Wütet am Kiez rund um die Potsdamer Straße ein Serienkiller oder ein Bandenkrieg?
Es sollte ein besonderer Abend werden. Heiko Wills (Johann von Bülow) überrascht seine Frau Yvonne (Alice Dwyer) mit einer Einladung in einen ganz besonderen Club: Tango auf der Tanzfläche, Sex in den Séparées und im Klavier eine nackte, strangulierte Tote, die bei genauerem Hinsehen ein Er ist. Weil das Ehepaar Wills offenbar mit dem Tatort und der Szene vertraut ist, macht Kriminaldirektor Pede (Stephan Bissmeier) den renommierten Profiler und die Vollblutkommissarin kurzentschlossen für diesen Fall zu einem Team, das von der reservierten Rechercheurin Diane Springer (Birge Schade) und der Berliner Frohnatur Kevin Lukowski (Tim Kalhof) ergänzt wird. Yvonnes Connections in die Unterwelt sind der Türöffner für den Fall. Doch selbst Onkel Mike (Heinz Hoenig) und sein Sohn Enrico (Florian Lukas) halten sich ebenso bedeckt wie der verdächtige Schober (Bernd Michael Lade), der das tödliche Tango-plus-Event veranstaltet hat. Wenig später hängt ein ermordeter Junkie am Bülowbogen an einem Seil. Und es wird nicht der letzte Tote sein. Dennoch zieht Pede die Wills mit fadenscheinigen Gründen vom Fall ab. Wollen die Verantwortlichen, dass der Kiez, auf dem Araber, Russen, Asiaten und Rocker ihre Geschäftsfelder gefunden haben, „die Sache“ intern regelt? Gibt es einen Player im Haifischbecken an der Potsdamer Straße, mit dem sich der Innensenator (Walter Kreye ) und die Polizei lieber nicht anlegen möchten? Und welche Rolle spielt der dänische Geschäftsmann (Carsten Bjornlund), der Yvonne in einer bedrohlichen Situation aus der Bredouille hilft und anschließend anbaggert.
Am Reißbrett entstanden: Ein Ehepaar ermittelt mit Humor und ohne Konzept
Man kann sich vorstellen, wie „Herr und Frau Bulle“, die neue ZDF-Reihe, in den Köpfen der Verantwortlichen zum Leben erweckt wurde. Familien („Schwarzach 23“) und Brüder („Schwartz & Schwartz“) gibt es, Mutter mit Tochter („Dresden Mord“) und Vater mit Tochter („Kommissar Stubbe“) gab es ja bereits in den Reihen des Samstagskrimis – wie wäre es also mal mit einem Ehepaar, das gemeinsam ermittelt? Klingt gut, denn diese Kombi ist ja fürs ZDF-Publikum (das deutsche Bürgertum ab 50) – über das Genre hinaus – vielleicht noch einen Tick anschlussfähiger als diese coolen Großstadtbullen, die deutlich bigger than life sind, und da die Besetzung jünger ist, hat das für die „alten Säcke“ vorm Fernseher auch noch einen gewissen Reiz. Das „Befremdliche“ sollte aber auch nicht zu kurz kommen! Das sollte kein Problem sein: Berlin bietet so viele Milieus und Themen, dass für die biederen Fernseh-Voyeure genug Sozial-Exotik & Glamour zu finden ist. Und wie sollten die Kommissare drauf sein? Durchgeknallte gibt es doch schon genug bei der Konkurrenz und wir haben ja „München Mord“ und „Kommissarin Heller“, die dunkle Variante des Schrägen; andererseits sind unsere Langläufer am Samstag, „Wilsberg“ und „Ein starkes Team“, die populärsten Reihen – und die haben auf jeden Fall fast immer Witz. Gebongt: Humor muss rein! Bietet sich auch bei den Gegensätzen von „Herr und Frau Bulle“ förmlich an: ein verkopfter Schreibtischtäter, der sich auf den Straßen von Berlin bewähren muss. Der Mann könnte mal wie ein Trottel dastehen, mal aber wider Erwarten eine ganz clevere Figur machen. Beides ist witzig. Gut, und die Frau? Die könnte schon etwas Geheimnis vertragen. Wie wäre es mit einer Kommissarin, die einen besonderen Draht zur Unterwelt hat? Das könnte sich zunächst auf die berufliche Ebene beschränken, aber nach und nach könnte man durchsickern lassen, dass sie auch privat und biographisch mit der Szene in Verbindung steht. So machen wir’s!
Narrative Dichte, zweite Ebenen, intelligent pointierte Dialoge – alles Fehlanzeige!
