Ich will dich

Weisse, Marozsán, Noethen, Rainer Kaufmann. Klarheit der Vernunft & pure Lust

Foto: WDR / Conny Klein
Foto Rainer Tittelbach

„Ich will dich“ erzählt von einer Ehefrau, Mutter und Geschäftsfrau, die ungeahnte Gefühle für eine andere Frau entwickelt. Der Film von Rainer Kaufmann verweilt ganz im Rahmen der Familie. Was wie ein Arthaus-Ästhetik-geschwängertes Gedankenexperiment beginnt, entwickelt sich zu einer wahrhaftigen Liebesgeschichte um tiefe Sehnsüchte & Verdrängung, um den Wunsch nach Nähe & körperlichem Verlangen. Es ist der großen Kunst und sinnlichen Überzeugungskraft von Ina Weisse & Erika Marozsán zu verdanken, dass es nur weniger intimer Momente bedarf, um einem die Liebe der Frauen glauben zu machen.

Marie & Bernd sind verheiratet und haben zwei pubertierende Kinder. Gemeinsam führen sie ein gut gehendes Architekturbüro. Sie sind mehr als ein eingespieltes Team. Ihre Beziehung wird auf die Probe gestellt, als Dom, ein alter Freund der beiden, mit dem Marie einst zusammen war, sich nach Jahren mal wieder sehen lässt. Marie ist irritiert. Es ist aber nicht der alte Liebhaber, der sie durcheinander bringt, sondern seine Freundin Ayla. Diese impulsive Frau beeindruckt Marie. Vielleicht ist es auch mehr. Ein erster Kuss. Die Frauen versichern sich gegenseitig, dass sie nicht lesbisch sind. „Dann ist es ja gut“, befinden beide. Wenig später ziehen Dom und Ayla in die Nachbarschaft. Die beiden Frauen treffen sich heimlich, beginnen eine Affäre, verlieben sich ineinander, wollen ihre heterosexuellen Partnerschaften aber nicht aufgeben. Als Ayla beginnt, sich mit Baby und Heirat enger an Dom zu binden, begehrt Marie auf, meldet Besitzansprüche an. Und dann feiern alle zusammen Weihnachten.

Ich will dichFoto: WDR / Conny Klein
Schöne Bescherung. Doch nur Maries Sohn spricht es aus: „Mama ist mit Ayla zusammen.“ Ina Weisse, Erika Marozsán, Ulrich Noethen, Marc Hosemann, Matti Schmidt-Schaller

„Ich will dich“ erzählt von einer lebenstüchtigen Mutter und Geschäftsfrau, die ungeahnte Gefühle für eine andere Frau entwickelt. Der Film von Rainer Kaufmann, der keines jener Coming-out-Dramen ist, in dem auch noch die Gesellschaft, die Nachbarn, die Kollegen, die Verwandten ein Wörtchen mitreden müssen, zeigt unaufgeregt, wie sich zwei Frauen näher kommen, wie sie gegenseitig Unbekanntes am anderen entdecken und wie dabei etwas zum Schwingen gebracht wird, wozu ihre Männer nicht in der Lage sind. Was anfangs in seiner Flüchtigkeit und Beiläufigkeit, die an das ausschnitthafte Erzählen im Arthaus-Kino erinnert, wie ein Gedankenexperiment anmutet, entwickelt sich zu einer echten Liebesgeschichte um tiefe Sehnsüchte & Verdrängung, um den Wunsch nach Nähe & körperlichem Verlangen. Es ist auch die Geschichte einer untreuen Ehefrau, die sich in einer Parallelwelt einrichtet. Dabei wird der Fokus vornehmlich auf Maries Familienalltag gelegt. Die Teenagerkinder – die Verliebtheit der Tochter, die Lügen des Haschisch rauchenden Sohns – werden dabei zur Projektionsfläche für Marie, die sexuell offenbar noch einmal etwas ausprobieren möchte.

