Helen Dorn – Das Recht zu schweigen

Loos, Seith, Stötzner, Lohmeyer, Lardi, Friedemann Fromm. Das Schweigen der Väter

Foto: ZDF / Georges Pauly
Foto Tilmann P. Gangloff

Friedemann Fromms Film über die Suche nach dem Mörder eines Unternehmers beginnt wie ein gewöhnlicher Krimi, entwickelt sich dann jedoch zu einer großen Geschichte, in der es nicht nur um eine brisante Waffentechnologie geht; die Spur führt zurück ins Jahr 1986. „Das Recht zu schweigen“ ist die dritte Regie des mehrfachen Grimme-Preisträgers für „Helen Dorn“ (ZDF / Network Movie Hamburg), aber die erste nach eigenem Drehbuch. Ähnlich interessant wie der Krimiplot ist das Subthema Väter und Töchter, das nicht nur auf der Krimiebene eine wichtige Rolle spielt. Bei aller Spannung ist der darstellerisch ohnehin vorzügliche Film auch ein großes Vergnügen; die Szenen mit der Titelheldin (Anna Loos) und ihrem treuen Sancho Pansa (Tristan Seith) haben mitunter Sitcom-Qualität.

Wenn ein Jäger aus großer Entfernung erschossen wird, kann es sich theoretisch um einen Jagdunfall halten; selbst wenn das tödliche Geschoss den Mann mitten in die Stirn getroffen und die Spezialmunition dafür gesorgt hat, dass er garantiert nicht überlebt. Natürlich spürt Helen Dorn, dass mehr dahinter steckt, sonst wäre die Geschichte ja kein Krimi; und es gehört zur guten Tradition solcher Reihen, dass sich Ermittlerinnen und Ermittler erst recht in ihre Fälle verbeißen, wenn die Vorgesetzten die Sache für erledigt erklären und bei Zuwiderhandlung gar mit Suspendierung drohen.

Helen Dorn – Das Recht zu schweigenFoto: ZDF / Georges Pauly
Werden die beiden Konkurrentinnen um das Erbe? Marianne Kanther (Ursina Lard) versucht, ihrer Tochter Sonja Kanther (Sina Martens) die Wahrheit zu sagen.

Zumindest in dieser Hinsicht folgt „Das Recht zu schweigen“, die siebzehnte Episode der stets mindestens sehenswerten ZDF-Reihe „Helen Dorn“ mit Anna Loos, den Konventionen. Der treffendere Arbeitstitel „Tödliches Vermächtnis“ deutet allerdings an, dass es nicht bloß um die übliche Aufklärung eines Mordes geht. Das Opfer, Rolf Kanther, war Chef eines Unternehmens, das intelligente Zieloptik produziert; ein hochsensibler Bereich, der auch für das Verteidigungs-Ministerium von großer Bedeutung ist. Peer Sailer, Kanthers Kompagnon, demonstriert Dorn die jüngste Errungenschaft der Firma: eine lasergesteuerte Präzisionswaffe, mit der zum Beispiel der sogenannte finale Rettungsschuss bei einer Geiselnahme sein Ziel garantiert nicht verfehlt. Diesen besten Freund des Opfers spielt Peter Lohmeyer; Sailer gehört somit zumindest aus Publikumssicht selbstredend automatisch zum Kreis der Verdächtigen.

Ein Mordmotiv hätte der Geschäftspartner ebenfalls, wie sich bei der Testamentseröffnung herausstellt. Kanther hat seine Firmenanteile seiner Tochter Sonja (Sina Martens) vererbt, was die Witwe (Ursina Lardi) sichtlich schockiert. Vater und Tochter hatten bis vor Kurzem jahrelang keinen Kontakt, weil sie ihm den Wunsch, seine Nachfolgerin zu werden, nicht erfüllen wollte. Noch reservierter fällt allerdings die Reaktion von Sailer aus, denn der ermordete Partner hat Sonja auch die Patente vermacht, und ohne die ist das Unternehmen, das demnächst für viel Geld verkauft werden soll, quasi wertlos. Schon allein dieser Rahmen ist hochinteressant, aber dann setzt Friedemann Fromm noch eins drauf. Er ergänzt die Handlung um ein Ereignis, das vor langer Zeit stattgefunden hat, nun kommt auch Dorns längst pensionierter Vater Richard (Ernst Stötzner) ins Spiel; es geht um einen uralten Fall.

