Kaltes Blut – Julia Durant ermittelt

Sandra Borgmann, Lacher, Sideris, Rohde. Die Kommissarin wird bodenständiger

Foto: Sat 1 / Christian Lüdeke
Foto Tilmann P. Gangloff

Der zweite Film mit Sandra Borgmann als Julia Durant ist zwar kein Thriller mehr, aber immer noch ein sehenswerter Krimi: In „Kaltes Blut“ (Sat.1 / Gaumont) sucht die Frankfurter Kommissarin in einer Vorortsiedlung nach einem vermissten Teenager und findet stattdessen die Leiche eines Mädchens, das ein halbes Jahr zuvor verschwunden ist. Weil die Bildgestaltung beim Reihenauftakt von außergewöhnlicher Qualität war, fiel es nicht weiter ins Gewicht, dass der erste Film die übliche Serienkillergeschichte erzählte. Diesmal ist es umgekehrt: Die Umsetzung entspricht eher den Gepflogenheiten des durchschnittlichen TV-Krimis, aber die Geschichte ist ungewöhnlich. Sehr gut ist allerdings auch die Arbeit mit den Schauspielern; das Ensemble der Dorfbewohnter ist ohnehin sehr treffend besetzt.

Der Auftakt einer neuen Reihe ist immer auch ein Test, bei dem ein Sender neue Wege ausprobiert: bei der Gestaltung einer Hauptfigur, bei der Erzählung und auch bei der Umsetzung. Das hat die Premiere von Sandra Borgmann als Frankfurter Fallanalytikerin Julia Durant („Jung, blond, tot“, 2018) zu einem besonderen Film gemacht: Die Ermittlerin war eine traumatisierte und daher gebrochene Figur, deren untrügliches Gespür fürs Detail fast schon übersinnlich wirkte. Weil auch die Bildgestaltung von außergewöhnlicher Qualität war, fiel es nicht weiter ins Gewicht, dass der Film dem üblichen Serienkillermotiv keine neuen Seiten abgewann. Bei „Kaltes Blut“ ist es umgekehrt: Die Inszenierung entspricht den Gepflogenheiten des durchschnittlichen TV-Krimis, aber die Geschichte ist ungewöhnlich.

Die Reihe basiert auf den Romanen des verstorbenen Krimischriftstellers Andreas Franz, dessen Werk von Daniel Holbe fortgeführt wird; mittlerweile sind 19 Bücher erschienen. „Jung, blond, tot“ war der Auftakt, „Kaltes Blut“ ist Band Nummer sechs. Das Drehbuchduo Andreas Bareiss und Kai Uwe Hasenheit, ergänzt um Christian Pasquariello, hat zwar einige wichtige Details verändert, hält sich aber an die Grundzüge der Geschichte: In einer Siedlung vor den Toren Frankfurts ist die 15jährige Selina nicht nach Hause gekommen. Weil vor einem halben Jahr die etwa gleichaltrige Kerstin spurlos verschwunden ist, soll Durant der Sache nachgehen. Sie hat ein persönliches Interesse an dem Fall: Ihr Patenkind nimmt auf dem gleichen Gestüt Reitstunden wie die beiden anderen Mädchen. Die Kommissarin stößt auf eine verschworene Gemeinschaft, die sich ein kleines Paradies aufgebaut hat. Doch die Idylle trügt: Wer aus der Reihe tanzt, wird ausgeschlossen. So ist es Rolf Grumack (Michael Sideris) ergangen: Der Vater von Kerstin hat sich nach dem Tod seiner Frau völlig verändert und sich in sich selbst zurückgezogen; deshalb dachten damals alle, Kerstin habe es nicht mehr ausgehalten und sei abgehauen. Als Durant auf der Suche nach Selina die Leiche von Kerstin findet, ist ihr klar, dass ihr nicht mehr viel Zeit bleibt, um das zweite Mädchen zu retten.

Kaltes Blut – Julia Durant ermitteltFoto: Sat 1 / Christian Lüdeke
Die Befürchtung von Durant (Sandra Borgmann) bewahrheitet sich. Die Zeit drängt. Die Titelfigur ist im zweiten Film eine (fast) ganz normale Kommissarin.

