Käthe und ich – Der kleine Ritter + Sommerliebe

Schechinger, Brandhoff, Schroedter, Liebich, Brigitte Müller. Fingerspitzengefühle

Foto: Degeto / Christiane Pausch
Foto Rainer Tittelbach

Ein Kind, das zu früh groß sein möchte, weil es glaubt, dass seine Mutter Unterstützung braucht, davon erzählt „Der kleine Ritter“, die neunte Episode der ARD-Freitagsreihe „Käthe und ich“ (Degeto / Bavaria Fiction). Diesem Fall von „Parentifizierung“ folgt in „Sommerliebe“ eine eher unlösbare Form einer toxischen Beziehung: Ausgerechnet die tragisch-traumatische Jugendliebe von Psychologe Paul Winter sitzt in einer solchen unheilvollen Verbindung fest. Auch wenn man mitunter den Eindruck gewinnen kann, dass einige Figuren unter dem Wissensniveau des Durchschnittszuschauers am Freitag bleiben, so gelingt auch den Episoden neun und zehn dieser gut besetzten, angenehm entspannt erzählten Reihe eine unaufdringliche Sensibilisierung für psychische Prozesse und psychologische Sachverhalte, ohne gleich fiktionales Ratgeber-Fernsehen zu sein. Genauso wichtig wie die Vertiefung der Themen ist dabei die unterschwellige Botschaft, dass gestörte Kommunikation immer mindestens zwei Seiten hat, also nur multiperspektivisch gelöst werden kann.

Ein Notfall erfordert von Paul Winter (Christoph Schechinger) größtes Fingerspitzengefühl. Schulleiterin Dr. Madaki (Thelma Buabeng) ist beunruhigt, weil die Mutter einer ihrer Schüler seit Tagen nicht erreichbar ist. Ihr Verdacht bestätigt sich: Der zwölfjährige Faris (Giorgio Valero) wohnt augenblicklich allein, seine Mutter ist verschollen, und der Junge schweigt. Mit Hilfe von Käthe und seiner Mutter Helga (Hildegard Schroedter) gelingt es Paul, der als Kind ein ähnliches Verhalten ausgebildet hatte, Faris zu erweichen, den Aufenthaltsort seiner Mutter Minou (Oona Devi Liebich) preiszugeben. Diese fällt aus allen Wolken. Sie wähnte Faris auf Klassenfahrt, suchte sich deshalb einen stillen Ort, um sich auf eine Prüfung vorzubereiten. Einerseits ist es schon bemerkenswert, was für einen sensiblen tollen Jungen sie hat, andererseits hätte sie es doch merken müssen, dass nach dem Tod ihres Mannes ihr Sohn für sie den Beschützer spielt; Minou macht sich Vorwürfe. Sie scheint eine vernünftige Frau und liebende Mutter zu sein, so Pauls Eindruck. Gudrun Tönnissen (Saskia Vester), die Frau vom Jugendamt, will das nicht erkennen. Allerdings hat ihre allein auf den Jungen fokussierte Sicht auch etwas für sich: „Sie sind die Mutter, Sie müssen für ihn da sein, nicht umgekehrt.“

Käthe und ich – Der kleine Ritter + SommerliebeFoto: Degeto / Christiane Pausch
Nichts ist Minou (Oona Devi Liebich) wichtiger, als eine gute Mutter zu sein. Und trotzdem droht ihr die Inobhutnahme ihres Sohnes plus Kontaktverbot. Die Frau vom Jugendamt ist offenbar nicht bereit, die diffizile Mutter-Kind-Kommunikation ganzheitlich verstehen zu wollen, wie Psychologe Paul Winter (Schechinger) das tut. „Käthe und ich – Der kleine Ritter“

Ein zwölfjähriger Junge, der zu früh groß sein möchte oder muss, weil er glaubt, dass seine Mutter Unterstützung braucht, davon erzählt die neunte Episode der ARD-Freitagsreihe „Käthe und ich“. Ein typischer Fall von sogenannter „Parentifizierung“, was von Kinderpsychologen als emotionaler Missbrauch gewertet wird. Allerdings ist es ein lösbarer Fall, da die Mutter einsichtig ist. Würde sie nicht an eine Frau wie Gudrun Tönnissen geraten, hätte „Der kleine Ritter“ nur die Länge einer Drama-Serie. Indem Autorin Brigitte Müller jedoch diese von ihrem Vater und dem Leben enttäuschte Frau in die Geschichte einführt, verdichtet sie nicht nur das Thema mit einem weiteren, allerdings anders gelagerten Beispiel, sondern zeigt gleichzeitig, wie sehr doch erwachsenes Verhalten gebunden sein kann an Erfahrungen aus der Kindheit. Die von Saskia Vester gespielte Frau vom Jugendamt wäre ohne die psychologische Vertiefung ihrer Figur die klassische „Buhfrau“ für eine mittelmäßige Dramaturgie. In diesem Fall aber weitet „Frau Tönnissen“ den Blick für das Thema. Dass sich Pauls Mutter in den Konflikt einschaltet, die mit ihrem viel zu vernünftigen Sohn ähnliche Erfahrungen gesammelt hat, rundet die psychologische Interaktion ab – und zeigt, dass gestörte Kommunikation immer mindestens zwei Seiten hat, also nur multiperspektivisch gelöst werden kann. „Käthe und ich“ gelingt es also einmal mehr, ein komplexes psychologisches Phänomen für Laien verständlich und genregemäß gefällig herunterzubrechen. Bisweilen hat man allerdings den Eindruck, dass einige Figuren deutlich unter dem Wissensniveau des Durchschnittszuschauers am Freitag bleiben.

