Wenn die Dinge dauern, so lange sie eben dauern, und das Leben einen ruhigen Gang geht, ist gern von der Entdeckung der Langsamkeit die Rede. Die Filme von Bernd Böhlich aber wirken schon lange, als seien sie aus der Zeit gefallen; zumindest, wenn sie wieder mal eine Geschichte über Horst Krause erzählen. Den dicken Polizeihauptmeister hat Böhlich bereits vor über zwanzig Jahren für den „Polizeiruf“ aus Potsdam erfunden, und weil Figur und Darsteller quasi eins waren, hat er ihm der Einfachheit halber den Namen des Schauspielers gegeben. Von 1999 bis 2015 brauste Krause als treuer Helfer der wechselnden Kommissarinnen mit Motorrad und Schäferhund durch Brandenburg. 2007 hatte der zweifache Grimme-Preisträger Böhlich („Landschaft mit Dornen“, 1993; „Polizeiruf 110: Totes Gleis“, 1995) die Idee, Krause zur Hauptfigur eines eigenen Films zu machen. „Krauses Fest“ war der Auftakt zu einer losen Reihe; es folgten „Krauses Kur“, „Krauses Braut“, „Krauses Geheimnis“ und „Krauses Glück“. In den Geschichten erlebt der mittlerweile pensionierte Polizist meist heiter-harmlose, aber oft zum Nachdenken anregende kleine Abenteuer mit seinen Schwestern Elsa und Meta (Carmen-Maja Antoni, Angelika Böttiger).
Foto: RBB / Arnim Thomaß
„Krauses Hoffnung“, der erste ohne den 2017 verstorbenen Andreas Schmidt, der die Reihe stets als Krauses schräger Kumpel Schlunzke bereichert hat, beginnt mit einem Witz. Ein Anhalter will nach Italien, Krause würde ihn ein Stück mitnehmen, weil die Richtung schon mal stimme, der Tramper sieht eine Rauchsäule in der Ferne, „da qualmt der Vesuv“, und der pensionierte Polizist ahnt Schlimmes: Elsa, die in letzter Zeit immer vergesslicher wird, hat nach dem Kochen im Gasthof Krause das Gas nicht abgedreht. Weil das so nicht weitergehen kann und Meta mittlerweile mit ihrem Mann in Köln lebt, sucht Krause nach Pächtern für die Wirtschaft, aber die Kandidaten, eine Parade teilweise recht schräger Figuren, sagen ihm alle nicht zu; es bleibt ihm nichts anderes übrig, als Meta und Rudi (Tilo Prückner) zu bitten, nach Schönhorst zu kommen. Der eifrige Rudi schmiedet umgehend Pläne für das Lokal, träumt von „Misswahl, Karneval, Festival“ und geht Krause mit seiner guten Laune enorm auf die Nerven. Damit ihr Mann freie Hand hat, schlägt Meta vor, dass die Schwestern und „Hotti“ mit Rudis Wohnmobil nach Pommern fahren, wo sie ihre Kindheit verbracht haben. Unversehens zeigt sich, dass die „Krause“-Filme immer schon eine Heimat-Saga waren, und plötzlich wirkt der Film gar nicht mehr wie aus der Zeit gefallen.
Aber das gilt natürlich nur für den Inhalt. Böhlichs Erzählweise orientiert sich auch weiterhin an der Beschaulichkeit Brandenburgs. Der Rest ist eine Hommage an alles Mögliche, vor allem jedoch an die Hauptfiguren, mit deren Hilfe der Autor und Regisseur vom wahren Leben und vom kleinen Glück erzählt. Krause hadert zwar ständig mit dem Schicksal, das ihn mit zwei solchen Schwestern geschlagen hat („Womit habe ich das bloß verdient?!“), aber selbstredend kaschiert er damit nur die Last der Verantwortung, die ihm auch Lebensinhalt ist. Umso schöner sind die Momente, wenn der alte Griesgram sein Herz öffnet, zum Beispiel für den kleinen Timo. Der Junge ist der Sohn der alleinerziehenden Köchin Paula (Pauline Knof), die gern im Gasthof angefangen hätte, aber Krause wollte keine Kinder im Haus; das ändert sich, als er den beiden zufällig auf einem Campingplatz begegnet, weil er es nach der Rückkehr aus Pommern zuhause nicht mehr ausgehalten hat. Timo hat angeblich eine Drohne kaputtgemacht; in solchen Unrechtsfällen kehrt Krause gern den Polizisten raus.