Anders als Maria von Heland, die Regisseurin des ersten Films, verzichtet Nicolai Rohde bei seiner Inszenierung darauf, der Hauptfigur bildsprachlich eine ungewöhnliche Begabung anzudichten; Julia Durant ist in ihrem zweiten Fall zu einer ganz normalen Kommissarin geworden. Aus dem Rahmen fallen allenfalls zwei Begegnungen mit dem Hund von Familie Grumack, der plötzlich vor ihrem Auto auftaucht, sich anschließend aber scheinbar in Luft aufgelöst hat; später führt er sie zu dem See, in Kerstin ertränkt worden ist. Angesichts der Größe des Gewässers würde die Suche nach der Leiche sicherlich eher Wochen als Tage dauern; der Film verkürzt den Zeitraum auf einen Schnitt. Die anfangs eingestreuten Aufnahmen der betäubten Selina versieht Rohde mit jenem typischen Zucken, das gern in Filmen über Serienkiller verwendet wird. Ansonsten ist die Bildgestaltung (Henner Besuch) bis auf die regelmäßigen, wirkungsvoll eingesetzten Einstellungen aus der Vogelperspektive eher unauffällig. Rohde hat zuletzt für die ARD unter anderem die beiden einzigen „Prag-Krimis“ sowie zwei Episoden zur „Craig Russell“-Reihe gedreht; in beiden Fällen war der erste Film überdurchschnittlich gut, während der zweite am eigenen Maßstab scheiterte.

Dass „Kaltes Blut“ trotzdem interessant und sehenswert ist, liegt an der Zusammenstellung des treffend besetzten Dorf-Ensembles und der guten Arbeit des Regisseurs mit den Schauspielern. Neben den Eltern von Selina (Suzan Anbeh, Marc Hosemann) spielen zwei weitere Paare eine besondere Rolle: Emily Gerber (Tinka Fürst) ist die Besitzerin des Gestüts und hat eine Affäre mit Reitlehrerin Sonja (Katharina Heyer), die wiederum ein intimes Verhältnis mit Kerstin hatte. Gatte Achim (Shenja Lacher) hat die beiden damals beim Kuss erwischt, scheint aber nicht nachtragend zu sein und ist schon allein wegen eines von ihm sehr liebevoll organisierten Kindergeburtstags sympathisch. Eher schlicht ist dagegen die Rolle von Emilys Ehemann Andreas (Tilman Strauss). Männer, die unterm Oberhemd ein seidenes Halstuch tragen, sind im Krimi immer verdächtig; tatsächlich ist Gerber vor einigen Jahren wegen sexueller Belästigung einer Minderjährigen angezeigt worden. Ein DNS-Test scheint ihn später als Mörder zu überführen, aber leider hat das Drehbuch zu diesem Zeitpunkt längst verraten hat, wer der wahre Täter ist.

In einer Hinsicht hat sich die zweite Episode zum Positiven entwickelt: Die Animositäten zwischen der psychologisch geschulten Analytikerin und ihrem Zwangspartner Schulz (Guido Broscheit), einem eher kernigen Ermittler alter Schule, hatten im Auftaktfilm Kindergarten-Niveau und wirkten angesichts der Mordserie komplett deplatziert. Diesmal haben die beiden ein ganz normales Arbeitsverhältnis; im Grunde hat Broscheit so wenig zu tun, dass sein Fehlen kaum auffallen würde. Damit die Figur ein bisschen komplexer wird, hat Kommissar Schulz familiäre Probleme. Auch die Kollegin ist erneut psychisch angeschlagen. Im ersten Film litt sie unter den Folgen eines Mordversuchs, diesmal liegt ihr Vater nach einem Herzinfarkt im Koma. Auf diese Weise kommt es zu einer berührenden Parallelmontage: Durants Mutter ist offenbar ertrunken, als Julia zehn Jahre alt war. Damals, verrät sie dem ohnmächtigen Vater am Krankenhausbett, habe sie ausprobiert, wie sich dieser Tod anfühlt: „Alles wird ganz still im Kopf.“ Rohde kombiniert diesen Monolog mit Bildern von Rolf Grumack, der nach seiner Frau nun definitiv auch seine Tochter verloren hat und ins Wasser geht. Irgendwann, erzählt Durant, wolle der Körper wieder an die Luft; das gilt auch für Grumack. Der Film schließt mit ein tragischen Finale, in dessen Verlauf eine Frau stirbt und eine andere schwer verletzt wird, sowie einem weiteren Suizidversuch im See.

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Reihe

Sat 1

Mit Sandra Borgmann, Shenja Lacher, Michael Sideris, Eric Stehfest, Guido Broscheit, Ilknur Boyraz, Marc Hosemann, Suzan Anbeh, Katharina Heyer, Tilman Strauss, Tinka Fürst

Kamera: Henner Besuch

Szenenbild: Holger S. Müller

Kostüm: Anja Niehaus

Schnitt: Thomas Stange

Musik: Thomas Klemm.

Soundtrack: Shakey Graves („O Death“)

Redaktion: Patrick Noel Simon

Produktionsfirma: Gaumont

Produktion: Andreas Bareiss, Sabine de Mardt

Drehbuch: Andreas Bareiss, Kai Uwe Hasenheit, Christian Pasquariello – Romanvorlage: Andreas Franz

Regie: Nicolai Rohde

Quote: 1,40 Mio. Zuschauer (6,5% MA)

EA: 14.10.2019 20:15 Uhr | Sat 1

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