Irgendwann ist auch mal gut

Hinrichs, Walser, Wittenborn, Bickermann, Christian Werner. Sag’ ja zum Leben

Foto: ZDF / Anne Bolick
Foto Tilmann P. Gangloff

Die Verpackung ist pure Komödie, aber der Handlungskern ist tragisch: Ausgerechnet an Weihnachten erfährt Bestatter Karsten, dass sich seine Eltern umbringen wollen; Vater Theodor hat Parkinson, Mutter Marion will nicht allein zurückbleiben. Fortan tut er alles, um zumindest Marion von ihrem Vorhaben abzubringen. Auch der Hintergrund des durchweg ausgezeichnet besetzten Films ist bitterer Ernst: Die meisten der rund 10.000 Menschen, die sich in Deutschland pro Jahr das Leben nehmen, sind sechzig Jahre und älter; umso verblüffender, dass „Irgendwann ist auch mal gut“ (ZDF / Venice Pictures) höchst amüsant geworden ist. Dafür steht neben vielen witzigen Dialogen in erster Linie Fabian Hinrichs: Abgesehen von den Eltern haben sich auch sämtliche Mülltonnen gegen Karsten verschworen, was immer wieder zu perfekt inszenierten Slapstickszenen führt. Top ist auch die Musik.

Bestatter sind im Film fast immer skurrile Zeitgenossen, worüber sich abgesehen von den echten Bestattern vermutlich niemand wundert. Gemessen an den Kollegen wirkt Karsten Heller zunächst wie ein eher unauffälliger Typ, der sicher gern ein entsprechendes Dasein führen würde, wenn ihn die Umstände ließen. Das tun sie jedoch nicht, und davon lebt diese Komödie: Seit seiner Scheidung ist der von Fabian Hinrichs unnachahmlich verkörperte Besitzer eines kleinen Bestattungsunternehmens ein bisschen neben der Spur. Dieser Zustand steigert sich ganz erheblich, als ihn seine Eltern ausgerechnet während des Weihnachtsessens darüber informieren, dass sie an Silvester gemeinsam aus dem Leben scheiden wollen. Vater Theodor (Michael Wittenborn) hat Parkinson. Er kann nicht mehr allein essen, trinken oder sich waschen, vom Besuch der Toilette ganz zu schweigen; und das sind, wie er sagt, die guten Tage. Mutter Marion (Franziska Walser) hat in den letzten 52 Jahren alle wichtigen Ereignisse gemeinsam mit ihrem Mann erlebt, die vielen guten wie auch die wenigen schlechten; ein Dasein ohne Theodor kann und will sie nicht vorstellen. Karsten hält die Nachricht zunächst für einen schlechten Scherz, aber dann tut er alles, um erst beide Eltern und schließlich wenigstens die Mutter von dem Vorhaben abzubringen; alle seine Anstrengungen haben bloß zur Folge, dass er unter anderem gleich zweimal von der Polizei abgeholt wird.

Irgendwann ist auch mal gutFoto: ZDF / Anne Bolick
Das Leid der Menschen gehört zu seinem Beruf: der Bestatter Karsten (Fabian Hinrichs). Dass sich seine Eltern das Leben nehmen wollen, will er nicht glauben.

Selbstredend hätte diese Geschichte auch als Stoff für ein Drama getaugt, zumal der Film durch eine Reportage über einen authentischen Fall inspiriert worden ist; aber gerade das tragische Potenzial liefert die perfekte Voraussetzung für eine große Komödie. Autor Daniel Bickermann hat zuletzt gemeinsam mit Dietrich Brüggemann das Drehbuch zu „Stau“ geschrieben, einem vorzüglichen „Tatort“ aus Stuttgart; auch dieser Film überraschte mit unerwartetem Witz. Hier steht vor allem die Hauptfigur für Heiterkeit, obwohl Hinrichs darauf verzichtet, die Rolle komisch anzulegen; das hätte angesichts von Karstens wachsender Verzweiflung auch nicht gepasst. Stattdessen sorgen Bickermann und Regisseur Christian Werner dafür, dass der bedauernswerte Bestatter ständig über die Widrigkeiten des Daseins stolpert, und das durchaus im Wortsinne; gerade die Mülltonnen scheinen sich gegen ihn verschworen zu haben. Irgendwie gelingt es Hinrichs, den zunehmend zornigen Karsten selbst in diesen Augenblicken würdevoll wirken zu lassen. Besonders witzig sind die Auseinandersetzungen mit dem Leichenwagen, der sich nach und nach in seine Bestandteile auflöst, was zu einigen Momenten komischer Konfusion führt. Das Auto steht gewissermaßen für den Gemütszustand seines Besitzers, der sehr nachvollziehbar mehr und mehr die Contenance verliert; erst recht, als bei einer zufälligen Untersuchung auch noch Schatten auf seiner Bauchspeicheldrüse entdeckt werden.