Ob die Entwicklung der neuen Samstagskrimireihe so oder ähnlich verlief, wer weiß das schon – die erste Episode „Tod im Kiez“ jedenfalls sieht ganz danach aus. Hier wird alles (vermeintlich Erfolgversprechende) in 90 Minuten zusammengequirlt. Äußerlichkeiten und Oberflächenreize bestimmen den Film, und die Konzeption beschränkt sich bislang allein auf das Kontrast-Duo. Aber Gegensätze allein ergeben noch keine stimmige Dramaturgie, geschweige denn eine überzeugende Geschichte. Narrative Dichte, zweite Ebenen, inspirierende Subtexte – alles Fehlanzeige! Der Plot wirkt ausgedacht, seine Ausführung ist bemüht und ohne Raffinesse gestaltet. Die Figuren sind Kopfgeburten. Dabei ist die Ehepaar-Idee mit Hund als Kindersatz prinzipiell gut (wie die „Dünne-Mann“-Reihe schon vor 80 Jahren zeigte) und die Beziehung der beiden ausbaufähig. Auch Alice Dwyer (LKA-Agentin im „Amsterdam-Krimi“ ab 22.11.) und Johann von Bülow sind physisch ein erfrischendes Paar, aber nicht mit solchen Dialogen und Kasperletheater-Interaktionen. Selbst in dem an sich originellen John-Woo-liken Finale wird weder das Absurde der Situation noch das Spannende akzentuiert, sodass die Szene in ihrer Wirkung mehr oder weniger verpufft.
Die Gegen-Meinung: „Eine gesunde Portion Selbstironie, interessante Figuren und eine hochkarätige Besetzung mit Mut zu Ungewohntem (Buch: Florian Lukas als Rocker) füllen den am Ende etwas veralberten Fall mit prallem Leben. Der Einstand ist gelungen und macht neugierig auf mehr.“ (TV-Spielfilm)
Wer „4 Blocks“ oder „Nachtschicht“ kennt, kann diesen Kiez nur müde belächeln
Erste Episoden neuer Reihen haben es immer schwer. An dieser (Kritiker-)Weisheit ist zwar nach wie vor was dran, aber außer ein paar Donnerstagskrimis gab es zuletzt so gut wie keine schwach gestartete Krimi-Reihe in ARD & ZDF. Besonders betrüblich, dass die Produktions-Firma Eikon Media, die jahrelang für eine der besten Krimi-Reihen des neuen Jahrtausends verantwortlich war, „Unter Verdacht“ mit Senta Berger, jetzt eine neue Reihe zu etablieren versucht, die man sich konzeptionell gerade noch als einen episodischen Freitagskrimi im ZDF vorstellen könnte, deren Auftakt als 90-Minüter in seiner ganzen Belanglosigkeit aber einfach nur mordsmäßig langweilt. Zu hoffen, man könnte mit dem Thema Gentrifizierung dem Ganzen noch einen Authentizitätsschub geben, ist natürlich mächtig blauäugig. Wer beispielsweise „4 Blocks“ gesehen hat, wer „Nachtschicht“ kennt oder den Berliner „Tatort“, der kann diesen Kiez-Krimi mit seiner Vorhersehbarkeit, mit seinen ausgestellten Transen und Haudraufs, mit Florian Lukas und Bernd Michael Lade als kostümierte harte Jungs (gegen die beiden wirkt selbst noch Heinz Hoenig „glaubwürdig“ und wird Carsten Bjornlund zum interessantesten Gesicht des Films) einfach nur lächerlich finden. Dazu diese ausgestellte Gewitztheit, das wortwörtliche Augenzwinkern (von Johann von Bülow), die Art und Weise, wie der Sex in der Anfangs- und Schlussszene eingesetzt wird – das ist altbacken und zum Fremdschämen. Auch die Inszenierung von Till Franzen hat dem schwachen Drehbuch von Axel Hildebrand wenig entgegenzusetzen. Die Bildästhetik wirkt uninspiriert kühl und ist ähnlich farblos wie das meiste in diesem Film. Viele Schnitte und nahe Einstellungen lassen vor allem in der ersten Hälfte des Films keine Raumvorstellung zu und damit wenig Atmosphäre entstehen; ein durchgehender Erzählrhythmus ist nicht zu erkennen. Da versöhnt der heimliche Star des Films, „das kleine, perverse Fellbündel“, dem die Wills den Namen Albert nach Serienkiller „Albert Fish“ gegeben haben. Der Hund ist putzig, unförmig, und sexuell hat er sich so einiges von Herrchen & Frauchen abgeguckt. (Text-Stand: 23.10.2018)