Ein Tatort ganz in Weiß: Ein Einbrecher hat in einer Villa im Künstlerviertel Wiesbadens alle Spuren beseitigt, indem er alles mit Löschschaum eingesprüht hat. Auf dem Boden liegt eine Leiche. Ein Mitarbeiter eines Wachschutzes wurde erschlagen. Kommissarin Winnie Heller (Lisa Wagner) und Kollege Hendrik Verhoeven (Hans-Jochen Wagner) nehmen einen Mann ins Visier, der ein Auto am Tatort gesehen haben will. Jan Drexler (Markus Gertken) ist ein ehemaliger Lehrer, der als Aussteiger im Wald lebt und sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser hält. Winnie Heller ist von der Schuld des sich auffällig verhaltenden Mannes schnell überzeugt, zumal er sich ihr gegenüber arrogant und aufdringlich zeigt. Dann geschieht ein weiterer Mord. Und das just während Drexler vernommen wird. So müssen die Ermittler umdenken – auch wenn das Heller schwerfällt. Sie bringen nach und nach eine menschliche Tragödie ans Licht. Dabei gerät auch Verhoevens Frau (Nina Kronjäger) in Gefahr.
Foto: ZDF / Volker Roloff
Das ist die Krimigeschichte. Die kommt etwas schleppend in Gang, wird aber zunehmend dichter und Autor Mathias Klaschka führt die einzelnen Stränge nach und nach geschickt zusammen. Das ist nicht spektakulär, aber gut anzusehen. Doch der Film erzählt noch eine weitere Geschichte. Es ist die des Abschieds von Verhoeven aus Wiesbaden und wie Winnie Heller mit dem Verlust des beruflichen Partners zurechtkommt. Dieser Bereich nimmt viel Raum ein, ist intensiv und deshalb spannend, weil man stets mehr weiß als die Kommissarin. Denn ihr Kollege weicht ihr lange Zeit aus und traut sich nicht ihr zu sagen, dass er mit seiner Familie nach Karlsruhe geht, weil seine Frau dort eine besondere berufliche Herausforderung erwartet. Am Ende wissen es alle, sogar der Tatverdächtige Drexler. Und von dem erfährt die Heller es. Ein Schock. Es folgen Wut, Verzweiflung, Aggression.
Es gibt Krimis, da verfolgt man gebannt der Geschichte, fiebert bei der Tätersuche mit. Nicht so in „Kommissarin Heller – Verdeckte Spuren“. Hier steht die Ermittlerin im Mittelpunkt, ihr Verhalten, ihr Handeln, ihre psychische Situation. Das ist eigentlich seit der ersten Folge der Reihe schon so. Doch seit der letzten Episode – die trug den Titel „Nachtgang“ – hat sich das noch verstärkt. Seither lässt man die Romanvorlagen von Silvia Roth beiseite, setzt noch stärker auf die Psychomacke dieser Frau, erlaubt einen noch tieferen Blick in die Seele der ihr seltsames Verhalten pflegenden Hauptfigur. Wie sie mit ihrer Psychotherapeutin (Lena Stolze) umspringt, in eine Sitzung platzt, ihre Mutter vor deren neuem Partner demütigt und provoziert, ihrer Wut gegen Sachen freien Lauf lässt, hemmungslos durch Nachtclubs streift und sich voll laufen lässt – so zerstörerisch, selbstzerstörerisch, verzweifelt und wild hat man die Heller bisher noch nicht gesehen. Sie wird verletzt, und sie verletzt andere.
Foto: ZDF / Volker Roloff
„Kommissarin Heller – verdeckte Spuren“ ist die siebte Episode. Doch diese Heller bleibt ein Rätsel. Und das macht diese Reihe so sehenswert. Immer wenn man glaubt, sie verstanden zu haben, macht sie wieder etwas völlig Unerwartetes. Man lebt und leidet mit ihr, will ihr helfen, aber kommt nicht an sie heran. So erlebt der Zuschauer – ähnlich wie die Figur – eine emotionale Achterbahnfahrt. Diese schwierige Rolle auszufüllen, das können nicht viele deutsche Schauspielerinnen, Lisa Wagner schon. Sie ist derzeit eine der interessantesten und wandlungsfähigsten ihrer Generation. Und jene Winnie Heller gibt ihr jetzt bereits über vier Jahre die Gelegenheit, das eindrucksvoll unter Beweis zu stellen. Mal meldet sich ihr inneres Kind, dann ist sie sensible Frau, dann forsche Kommissarin. Wenn sie am mit Löschschaum bedeckten Tatort auftaucht, kommentiert sie diesen trocken mit den Worten: „Solche Bilder hab ich in der Grundschule gemalt, meine Mutter musste danach zum Direktor.“
Nach sechs Filmen, in denen Christine Balthasar Regie führte, inszeniert jetzt Andreas Senn (zuletzt: Franken-„Tatort: Das Recht, sich zu sorgen“). Der Schweizer beginnt temporeich: Schnelle Bilderfolgen, viele Schnitte, extreme Nahaufnahmen. Dann aber nimmt er sich Zeit für die Figuren und ihre Beziehungen zueinander: Heller, Verhoeven/Heller, Drexler/Heller, ihre Mutter. Zwischendrin Action: Wie der Täter das Auto im Wald abfackelt, wie die Kamera einem Vogel gleich den Wagen verfolgt – Senn gelingen eindringliche und imposante Bilder (Kamera: Markus Hausen). „Manchmal frag ich mich, wie es ist, in ihrer Welt zu leben, schön kann das nicht sein“, sagt Verhoeven an einer Stelle zu seiner Kollegin. Jetzt geht er. So wird es spannend zu beobachten, wie sich die Figur der Kommissarin entwickelt, wenn die Erdung durch den biederen Kollegen fehlt. Obwohl, ein Türchen lässt sich Hans-Jochen Wagner, der ja demnächst in Freiburg als „Tatort“-Kommissar ermittelt, offen: „Wenn das mit dem ‚Tatort‘ anfängt, werde ich zumindest aus meiner bisherigen Funktion rausgehen“, sagt er. Nun, wird er vielleicht zum privaten Ratgeber aus der Ferne? Wohl eher nicht. (Text-Stand: 1.1.2017)