Neben Hinrichs’ liebevoll gespielten Slapstickszenen, den teilweise famosen Dialogen und den kleinen Exkursen ins Bestatterwesen lebt die Tragikomödie vor allem vom Ensemble. Hinrichs allein wäre schon das Einschalten wert, aber gerade Wittenborn, obschon erst 67, ist als von der Schüttellähmung gezeichneter und sprachlich eingeschränkter alter Mann gleichermaßen berührend wie eindrucksvoll. Regisseur Werner hat zuletzt einige Folgen der herausragend guten Vox-Serie „Rampensau“ (2019) inszeniert; „Irgendwann ist auch mal gut“, finanziert von der ZDF-Redaktion Das kleine Fernsehspiel, ist sein Langfilmdebüt. Dass er nicht nur alte Hasen zu großer Leistung führen kann, belegt eine Auszeichnung für Maresi Riegner als Karstens Auszubildende. Ellie findet stets Mittel und Wege, um die Wünsche der Hinterbliebenen zu erfüllen, und sorgt ansonsten dafür, dass Fröhlichkeit und Farbe Einzug in das triste Institut halten; Riegner ist für ihre Leistung im Rahmen des Max-Ophüls-Wettbewerbs mit dem Preis als bester Schauspielnachwuchs belohnt worden. Die unberechenbare Ellie steht zudem für den Ansatz, mit dem Werner und Bickermann ihre Geschichte erzählen: Es kommt dauernd anders, als man erwartet. Das gilt auch für die Beziehung, die sich zwischen Karsten und der Anwältin (Julia Richter) seiner Frau anbahnt.

Irgendwann ist auch mal gutFoto: ZDF / Anne Bolick
In dieser wunderbaren Tragikömödie kommt vieles anders als erwartet. Franziska Walser und Michael Wittenborn

Hinter der komödiantischen Fassade ist „Irgendwann ist auch mal gut“ allerdings nicht nur dramatisch, sondern auch von großer gesellschaftlicher Relevanz: Der weitaus größte Teil jener rund 10.000 Menschen, die sich in Deutschland pro Jahr das Leben nehmen, ist sechzig und älter. Der Film ist dem Titel gemäß nicht zuletzt ein Plädoyer für einen selbstbestimmten Abschied in Würde. Sandra formuliert jedoch die eigentliche Botschaft, als sie Karsten ins Gewissen redet, weil der Bestatter immer bloß nein zum Tode sage: „Sag’ ja zum Leben!“ Das ZDF zeigt die mit munterem Jazz und melancholischer Bandoneon-Musik (Peer Kleinschmidt) unterlegte Komödie im Rahmen seiner Reihe „Shooting Stars – Junges Kino im Zweiten“ und daher leider erst um 23.15 Uhr, dabei gibt es keinen Grund, der dagegen spräche, sie um 20.15 Uhr auszustrahlen; selbst wenn der Film zur Weihnachtszeit spielt.

tittelbach.tv ist mir was wert

Mit Ihrem Beitrag sorgen Sie dafür, dass tittelbach.tv kostenfrei bleibt!

Kaufen bei

und tittelbach.tv unterstützen!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Fernsehfilm

ZDF

Mit Fabian Hinrichs, Franziska Walser, Michael Wittenborn, Maresi Riegner, Julia Richter, Georg Blumreiter, Vilmar Bieri, Hede Beck, Anne-Marie Lux

Kamera: Anne Bolick

Szenenbild: Christian Strang

Kostüm: Tini Fetscher

Schnitt: Henning Stöve

Musik: Peer Kleinschmidt

Redaktion: Burkhard Althoff

Produktionsfirma: Venice Pictures

Produktion: Sebastian Sawetzki

Drehbuch: Daniel Bickermann – Vorlage: Katharina Kress

Regie: Christian Werner

EA: 23.07.2020 23:15 Uhr | ZDF

Spenden über:

IBAN: DE59 3804 0007 0129 9403 00
BIC: COBADEFFXXX

Kontoinhaber: Rainer Tittelbach