Die Vorstellung, beim ZDF sei man eine große Familie, ist zwar romantisch, aber auch zu schön, um wahr zu sein; allein auf dem Mainzer Lerchenberg sind über 3.000 Mitarbeiter beschäftigt. Trotzdem ist der Satz nicht völlig falsch. Er gilt zum Beispiel für Menschen, die vor und hinter der Kamera an Filmen und Serien mitwirken. Den meisten Zuschauern werden die Namen Mersiha Husagic & Joscha Kiefer nicht viel sagen, doch das treue ZDF-Publikum kennt die beiden aus „Soko München“. Die Produktion der Vorabend-Serie ist mittlerweile eingestellt worden, aber das Duo durfte die Zusammenarbeit fortsetzen: In dem romantischen „Inga Lindström“-Drama „Das Haus der 1000 Sterne“ spielt Husagic eine freie Architektin um die dreißig, die zufällig ihrer Jugendliebe über den Weg läuft. Stine Olsen war damals mit dem Hallodri Jan liiert, in Wirklichkeit jedoch in dessen älteren Bruder verliebt. Paul (Kiefer) ist irgendwann als Anwalt nach Boston gezogen und nun vorübergehend nach Stockholm zurückgekehrt, um ein Haus zu verkaufen, das er mit seinem Bruder geerbt hat. Tatsächlich war auch er damals schwer von Stine angetan, wollte aber Jan nicht in die Quere kommen.
Da die emotionalen Koordinaten bereits mit den ersten Szenen geklärt sind, steht im Grunde fest, wie die Geschichte ausgehen wird. Der Reiz des Films, für den nach längerer Pause wieder mal die ursprüngliche Lindström-Schöpferin Christiane Sadlo tätig war, ergibt sich daher aus der Frage, auf welch’ verschlungenen Pfaden die Autorin die Handlung zu einem glücklichen Ende führen wird. Mindestens so unverzichtbar wie die gefällige Musik und die schönen Bilder von Landschaft und Meer sind in den Reihen „Inga Lindström“ und „Rosamunde Pilcher“ die Nebenbuhler: Paul ist mit Mary (Talisa Lara Schmid), der Tochter seines Chefs, verlobt, und der angeblich gereifte Jan (Tony Kainz), dem Stine einst den Laufpass gegeben hatte, weil er sich an all’ ihre Freundinnen rangemacht hat, wittert seine Chance, um die alte Beziehung zu erneuern. Zum Muster der „Herzkino“-Romanzen gehört allerdings auch die Schlichtheit der Figuren. Regisseur Marco Serafini, der schon seit einigen Jahren nur noch Sonntagsfilme fürs „Zweite“ dreht (davor u.a. sechs „Polizeiruf“-Episoden), lässt von Beginn an keinen Zweifel daran, dass Mary ihre Zukunft nicht an der Seite Pauls sieht. Beim jüngeren Bruder ist das spätere Scheitern nicht ganz so offensichtlich, er schafft es immerhin in Stines Bett, aber auch er diskreditiert sich früh: Jan investiert gern in windige Geschäfte und ist ständig in Geldnot, weil er einen fatalen Hang zum Glücksspiel hat.
Foto: ZDF / Manuela Meyer
Soundtrack: Denise LaSalle („Trapped By A Thing Called Love“), Roy Head („Treat Her Right”), Curtis Mayfield („Superfly”)
Komplexer als die Charaktere ist die Einfädelung der Liebesgeschichte, selbst wenn Sadlo dafür in kauf nimmt, dass sich viele Zuschauer fragen werden, was die beiden Brüder mit dem titelgebenden Haus zu tun haben. Die Leerstelle ist jedoch Voraussetzung dafür, dass Paul mehrere verwirrende Déjà-vu-Erlebnisse hat: Die Brüder wollen den Landsitz verkaufen und haben Stine engagiert, um den Abriss zu organisieren. Natürlich ist das prächtige Anwesen viel zu schade, um dem Erdboden gleich gemacht zu werden, zumal Paul das Gefühl hat, schon mal hier gewesen zu sein. Als Stine auf ein altes Familiengeheimnis stößt, macht Paul dicht: Lieber will er die Wahrheit ignorieren, als den verehrten Vater vom Sockel zu stürzen.
Serafini hat schon Dutzende solcher Filme gedreht. „Das Haus der 1000 Sterne“ erfüllt zwar alle Vorgaben des Sendeplatzes, ist aber dennoch mehr als bloß das Ergebnis einer routiniert erledigten Pflichtaufgabe. Das hat einerseits mit Handwerk und Professionalität zu tun (die sorgfältige Bildgestaltung besorgte Serafinis langjähriger Kameramann Sebastian Wiegärtner), andererseits viel mit den Schauspielern. Die Mitwirkenden sind zwar mit Ausnahme von Brigitte Karner – sie spielt die frühere Bewohnerin des Hauses, Elsa – kaum bekannt, machen ihre Sache aber ausnahmslos gut, zumal Serafini auch kleine Nebenrollen prägnant besetzt hat. Fast noch präsenter als die Hauptdarstellerin ist Henrike Fehrs als Stines beste Freundin Nelli. Heimlicher Star zumindest für alle Vierbeinerfreunde ist allerdings Stines Hund, der ihren Nachnamen trägt und ausgezeichnet trainiert worden ist. Dankenswerterweise hat Serafini darauf verzichtet, das Tier zu vermenschlichen und die Handlung kommentieren zu lassen. Trotzdem hat Olsen seinen Anteil daran, dass das Paar schließlich zueinanderfindet. Weil der Sendeplatz außerdem von der Überzeugung lebt, dass bei großen Gefühlen stets das Schicksal die Fäden zieht, sorgt ein Windstoß dafür, dass Stine in einem Kochbuch auf das Rezept für Schakschuka stößt; schließlich geht Liebe durch den Magen. Sadlo hat Elsa („Alles hat seine Zeit“) und Stine („Das Leben ist kein Spiel“) ohnehin einige Weisheiten aus dem Abreißkalender in den Mund gelegt, aber das stört nicht weiter. (Text-Stand: 9.12.2020)