Die Liebe zwischen Marie und Ayla beschränkt sich auf zwei, drei erotische Situationen, die von jener Selbstverständlichkeit geprägt sind, die der Film insgesamt beim Umgang mit dem Thema an den Tag legt. Außerdem gibt es immer wieder Gruppen-Szenen, in denen das Verbergen der Liebe vor allem der Ehefrau und Mutter eine schmerzvolle Herausforderung zu sein scheint und in denen die Männer mehr und mehr auf die Probe gestellt werden. Es ist an Maries Sohn, es an Heiligabend endlich auszusprechen: „Mama ist mit Ayla zusammen.“ Es ist der großen Kunst und sinnlichen Überzeugungskraft von Ina Weisse und Erika Marozsán zu verdanken, dass es nur weniger intimer Szenen bedarf, um dem Zuschauer die Liebe der beiden Frauen glauben zu machen. Da ist Marie, die Frau, die Reflektierte, die mit der Klarheit der Vernunft bisher die Dinge des Lebens zu regeln wusste und durch Gefühle eher verunsichert wird. Und da ist Ayla, der unbezähmbare Wildfang, das pure Lust-Prinzip. Stark sind diese Frauen auf ihre Weise beide, doch im Widerstreit der beiden „Mentalitäten“ ist Marie die schwächere, die vermutlich irgendwann vom Liebesleid ergriffen werden dürfte.

Ich will dichFoto: WDR / Conny Klein
Was tun? Ihre Beziehung ist ein ständiges Wechselbad der Gefühle. Ina Weisse und Erika Marozsán in „Ich will dich“ (2015)

Diese Machtverhältnisse haben nicht zuletzt auch dramaturgische Gründe. So bleibt der Charakter Ayla unklarer. Muss unklarer bleiben. Sonst ließe sich diese Geschichte nicht über 90 Minuten erzählen. Zwar spricht auch sie von Liebe, aber vielleicht meint sie ja etwas anderes damit als der prinzipientreue Kopfmensch Marie. Ayla bekommt von den Autoren Kathrin Richter und Jürgen Schlagenhof die Rolle als Objekt des Begehrens zugeschrieben. Eine Frau, deren Gefühle sich durch ihren Hang zum Theatralischen nur schwer einschätzen lassen. Sie ist es auch, die ihre Freundin mit Hiobsbotschaften, Schwangerschaft oder Heirat, vor den Kopf stößt. Und versteckt sich nicht vielleicht hinter ihrer unabhängigen Erscheinung mit Motorrad und unkonventionellem Lebensstil (ihre und Doms Toilette befindet sich offen, mitten im Schlafzimmer) die Abhängigkeit von ihrem beruflich erfolgreichen Partner? Selbstredend wird bei dieser Figur, der slawischen Schönheit ohne Beruf und ohne finanzielle Absicherung, auch mit dem Klischee des Luxusweibchens an des Mannes Seite gespielt.

Soundtrack: u.a.Jacques Dutronc („J’aime les filles“), Caribou („Sun“), Aretha Franklin („Respect“), Dionne Warwick („The Look of Love“), Diana Ross („Chain Reaction“), Dusty Springfield („Spooky“)

Die Augen-Blicke, in denen Marie und Ayla ihre Zweisamkeit genießen können, sprechen allerdings eine andere Sprache. Da wird die enge, seelische Verbundenheit der beiden Frauen deutlich. Und mitunter sehr viel mehr: So antizipiert beispielsweise eine Szene im ersten Drittel des Films, in dem Marie und Ayla wild, ausgelassen, ja ekstatisch miteinander tanzen bereits den Charakter der Beziehung: So wie sie von der Musik geritten werden, so möchten sie ihren Gefühlen freien Lauf lassen – ungezügelt, ungebremst. Dieser Tanz wird geradezu zum Sinnbild für den Ausbruch aus den bürgerlichen Konventionen. Der Titel gebende Satz „Ich will dich“ wird allerdings erst sehr viel später ausgesprochen. (Text-Stand: 10.1.2015)

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Fernsehfilm

Arte, WDR

Mit Ina Weisse, Erika Marozsán, Ulrich Noethen, Marc Hosemann, Matti Schmidt-Schaller, Petra Schmidt-Schaller

Kamera: Klaus Eichhammer

Szenenbild: Knut Loewe

Schnitt: Christel Suckow

Musik: Verena Marisa

Produktionsfirma: Constantin Television

Produktion: Kerstin Schmidbauer, Cornelia Popp

Drehbuch: Kathrin Richter, Jürgen Schlagenhof

Regie: Rainer Kaufmann

Quote: ARD: 3,96 Mio. Zuschauer (12,6% MA)

EA: 13.02.2015 20:15 Uhr | Arte

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