunter gelegt, raunt die Stimme des Erzählers. Deshalb zeigen die Bilder zwischendurch immer wieder Aufnahmen einer Region, die tot wie der Mond wirkt: eine menschenleere Gegend, in die ein gigantischer Bagger mit mechanischer Gleichgültigkeit riesige Wunden reißt. In der Nähe des Tagebaus haben sich Klimaschützer in einem Wald eingenistet. Die sechsteilige Serie handelt auch vom Generationenkonflikt: Die Alten haben mit der Kohle einst das Land gewärmt und verstehen nicht, dass die Jungen dies nun als Frevel betrachten. In erster Linie ist „Lauchhammer – Tod in der Lausitz“ jedoch ein Krimi: Am Rand der riesigen Grube liegt die Leiche eines Teenagers. Dass dem Mädchen ein Schuh fehlt, scheint Zufall zu sein. Erst später wird sich herausstellen, dass dieses Detail Teil eines Schemas ist. Offenbar hat es schon weitere Morde nach ähnlichem Muster gegeben.

Lauchhammer – Tod in der LausitzFoto: MDR / Moovie / Anke Neugebauer
Der Tod eines Mädchens – ein gern genommenes Krimi-Sujet, u.a. auch deshalb, weil sich dadurch besonders die Möglichkeit ergibt, auch junge Charaktere in die Narration einzubinden und auch junge Serien-Zuschauer (über die Mediatheken) anzusprechen. In „Lauchhammer“ ist das allerdings kein billiges Kalkül. Die Autorinnen Silke Zertz und Frauke Hunfeld nehmen sich auch der Themen an, die den engagierten Teil der Jugend heute umtreiben. Das Lausitzer Braunkohlerevier gibt dafür die Steilvorlage.

Die Spur führt vierzig Jahre zurück. Triebtäter aller Art waren in den Verbrechensstatistiken der DDR nicht vorgesehen. Solche Delikte galten als typische Sumpfblüten westlicher Dekadenz. Natürlich gab es sie trotzdem, aber sie wurden von der Staatssicherheit unter den Teppich gekehrt; mit diesem Aspekt der ostdeutschen Kriminalgeschichte hat sich bereits vor einigen Jahren der Grimme-preisgekrönte Krimi „Mord in Eberswalde“ (2015) beschäftigt. Der Reiz von „Lauchhammer“ ist zunächst ein anderer. Er resultiert ähnlich wie in verschiedenen Episoden der österreichischen Reihe „Landkrimi“ aus der Konfrontation eines Kommissars mit den Gespenstern seiner Vergangenheit: Zuständig für die Ermittlungen ist das LKA Cottbus. Maik Briegand (Misel Maticevic) ist als Sohn des früheren Polizeichefs (Uwe Preuss) in Lauchhammer aufgewachsen, er kennt die Region und die Leute, was die Ermittlungen nicht immer erleichtert. Am Fundort der Leiche trifft er auf seine neue Partnerin: Annalena Gottknecht (Odine Johne) ist deutlich jünger, faktenfixiert und mit der Digitalisierung aufgewachsen; im Gegensatz zu Ihrem Kollegen braucht sie keinerlei Rücksicht auf Freund-, Seil- oder Verwandtschaften zu nehmen.

Lauchhammer – Tod in der LausitzFoto: MDR / Moovie / Steffen Junghans
Vergangenheit oder Zukunft? Familie spielt jedenfalls auch eine wichtige Rolle in der Geschichte. Ein solches harmonisches Zusammentreffen hat für den Kommissar (Misel Maticevic) Seltenheitswert. Denn der hat nur seinen Beruf im Kopf, und seine Ex-Frau (Julischka Eichel) einen anderen Kerl. Wenigstens bleibt sein Verhältnis zu seiner Tochter Jackie (Ella Lee) und seinen Schwiegereltern (Kelling & Grashof) gut. Allerdings sitzt ein (familiäres) Kindheitstrauma tief verkapselt in seiner Psyche.

Viele sechsteilige Serien à 45 Minuten würden auch als zweiteiliger Fernsehfilm funktionieren, oftmals sogar besser. Die Mini-Serie „Lauchhammer“ dagegen ist keine Minute zu lang. Die Autorinnen Frauke Hunfeld und Silke Zertz nutzen die Zeit, um eine Vielzahl faszinierender und markant besetzter Figuren einzuführen, von denen selbstredend einige als Verdächtige in Frage kommen, darunter der obdachlose Oliver (Lucas Gregorowicz), der mal Maiks bester Freund war, bis ihn ein traumatisches Jugenderlebnis komplett aus der Bahn geworfen hat, sowie ein vierschrötiger Polizist (Marc Hosemann), der auf eigene Rechnung arbeitet. Es haben ohnehin eine Menge Männer Dreck am Stecken, darunter auch Maiks Bruder (Christian Kuchenbuch), früher ebenfalls Polizist, der mit undurchsichtigen Geschäften zu Geld gekommen ist. Der Windigste von allen ist ein Wessi: Florian Langendorff (Arnd Klawitter) verkauft den gutgläubigen Einheimischen Träume von einem „Haus am See“, weil dereinst aus der Gegend eine prächtige Seenlandschaft werden soll, wenn der Tagebau erst mal eingestellt wird. Außerdem hat der Mann ein Verhältnis mit Maiks Ex-Frau.

