Die Hoffnungen vieler ruhten auf der vierteiligen Fernsehverfilmung “Jahrestage” nach Uwe Johnsons Jahrhundertwerk. Für Margarethe von Trotta war es die Chance, das “Versprechen”, das sie 1994 mit dem gleichnamigen deutsch-deutschen Einheits-Drama gegeben hatte, endlich mit einer Lebensgeschichte vor einem noch größeren historischen Horizont einzulösen. Für Suhrkamp-Verleger Siegfried Unseld war es die Chance, den schwierigen “Dichter der deutschen Teilung” posthum einem größeren Publikum näherzubringen. Doch die größte Wirkung versprach sich die ARD, die es nach “Süßstoff”- und “Optimierungsdebatte” ihren Kritikern noch einmal so richtig zeigen wollte.
Die Chancen wurden genutzt. Gerade für Nicht-Johnson-Fans war die Tetralogie, in der die Frauen das Sagen haben, ein Gewinn. Margarete von Trotta verstand es, aus vereinzelten Stationen eines Lebens eine Biographie zu weben, die nicht die großen Emotionen scheut und dennoch der vom politischen Schicksal mächtig gebeutelten Hauptfigur nicht ihr Geheimnis nimmt. Der Regisseurin Heimat ist das Kino, das spürt man: Aus Miniaturen, aus Gesten, Blicken, Perspektivwechseln, lässt sie die Zeit entstehen. Ein Mikrokosmos spiegelt die große Politik. Tonlagen- und Zeitsprünge relativieren die großen Dramen “aus dem Leben von Gesine Cresspahl”. Polit-Karikaturen, “Klemperer”-Kitsch und Küchen-Psychologie konnten weitgehend vermieden werden. Und es ist weniger der typische Sog eines Mehrteilers, der den Zuschauer mitreißt, als die Magie einer Figur, die sich im Innern ihres Herzens verweigert.
Auch die Schauspieler nutzten ihre Möglichkeiten und die des Stoffes. Suzanne von Borsody wird in den sechs Stunden zu einer Ikone der selbstbewussten und doch fremdbestimmten Frau, die ihre Heimat und ihre Liebe verloren hat. Hingetuschte Befindlichkeiten, kein Wort, keine Geste zu viel. In ihrem Lächeln scheinen die Schmerzen der Vergangenheit auf. Matthias Habich knarzte sich (wort)karg und gewohnt eindrucksvoll durch die deutschen Jahrzehnte. Aber es gab auch Entdeckungen zu machen: Susanna Simon war selten so gut, sehr nachhaltig auch die Darstellerinnen der jungen Gesine, Stephanie Charlotta Kötz und Anna von Berg. Merken wird man sich auch Marie Helen Dehorn als Gesines altkluge Tochter, die dramaturgisch eine schwere Bürde trug: ihre Marie musste die antriebsschwache Mutter immer wieder dazu bewegen, dass sie weiter aus ihrem Leben erzählt.
Für die ARD war das 16-Millionen-Projekt der Befreiungsschlag zur rechten Zeit. Nach dem hochgelobten Fernsehfilm “Die Polizistin” und den “Jahrestagen” dürfte zumindest der ARD-Fernsehfilm erst mal wieder aus der Schusslinie geraten sein. Und auch die Suhrkamp-Rechnung könnte aufgehen: Bei drei bis dreieinhalb Millionen Zuschauern wird so mancher neugierig geworden sein auf den 1900-seitigen Wälzer. (Text-Stand: 22.11.2000)