Hüter meines Bruders

Sebastian Zimmler, Nadja Bobyleva, Maximilian Leo: Das Leben des Anderen

Foto: WDR / augenschein Filmproduktion
Foto Volker Bergmeister

„Erlaubt ist in der Nachwuchsschiene des Ersten alles, denn das Ziel vom ,Film-Debüt im Ersten‘ ist die jungen Talente nicht einzugrenzen, sondern ihnen zu helfen, eine eigene Handschrift zu finden“, sagt NDR-Redakteurin Sabine Holtgreve. Die hat Maximilian Leo in seinem Langfilm-Debüt bereits entwickelt. „Hüter meines Bruders“ zeigt die obsessive Suche eines jungen Mannes nach seinem verschwundenen Bruder, die dazu führt, dass er immer mehr in dessen Leben eintaucht und sein eigenes aufgibt. Intensives Psychodrama mit sparsamen Dialogen, ruhigen Bildern, langen Kamerafahrten & klugem Farbkonzept.

Zwei ungleiche Brüder. Gregor (Sebastian Zimmler) ist Arzt in einem Krankenhaus, hat eine Freundin, plant mit ihr eine Zukunft mit Eigenheim und Kindern. Pietschi (Robert Finster), zwei Jahre jünger, ist ein Chaot, ein künstlerischer Freigeist, wohnt über einer Bar, hat keine feste Beziehung. Einmal im Jahr treffen sich die beiden zum gemeinsamen Segelausflug. Da prallen dann die unterschiedlichen Lebensvorstellungen aufeinander. „Macht dir dein Leben eigentlich Spaß?“, fragt Pietschi seinen Bruder. Kurz darauf ist er spurlos verschwunden. Wenig später begibt sich Gregor auf die Suche nach dem Motiv für das Verschwinden – in der Familie, bei seinen Freunden, in Pietschis Wohnung. Hat er sich umgebracht oder ist er nur geflohen? Gregor nistet sich, da seine eigene Freundin mit ihren Mädels Urlaub macht, in der Wohnung seines Bruders ein, will herausfinden, wer er war. Und er will ergründen, wer er selbst eigentlich sein will. Er lässt sich dazu sogar mit Pietschis Ex Jule (Nadja Bobyleva) ein.

Hüter meines BrudersFoto: WDR / augenschein Filmproduktion
Pietschis Freundin Jule (Nadja Bobyleva), an der bald auch Gregor Gefallen findet.

Die obsessive Suche nach seinem Bruder, aber vor allem nach sich selbst macht Gregor zu einem anderen Menschen. In Pietschis Leben sieht er immer mehr das, was er sich erträumt hat: Freiheit statt Zwänge. Und so vollzieht er eine Metamorphose, taucht immer mehr ein in das Leben seines Bruders. Er vernachlässigt seinen Job und seine Freundin, spielt seiner Umgebung etwas vor und verwandelt sich Stück für Stück in Pietschi. Er hört dessen Musik, raucht dessen Zigaretten, öffnet dessen Post, durchstöbert dessen Fotos und schläft mit dessen Ex. Er hofft so zu erkennen, was ihm selbst eigentlich wichtig ist. Er wird zum „Hüter meines Bruders“, so der Titel des Langfilm-Debüts von Maximilian Leo, aber auch zu jemandem, der dabei Stück für Stück den Boden unter den Füßen verliert. Das Drehbuch von Susanne Finken ist dicht am Protagonisten und dessen Lebensgefühl, das sich durch das Verschwinden seines Bruders komplett verändert. Die Autorin führt in ihrer Geschichte vor Augen, wie sich die Identität der Hauptfigur auflöst, weil sie nicht damit zurecht kommt, dass plötzlich jemand in ihrem Leben fehlt, der für sie wichtig war, weil sie sich von ihm abgrenzen konnte. Sie erzählt weniger über Dialoge, oft ist Gregor allein. Es ist eher ein innerer Monolog, der sich durch Bilder und Stimmungen ausdrückt, wobei die Musik und die Schauplätze große Bedeutung haben. Sie sind ein Spiegelbild seines Seelenzustands.

Hüter meines BrudersFoto: WDR / augenschein Filmproduktion
Beeindruckende Bilder: Gregor (Sebastian Zimmler) bändelt mit Jule (Nadja Bobyleva) an.

Regisseur Maximilian Leo über sein Farbkonzept:
„Wasser ist das visuelle Leitmotiv. Die Brüder im Meer, auf dem Boot. Gregor betritt Pietschis Wohnung das erste Mal tagsüber, sie schimmert hellblau, noch sind wir an der Oberfläche. Im Verlauf des Films wird die Wohnung bei Nacht zum dominierenden Motiv. Wir ziehen Gregor und den Zuschauer von der ,Wasseroberfläche‘ nach unten ins ,tiefe Blau des Unterbewussten‘. Einzig bei Jule und ihrer Umgebung dominiert das Rot. Jule verkörpert mehr die Wut über den Verlust als die Trauer. In der finalen Szene steht Gregor wieder an der Oberfläche, am Strand in Holland. Gregor lässt los. Er ist aufgetaucht. Pietschi nicht.“

Maximilian Leo, bisher in erster Linie Produzent von nationalen und internationalen Filmprojekten, erzählt sehr entschleunigt. Der Zuschauer bleibt in der Rolle des Beobachters. Man sieht Gregor bei seiner Suche und seiner Verwandlung zu, entwickelt keine Empathie, fiebert nicht mit, ist nicht einmal verwundert. Kameramann Matteo Cocco arbeitet viel mit der Handkamera, die den Protagonisten auf seiner Suche, seinen langen Wegen ständig begleitet. Man taucht mit Gregor ein in eine fremde Welt, in eine fremde Wohnung, in ein fremdes Leben. Regisseur Leo spielt mit kaltem und warmen Licht für die verschiedenen Welten, in denen Gregor lebt. Hier die Realität, dort die Sehnsucht, hier das Geregelte, dort das Geheimnisvolle. Eltern, Freunde, berufliches Umfeld spielen kaum eine Rolle, alles ist auf Gregor konzentriert. Der sucht nach dem Unerklärlichen. Sebastian Zimmler spielen dieses Gregor mit seinem rätselhaften Verhalten unaufgeregt, konzentriert – sehr überzeugend.

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Kinofilm

WDR

Mit Sebastian Zimmler, Robert Finster, Nadja Bobyleva, Dagny Dewath, Katja Liebing, Lisa Bihl, Dagmar Operskalski, Heike Trinker, Markus Tomnzyk, Christoph Schechinger

Kamera: Matteo Cocco

Szenenbild: Cora Pratz

Schnitt: Dora Vajda, Fiona Brands

Musik: Martin Rascher

Produktionsfirma: augenschein Filmproduktion

Drehbuch: Susanne Finken

Regie: Maximilian Leo

EA: 27.06.2017 00:40 Uhr | ARD

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