Lauchhammer – Tod in der LausitzFoto: MDR / Moovie / Steffen Junghans
Ob Tag, ob Nacht – Die Bildgestaltung von Felix Novo de Oliveira („Unschuldig“, „Unsere wunderbaren Jahre“) ist stets beeindruckend. Odine Johne als Gottknecht.

Die Autorinnen haben diese personelle Gemengelage mit ihren rund zwei Dutzend Rollen zu einer Geschichte verwoben, deren Intensität nicht einen Moment nachlässt. Die Handlung schlägt ständig Haken, jede Antwort wirft neue Fragen auf. Mehr als bloß sehenswert ist „Lauchhammer“ auch wegen der Bildgestaltung. Regisseur Till Franzen und Kameramann Felix Novo de Oliveira haben der „Ostern“-Serie (mit kurzem „O“) ein scheinbar schlichtes, aber effektvolles Lichtkonzept verpasst: Die Außenaufnahmen sind in gleißende Hochsommerhelligkeit getaucht, die eine trostlose Endzeitstimmung verbreitet und die Unwirtlichkeit des Ostelbischen Braunkohlereviers verstärkt; innen ist es dagegen gern düster, weil sich die Menschen vor der Hitze schützen. Rottöne gibt es gar keine, Grün nur wenig. Dass sich die Kamera mitunter gern in Kniehöhe bewegt, ist gleichfalls mehr als bloß eine Spielerei: Bei allen Opfern findet sich ein Wolfsbezug, Wölfe werden zudem regelmäßig erwähnt. Die Rückblenden konzentrieren sich dank einer speziellen Optik auf das Zentrum der Bilder, die Ränder bleiben unscharf. Das entspricht der menschlichen Erinnerung, die sich gern ein auf ein Ereignis fokussiert und das Drumherum außer acht lässt. Franzen hat zuletzt für die ARD-Tochter Degeto Charlotte-Link-Verfilmung „Die Suche“ mit Henny Reents und Lucas Gregorowicz gedreht; auch dort spielte die Landschaft die heimliche Hauptrolle.

Lauchhammer – Tod in der LausitzFoto: MDR / Moovie / Steffen Junghans
Der Ausverkauf der Region. Und sie werden in diesem Leben keine Freunde mehr: der windige Träume-Verkaufer Florian Langendorff (Arnd Klawitter) und der LKA-Mann aus Cottbus, der in seiner alten Heimat ermitteln muss. Dass der Geschäfte-Macher eine Liaison mit Briegands Ex-Frau hat, macht das Verhältnis nicht leichter.

Und dann sind da noch die beiden Hauptfiguren. Misel Maticevic ist eine famose Besetzung für den tiefenentspannten Kommissar, der aber auch anders kann, wie eine Rückblende mit Gewaltexplosion offenbart. In einer der schönsten Szenen schimpft die neue Kollegin über ihre pedantische frühere Chefin, ohne zu merken, dass all’ die Negativattribute, die sie aufzählt, eine perfekte Selbstbeschreibung sind; Maik schaut sie bloß an und lächelt stillvergnügt in sich hinein. Neben der Akribie, mit der Gottknecht sämtliche Kollegen nervt, zeichnet sie sich vor allem durch einen Lara-Croft-Stil aus, der ihre Zierlichkeit betont, sie aber auch angriffslustig wirken lässt. Endgültig preiswürdig ist schließlich die Leistung von Hunfeld und Zertz, die die vielen verschiedenen Erzählstränge mit großem Geschick zu einem Handlungsteppich verwoben haben und nebenbei auch noch den strukturellen und kulturellen Wandel der Region erzählen; vom Klimawandel ganz zu schweigen. Im Unterschied zu anderen Serien mit ähnlich großem Ensemble verliert man nie den Überblick, was nicht zuletzt eine Frage der Besetzung ist. Dazu zählt, wenn auch ungenannt, unter anderem Walter Kreye, dessen unverwechselbare Erzählstimme jede Episode einleitet. (Text-Stand: 15.8.2022)

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ARD Degeto, Arte, MDR, rbb

Mit Misel Maticevic, Odine Johne, Marc Hosemann, Jacob Matschenz, Ella Lee, Lucas Gregorowicz, Uwe Preuss, Arnd Klawitter, Malik Blumenthal, Martina Schöne-Radunski, Hilmar Eichhorn, Christian Kuchenbuch, Kai Ivo Baulitz, Petra Kelling, Christian Grashof

Drehbuch: Silke Zertz, Frauke Hunfeld

Regie: Till Franzen

Kamera: Felix Novo de Oliveira

Szenenbild: Axel Nocker, Marie-Luise Best

Kostüm: Dorothée Kriener

Schnitt: Simone Bräuer, Robert Kummer

Musik: Andreas Weidinger, Christoph Zirngibl

Soundtrack: Stéphane Huguenin („Stay By My Side“), Manfred Krug („Es steht ein Haus in New Orleans”), Christian Padovan, Stéphane Huguenin & Yves Sanna („Love You”)

Redaktion: Sven Döbler (MDR), Kerstin Freels (RBB), Christoph Pellander (Degeto), Eva-Maria von Geldern (Arte)

Produktionsfirma: Moovie

Produktion: Heike Voßler, Kathrin Bullemer

Drehbuch: Silke Zertz, Frauke Hunfeld

Regie: Till Franzen

EA: 01.09.2022 10:00 Uhr | Arte

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