Die „Herzkino“-Filme sonntags im ZDF spielen dem Vorurteil zum Trotz keineswegs immer in einer heilen Welt; mitunter geht es durchaus dramatisch zu. Ähnlich wie im Kinder-Fernsehen hat die Zielgruppe jedoch die Garantie, dass am Ende alles gut wird. Trotzdem muss sie den Schock, mit dem dieses Liebesdrama aus der „Inga Lindström“-Reihe beginnt, erst mal verkraften, denn der Prolog steht unter dem Motto „Glück und Glas, wie leicht bricht das“: Ein verliebtes junges Paar trifft sich in Stockholm. Die Frau eröffnet dem Mann, sie sei schwanger, aber der reagiert anders als erwartet („Kann gerade keine Kinder gebrauchen“), macht sich davon – und läuft vor einen Laster. Im Krankenhaus, wo er seinen Verletzungen erliegt, erfährt sie, dass er ein Doppelleben geführt hat und sie bloß die Zweitfrau war.
Zehn Jahre später ist Glasdesignerin Sara (Julia Dietze) alleinerziehende Mutter eines aufgeweckten Sohnes, als sie eines Tages unerwarteten Besuch bekommt: Jean Vikander (Jean-Yves Berteloot) ist Besitzer einer Glasmanufaktur; und der Vater von Alexander, dem Erzeuger ihres Kindes. Der Auftrag käme Sara gerade recht, aber dann erfährt sie, dass Jean der unbekannten Geliebten seines Sohnes die Schuld an Alexanders Tod gibt; also verrät sie verständlicherweise erst mal nicht, wer sie ist. Zusätzlich kompliziert wird die Angelegenheit, als sich der ebenso attraktive wie schlagfertige Weltenbummler, dem sie beinahe vor sein landendes Sportflugzeug gelaufen wäre, als Alexanders älterer Halbbruder entpuppt.
„Feuer und Glas“ ist eine ziemlich geschickte Mischung aus Drama und Romanze, und natürlich verdankt der Film seine Spannung nicht zuletzt der Frage, wann und wie das Versteckspiel auffliegt. Aline Ruiz Fernandez, die für die Reihe bereits gemeinsam mit Stefanie Sycholt die Vorlage zu der erfrischenden Liebesgeschichte „Zurück ins Morgen“ (2016, mit Klara und Heikko Deutschmann) geschrieben hat, arbeitet zwar mit einigen typischen Zutaten, hat sich aber bemüht, die Hauptrollen möglichst klischeefrei zu gestalten. Die zentralen Figuren haben alle eine düstere Seite, was den Darstellern viel Spielraum gibt. Gerade Jean-Yves Berteloot nutzt das Spektrum weidlich aus. Der Franzose, gern gesehener Gast im deutschen Fernsehfilm, versieht den gebürtigen Belgier Jean einerseits mit einer gewissen Liebenswürdigkeit, andererseits aber auch mit einem Abgrund an Verbitterung, der sich vor allem im Umgang mit seinem Stiefsohn Stellan (Michael Raphael Klein) äußert. Auch für Sara hat das Leben nach Alexanders Tod zumindest einen Teil seines Sinns verloren.
Für Oliver Dieckmann ist „Feuer und Glas“ ebenfalls der zweite „Herzkino“-Film. Seine erste Regiearbeit war die traurig-schöne Großstadtballade „Pizza und Marmelade“ (BR 2009); es folgten unter anderem das gute ARD-Weihnachtsmärchen „Dornröschen“ (2009) sowie der heiter-turbulente Kinofilm „Als der Weihnachtsmann vom Himmel fiel“ (2011). Für „Inga Lindström“ hat er bereits die Episode „Auf der Suche nach dir“ (2019) gedreht, eine sympathische Liebesgeschichte, bei deren Umsetzung sich der sonst meist als Producer tätige Regisseur allerdings konsequent den Regeln des Sendeplatzes unterworfen hat. Für „Feuer und Glas“ gilt das nicht minder: Wenn sich Sara und Stellan im Wasser tummeln, glitzert das Sonnenlicht auf den Wellen, und da das Gästehaus der Vikanders an einem See liegt, gibt es diverse schöne Bilder mit Sonnenauf- oder untergängen überm Wasser.
Für den Charme des Films sorgen daher in erster Linie das Drehbuch sowie Dieckmanns gute Arbeit mit den Schauspielern. So genügen zum Beispiel kleine Momente, um die Vielschichtigkeit der Figuren anzudeuten. Dass Jean dem kleinen Sohn seiner Assistentin Annika (Sylta Fee Wegmann), deren Zuneigung zu ihrem Chef zunächst nur angedeutet wird, heimlich Geld für ein Eis zusteckt, macht ihn sympathisch; aber kurz drauf hält er Saras avantgardistische Entwürfe für „dilettantische Selbstverwirklichungsversuche“. Natürlich ist es letztlich gerade ihr eigenwilliger Stil, der die Firma vor der Pleite rettet. Eine weitere interessante und glaubwürdig verkörperte Figur ist Stellans Mutter Lilian (Sabine Bach), die aufgrund des Dauerstreits zwischen Jean und ihrem Sohn in einem Loyalitätsdilemma steckt.
Die „Herzkino“-Filme haben sich schon oft als Sprungbrett für junge Schauspielerinnen bewährt. Diesmal ist es jedoch der männliche Hauptdarsteller, der nachhaltig auf sich aufmerksam macht, und das liegt nicht nur daran, dass Michael Raphael Klein die witzigsten Dialogzeilen hat. Sehr hübsch sind auch zwei Ideen, die sich durch die gesamte Geschichte ziehen und die Verbundenheit der verschiedenen Figuren miteinander verdeutlichen. Großvater und Enkel einigt die Vorliebe für Rätselfragen, und Sara freut sich darüber, dass sich Stellan ähnlich wie Alexander fantasievolle Namen und witzige Biografien für fremde Menschen ausdenkt. Der jüngere Bruder hat sich dieses Spiel und noch einige andere Dinge jedoch bloß vom älteren abgeschaut, und Sara stellt verblüfft fest, dass sie sich im Grunde schon vor zehn Jahren in Stellan verliebt hat. (Text-Stand: 10.12.2019)