Helen Dorn – Das Recht zu schweigenFoto: ZDF / Georges Pauly
Diese Kombi tut der ZDF-Reihe gut: Die Szenen mit Helen Dorn (Anna Loos) und ihrem treuen Sancho Pansa Weyer (Tristan Seith) haben mitunter Sitcom-Qualität.

„Das Recht zu schweigen“ ist der dritte „Helen Dorn“-Beitrag des vielfachen Grimme-Preisträgers („Unter Verdacht“, „Die Wölfe“, „Weissensee“) aber der erste, für den er auch das Buch geschrieben hat. Wie Fromm die verschiedenen Handlungsebenen miteinander verknüpft und immer wieder neue Aspekte ins Spiel bringt, ist beeindruckend; den Rest besorgen die gute Bildgestaltung (Heinz Wehsling) und die wirkungsvolle Krimimusik (Christoph Zirngibl). Trotz des Hightech-Hintergrunds fesselt der Film nicht zuletzt durch seine menschliche Komponente. Ein übergeordnetes Thema ist das Schweigen der Väter. Ihren Vater habe stets eine Art Wolke umgeben, sagt Sonja über den alten Kanther; eigentlich wisse sie gar nicht, was für ein Mensch er gewesen sei. Für die beiden Dorns gilt das nicht minder. Beim entsprechenden Schlüsselmonolog über die Geheimnisse, die Eltern vor ihren Kindern hüten, ist auch Sailer dabei, das Gespräch findet in Richards Kneipe statt. Die Idee mit Sailers Marotte, eine Art Zaubertrick mit einem Fünf-Mark-Stück, der in Dorn eine Erinnerung an das Jahr 1986 weckt, ist vielleicht ein bisschen weit hergeholt, aber immerhin originell.

Bei aller Spannung ist der darstellerisch ohnehin vorzügliche Film auch ein großes Vergnügen. Fromm ist nicht gerade ein ausgewiesener Komödienregisseur, aber viele Szenen mit Helen Dorn und Kriminaltechniker Weyer haben echte Sitcom-Qualität. Das liegt neben dem Kontrast zwischen der asketischen Kommissarin und ihrem treuen Sancho Pansa, der seine Korpulenz mit großer Würde trägt, natürlich auch an den amüsanten Wortgefechten, zumal der diesmal hingebungsvoll mit Gender-Sternchen hantierende Kollege bei der Spurensuche im Wald eine heftige Aversion gegen alles offenbart, was da kreucht und fleucht; aber Tristan Seith ist weit mehr als der lustige Dicke, dessen Rolle darin besteht, die Hauptfigur möglichst souverän wirken zu lassen. Die Momente mit der angeschmachteten Rechtsmedizinerin (Nagmeh Alaei) sind schon seit einigen Filmen ein heiterer roter Faden. Sehr sympathisch ist auch eine kleine Referenz in eigener Sache, als Fromm mit einem Song von Johnny Cash auf seinen ersten „Dorn“-Film verweist. (Text-Stand: 20.1.2023)

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Reihe

ZDF

Mit Anna Loos, Tristan Seith, Ernst Stötzner, Peter Lohmeyer, Sina Martens, Ursina Lardi, Nagmeh Alaei, Christoph Tomanek, Andrè Szymanski, Stipe Erceg, Fanny Stavjanik

Kamera: Heinz Wehsling

Szenenbild: Thomas Freudenthal

Kostüm: Nana Kolbinger

Schnitt: Richard Krause

Musik: Christoph Zirngibl

Soundtrack: Johnny Cash („First Time Ever I Saw Your Face“), Aimee Mann („Wise Up”)

Redaktion: Daniel Blum

Produktionsfirma: Network Movie

Produktion: Jutta Lieck-Klenke, Anna-Lena Dwyer

Drehbuch: Friedemann Fromm

Regie: Friedemann Fromm

Quote: 6,63 Mio. Zuschauer (24,7% MA)

EA: 04.02.2023 10:00 Uhr | ZDF-Mediathek

weitere EA: 11.02.2023 20:15 Uhr | ZDF

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