Das gilt auch für die zweite 2024er Episode „Sommerliebe“. Es dürfte für halbwegs „aufgeklärte“ Zuschauer:innen schwer mitanzusehen sein, wie sich hier eine erwachsene Frau vor ihrem Ehemann (David Rott) und der Welt kleinmacht – und dies nicht sehen will (was Teil der Störung ist). „Toxische Beziehung“ ist ein solcher zeitgeistig gängiger und (über)strapazierter Begriff, dass die diesbezügliche Blindheit der Episodenhauptfigur schon ein bisschen seltsam anmutet. Da es sich bei der mit Depressionen kämpfenden Frau allerdings um Pauls Jugendliebe Hanna (Christina Athenstädt) handelt, bietet diese Geschichte zahlreiche weitere Nebenplots an, durch die der A-Plot höchst unterhaltsam modifiziert wird. Ohnehin dürfte für viele Zuschauer die interessanteste Frage in dieser Episode sein: Was ist in jenem Sommer vor zwanzig Jahren vorgefallen? Weshalb ging diese Liebe für Paul so traumatisch zu Ende?… Oder ist womöglich das Mitgefühl vor allem mit Paul Winter eine typische männliche Sichtweise auf den Film und seine Themen? Frauen, die ein ähnliches Beziehungsproblem wie das der Episoden-Hauptfigur aus eigener Erfahrung kennen, werden dieses im Film dargestellte toxische Interaktionsmuster vielleicht gar nicht so übertrieben finden. Wie dem auch sei: Sensibilisierung für psychische Prozesse und psychologische Sachverhalte bleibt ein Mehrwert dieser Reihe, ohne dabei fiktionales Ratgeber-TV zu sein.

Käthe und ich – Der kleine Ritter + SommerliebeFoto: Degeto / Andrea Hansen
Einer jener rituellen Ruhemomente, um den Stand der Dinge zu bereden, aber auch, um den Alltag spürbar werden zu lassen und um alte, launige wie ernsthafte Geschichten auszupacken. Eric (Ulrich Brandhoff) und Helga Winter (Hildegard Schroedter)

Verändert hat sich hingegen das feste Ensemble. Jule, Pauls Sandkastenfreundin und Mitbewohnerin im Paradies am See, wurde in den Urlaub geschickt. Dafür ist die Mutter des Psychologen vorübergehend eingezogen – was dramaturgisch sinnvoll ist, da beide Geschichten mehr oder weniger mit Pauls Kindheit und Jugend zu tun haben. Schön, dass diese Frau, der ein Bild von (traditioneller) Mütterlichkeit mitgegeben wird, hier nicht zu einem unwillkommenen Gast wird. Im Gegenteil. Ihre Hilfsangebote sorgen dafür, verschlossene Charaktere, nicht zuletzt ihren Paul, emotional zu öffnen und gesprächiger zu machen. Dass sie sich so gut mit Mitbewohner und Tierarzt Eric (Ulrich Friedrich Brandhoff) versteht, ermöglicht in den neuen Episoden angenehme, fast schon rituelle Ruhemomente. Der absolute Ruhepol aber bleibt Paul Winter: Den Mann, auf den Verlass ist, spielt Christoph Schechinger ebenso verlässlich – nachdenklich, ernst und in sich ruhend. Besonderen Spaß bereiten die Rückblenden in den Sommer von Pauls erster großer Liebe. Schon mit 17 war er ein Schlaumeier, aber auch schon hoch empfindsam und empathisch. Und weil Pauls Mutter Soaps mag, darf Eric (ebenfalls mit Rückblenden) davon erzählen, wie er vom Bruder seiner Teenager-Freundin wachgeküsst wurde. Und was bringt der Blick in die Zukunft? Ein Gewinn ist Minou Salem, die in „Sommerliebe“ nun auch auf dem Hof untergekommen ist, und ihre Darstellerin Oona Devi Liebich, wodurch sich für die Geschichte neue Perspektiven eröffnen.

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Reihe

ARD Degeto

Mit Christoph Schechinger, Ulrich Friedrich Brandhoff, Hildegard Schroedter, Oona Devi Liebich, Anna Hausburg (1): Saskia Vester, Giorgio Valero, Thelma Buabeng, Aykut Kayacik (2): Christina Athenstädt, David Rott, Louise Sophia Arnold, Victor Maria Diderich

Kamera: Jochen Braune

Szenenbild: Myriande Heller

Kostüm: Heike Fademrecht

Schnitt: Tobias Peper

Musik: Maurus Ronner

Redaktion: Sascha Mürl, Christoph Pellander (beide Degeto)

Produktionsfirma: Bavaria Fiction

Produktion: Brigitte Müller, Karsten Günther

Drehbuch: Brigitte Müller

Regie: Oliver Liliensiek, Brigitte Müller

Quote: (1): 3,66 Mio. (13,7% MA); (2): 4,20 Mio. (14,9% MA)

EA: 19.01.2024 20:15 Uhr | ARD

weitere EA: 26.01.2024 20:15 Uhr | ARD

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