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Mit neumodischem Schnickschnack steht der korpulente Ex-Wachtmeister ohnehin auf Kriegsfuß. Das Navigationsgerät aus Rudis Wohnmobil schmeißt er kurzerhand weg, E-Mails hält er für überflüssig, wenn man auch Briefe schreiben kann, und als er erfährt, dass der Vater eines anderen Jungen die Drohne angeschafft hat, um seinem Sohn zu beweisen, dass sie das größte Gefährt weit und breit besitzen, versteht Krause die Welt nicht mehr. Im Grunde setzt sich die Geschichte aus lauter Episoden dieser Art zusammen. Für sich genommen sind die Ereignisse alle nicht weiter aufregend, doch dank Böhlichs Erzählkunst ergeben sie einen zwar ruhigen, aber stetigen Handlungsfluss. Selbst die großen Themen hält Böhlich bewusst klein. Flucht oder Vertreibung spielen im Rahmen der Reise nach Pommern keinerlei Rolle. Es geht ausschließlich um Kindheitserinnerungen, und dafür findet der Film ebenso berührende Bilder, Momente und Gefühle wie für Elsas zunehmende Demenz: Als sie gemeinsam mit Lubo (Victor Choulman), der schon als Sechsjähriger unbedingt neben ihr sitzen wollten, ihre alte Volksschule besucht, kann sie sich noch genau an ihre Mitschüler erinnern, aber den Weg zum Wohnmobil weiß sie nicht mehr. Lubo zitiert Jean Paul („Die Erinnerung ist das einzige Paradies, aus dem man nicht vertrieben werden kann“), ansonsten dramatisiert Böhlich Elsas Demenz nicht weiter. „Was vorbei ist, ist vorbei“, stellt ihr Bruder in gewohnter Nüchternheit fest, wenn auch in anderem Zusammenhang. Selbst das Thema Heimat wird nur am Rande abgehandelt, und weil Krause kein Mann für große Worte ist, bleibt es Rudi überlassen zu begründen, warum er gern in Schönhorst Wurzeln schlagen würde.
Diese nicht mit Nonchalance zu verwechselnde Beiläufigkeit, unterlegt mit entsprechend entspannter Musik (wie zuletzt fast immer bei Böhlich von Tamás Kahane), ist ohnehin eine große Stärke Böhlichs. Zweites Merkmal ist die Arbeit mit den Darstellern. Alles wirkt unangestrengt und leicht, als schaue die Kamera (Florian Foest, ein weiterer langjähriger Mitstreiter) nicht Schauspielern zu, sondern ganz normalen Menschen in ihrem Alltag. Oft genügen Blicke, wo anderswo ganze Dialoge gewechselt werden. Krause allerdings ist als Figur mittlerweile so vertraut, dass er nicht mal gucken muss. Und weil in Böhlichs Filmen nicht ständig was passiert, gibt es Zeit genug, um die Dinge sacken zu lassen. Auch deshalb erinnern seine Krause-Geschichten an die Dokumentarfilme von Volker Koepp. In dessen Werk scheint ebenfalls die Zeit stehen geblieben zu sein; mit der Reise nach Pommern bewegt sich Böhlich diesmal auch geografisch und biografisch auf den Spuren des Regiekollegen. Am Ende gönnt er sich noch ein Selbstzitat: Als der Gasthof dank Paula wieder geöffnet ist, finden sich sämtliche Mitwirkenden zum Freiluftkino ein. Gezeigt wird „Bis zum Horizont, dann links!“ (2012), Böhlichs bislang letzter Kinofilm; passenderweise eine Seniorenkomödie.