Ein Notfall erfordert von Paul Winter (Christoph Schechinger) größtes Fingerspitzengefühl. Schulleiterin Dr. Madaki (Thelma Buabeng) ist beunruhigt, weil die Mutter einer ihrer Schüler seit Tagen nicht erreichbar ist. Ihr Verdacht bestätigt sich: Der zwölfjährige Faris (Giorgio Valero) wohnt augenblicklich allein, seine Mutter ist verschollen, und der Junge schweigt. Mit Hilfe von Käthe und seiner Mutter Helga (Hildegard Schroedter) gelingt es Paul, der als Kind ein ähnliches Verhalten ausgebildet hatte, Faris zu erweichen, den Aufenthaltsort seiner Mutter Minou (Oona Devi Liebich) preiszugeben. Diese fällt aus allen Wolken. Sie wähnte Faris auf Klassenfahrt, suchte sich deshalb einen stillen Ort, um sich auf eine Prüfung vorzubereiten. Einerseits ist es schon bemerkenswert, was für einen sensiblen tollen Jungen sie hat, andererseits hätte sie es doch merken müssen, dass nach dem Tod ihres Mannes ihr Sohn für sie den Beschützer spielt; Minou macht sich Vorwürfe. Sie scheint eine vernünftige Frau und liebende Mutter zu sein, so Pauls Eindruck. Gudrun Tönnissen (Saskia Vester), die Frau vom Jugendamt, will das nicht erkennen. Allerdings hat ihre allein auf den Jungen fokussierte Sicht auch etwas für sich: „Sie sind die Mutter, Sie müssen für ihn da sein, nicht umgekehrt.“
Ein zwölfjähriger Junge, der zu früh groß sein möchte oder muss, weil er glaubt, dass seine Mutter Unterstützung braucht, davon erzählt die neunte Episode der ARD-Freitagsreihe „Käthe und ich“. Ein typischer Fall von sogenannter „Parentifizierung“, was von Kinderpsychologen als emotionaler Missbrauch gewertet wird. Allerdings ist es ein lösbarer Fall, da die Mutter einsichtig ist. Würde sie nicht an eine Frau wie Gudrun Tönnissen geraten, hätte „Der kleine Ritter“ nur die Länge einer Drama-Serie. Indem Autorin Brigitte Müller jedoch diese von ihrem Vater und dem Leben enttäuschte Frau in die Geschichte einführt, verdichtet sie nicht nur das Thema mit einem weiteren, allerdings anders gelagerten Beispiel, sondern zeigt gleichzeitig, wie sehr doch erwachsenes Verhalten gebunden sein kann an Erfahrungen aus der Kindheit. Die von Saskia Vester gespielte Frau vom Jugendamt wäre ohne die psychologische Vertiefung ihrer Figur die klassische „Buhfrau“ für eine mittelmäßige Dramaturgie. In diesem Fall aber weitet „Frau Tönnissen“ den Blick für das Thema. Dass sich Pauls Mutter in den Konflikt einschaltet, die mit ihrem viel zu vernünftigen Sohn ähnliche Erfahrungen gesammelt hat, rundet die psychologische Interaktion ab – und zeigt, dass gestörte Kommunikation immer mindestens zwei Seiten hat, also nur multiperspektivisch gelöst werden kann. „Käthe und ich“ gelingt es also einmal mehr, ein komplexes psychologisches Phänomen für Laien verständlich und genregemäß gefällig herunterzubrechen. Bisweilen hat man allerdings den Eindruck, dass einige Figuren deutlich unter dem Wissensniveau des Durchschnittszuschauers am Freitag bleiben.
Das gilt auch für die zweite 2024er Episode „Sommerliebe“. Es dürfte für halbwegs „aufgeklärte“ Zuschauer:innen schwer mitanzusehen sein, wie sich hier eine erwachsene Frau vor ihrem Ehemann (David Rott) und der Welt kleinmacht – und dies nicht sehen will (was Teil der Störung ist). „Toxische Beziehung“ ist ein solcher zeitgeistig gängiger und (über)strapazierter Begriff, dass die diesbezügliche Blindheit der Episodenhauptfigur schon ein bisschen seltsam anmutet. Da es sich bei der mit Depressionen kämpfenden Frau allerdings um Pauls Jugendliebe Hanna (Christina Athenstädt) handelt, bietet diese Geschichte zahlreiche weitere Nebenplots an, durch die der A-Plot höchst unterhaltsam modifiziert wird. Ohnehin dürfte für viele Zuschauer die interessanteste Frage in dieser Episode sein: Was ist in jenem Sommer vor zwanzig Jahren vorgefallen? Weshalb ging diese Liebe für Paul so traumatisch zu Ende?… Oder ist womöglich das Mitgefühl vor allem mit Paul Winter eine typische männliche Sichtweise auf den Film und seine Themen? Frauen, die ein ähnliches Beziehungsproblem wie das der Episoden-Hauptfigur aus eigener Erfahrung kennen, werden dieses im Film dargestellte toxische Interaktionsmuster vielleicht gar nicht so übertrieben finden. Wie dem auch sei: Sensibilisierung für psychische Prozesse und psychologische Sachverhalte bleibt ein Mehrwert dieser Reihe, ohne dabei fiktionales Ratgeber-TV zu sein.
Verändert hat sich hingegen das feste Ensemble. Jule, Pauls Sandkastenfreundin und Mitbewohnerin im Paradies am See, wurde in den Urlaub geschickt. Dafür ist die Mutter des Psychologen vorübergehend eingezogen – was dramaturgisch sinnvoll ist, da beide Geschichten mehr oder weniger mit Pauls Kindheit und Jugend zu tun haben. Schön, dass diese Frau, der ein Bild von (traditioneller) Mütterlichkeit mitgegeben wird, hier nicht zu einem unwillkommenen Gast wird. Im Gegenteil. Ihre Hilfsangebote sorgen dafür, verschlossene Charaktere, nicht zuletzt ihren Paul, emotional zu öffnen und gesprächiger zu machen. Dass sie sich so gut mit Mitbewohner und Tierarzt Eric (Ulrich Friedrich Brandhoff) versteht, ermöglicht in den neuen Episoden angenehme, fast schon rituelle Ruhemomente. Der absolute Ruhepol aber bleibt Paul Winter: Den Mann, auf den Verlass ist, spielt Christoph Schechinger ebenso verlässlich – nachdenklich, ernst und in sich ruhend. Besonderen Spaß bereiten die Rückblenden in den Sommer von Pauls erster großer Liebe. Schon mit 17 war er ein Schlaumeier, aber auch schon hoch empfindsam und empathisch. Und weil Pauls Mutter Soaps mag, darf Eric (ebenfalls mit Rückblenden) davon erzählen, wie er vom Bruder seiner Teenager-Freundin wachgeküsst wurde. Und was bringt der Blick in die Zukunft? Ein Gewinn ist Minou Salem, die in „Sommerliebe“ nun auch auf dem Hof untergekommen ist, und ihre Darstellerin Oona Devi Liebich, wodurch sich für die Geschichte neue Perspektiven eröffnen.