Das Leben kostet. Zu viel für Volker (Bjarne Mädel), alleinerziehender Vater und Ex-Fußballtrainer, der sich momentan als Paketbote durchs Leben schlagen muss. Der Job geht an die Substanz: lange Dienstzeiten, miserable Bezahlung und dazu noch ständig die sarkastischen Spitzen seines Chefs (Stefan Merki). Wenigstens ist ihm das Training der Jugendmannschaft geblieben. Auch wenn sein Sohn Benny (Nick Julius Schuck) den Fußball gerade an den Nagel gehängt hat, weil ihm seine Freundin Sandy (Nadja Sabersky) wichtiger ist, und auch die anderen Jungs nur wenig motiviert sind, so kann Volker allein hier, auf dem grünen Rasen, ein bisschen runterkommen. Doch der Druck auf den Mann um die 50 nimmt zu. Da ist die kostspielige Schulabschlussfahrt seines Sohns nach Mallorca, da sind die kleinen Lügen von Benny, der lieber chillt als zu lernen, und da ist die Nebenkostennachzahlung. In dieser Notlage kommt ihm ein (illegaler) Nebenjob gerade recht. Die Freude über die Extra-Euros hält nicht lange an. Volker droht seinen Führerschein zu verlieren. Da kann auch seine Polizisten-Freundin Lena (Anne Schäfer) nichts machen. Als ihm dann noch ein moralischer Aussetzer passiert, ist er auf dem besten Wege, auch noch seine Selbstachtung zu verlieren.
Was in der Plot-Beschreibung nach einem klassischen persönlichen Niedergang klingen mag, das wirkt im Film, dem TV-Drama „Geliefert“ von Jan Fehse, alles andere als dramaturgisch schematisch oder vorhersehbar. Denn im Zentrum der Geschichte steht neben dem sozialen Abstieg und was dieser emotional für die Anderen, vor allem Sohn Benny, bedeutet, in erster Linie der innere Kampf eines Mannes, der bisher so viel Wert daraufgelegt hat, auch in der prekärsten Lage noch ein guter, integrer Mensch zu bleiben. Das Drama wird zwar befeuert durch die Umstände, spielt sich aber zunehmend in der Hauptfigur ab: Es ist ein ewiges mit sich Ringen, wobei zum Überlegen nicht viel Zeit bleibt. Das Hamsterrad steht niemals still. Und das nicht erst, seitdem die Hiobsbotschaften auf jenen Volker einstürmen. Diesen unerträglichen Auslieferjob macht er nun schon ein Jahr. Was das heißt, das verdeutlichen Szenen, in denen der Arbeitsalltag des Paketboten gezeigt wird: das ewige Treppensteigen, das schwere Tragen, die oft egozentrischen oder abwesenden Kunden, die Parkprobleme. Diese dauerhafte Eintönigkeit vermittelt der Film beiläufig, ohne dass die Geschichte langweilig werden würde. Anfangs sind die Situationen mitunter sogar heiter, aber der „Held“ vermag – bei der angespannten Lage – das alles bald nicht mehr locker zu sehen. Und als ihm dann ein Paketempfänger erklärt, weshalb er den Wein von der Firma, die im Parterre seines Hauses eine Filiale hat, lieber online bestellt, da kann der nette Volker schon mal pampig werden.
Dass „Geliefert“ nicht nur stimmig erzählt ist, sondern einem als Zuschauer auch noch nahegehen kann, liegt an der Kombination aus realistischer Tonlage, die nie auf künstliche Dramatisierung verfällt, und einem sehr plastisch vermittelten Charakter, der in seiner Bodenständigkeit und Gutmütigkeit authentisch und ausgesprochen wahrhaftig erscheint. Das ist nicht nur dem Drehbuch, sondern vor allem Bjarne Mädel zu verdanken, dem es gelingt, den Zuschauer in das bemitleidenswerte Leben dieses Paketboten und alleinerziehenden Vaters mitzunehmen, ein Leben, von dem viele im eigenen Alltag wie auch im Fernsehen für gewöhnlich nicht behelligt werden möchten. Die Sympathien für diesen ehrlichen Mann sind von Anfang an groß und sie wachsen sogar noch, nachdem er unehrlich geworden ist: Denn erst jetzt wird sein Wesen als leuchtendes Vorbild so richtig sichtbar. Volker, der gern hilft, stoisch sein Ding macht und mitunter sein Licht unter den Scheffel stellt, geht mit sich selbst schwer ins Gericht. „Ich trau mir selbst nicht mehr“, sagt er den Tränen nah. „Erst das Fressen, dann die Moral“, das hat für ihn bisher(!) nie gegolten – und wird es auch in Zukunft nicht. Der Mann hat sich verloren, aber er findet sich wieder. „Bleib so wie du bist, von den anderen gibt es schon genug“, macht ihm Lena, die beste Freundin, die mehr sein könnte als das (aber das wäre eine andere Geschichte), seinem angekratzten Ego das schönste Geschenk.
Eine der Kehrseiten des boomenden Online-Handels zu zeigen, die menschliche (die ökologische wäre ein eigener Film), das allein schon ist eine gute, längst überfällige Idee für einen Fernsehfilm. Die Konsumenten-Seite kennt jeder, schön, dass „Geliefert“ einmal den Fokus auf die für viele selbstverständlich gewordene, immer funktionierende „Dienstleister“-Ebene lenkt. Dass der Film im Schlussdrittel nicht in die Tragödie kippt, sondern alltagsnah bleibt und Jan Fehse („München Mord“), der ursprünglich Kameramann war und bei seiner zehnten Regiearbeit nun erstmals auch das Drehbuch geschrieben hat, die Hauptfigur sich vornehmlich selbst mit seiner verlorenen Selbstachtung auseinandersetzen lässt, macht den Film besonders überzeugend. Dazu passt die Inszenierung: die ausschnitthafte, am Tagesrhythmus orientierte Erzählweise mit ihren beiläufigen, kaum merklichen Blicken und Gesten, den mal liebevollen, mal abgebrochenen Berührungen, den versteckten kleinen Verletzungen, die im Alltagsstress unterzugehen scheinen. Auffallend unauffällig, ohne belanglos oder austauschbar zu sein, ist auch die zurückhaltend eingesetzte Musik, in der die Töne häufig atmosphärisch angeschlagen werden und damit dem Zuschauer die Emotionen selbst überlassen. Der kleine Mann mit dem großen Herzen benötigt wie sein wunderbarer Darsteller ohnehin keine künstliche Unterstützung. (Text-Stand: 5.8.2021)