Geliefert

Bjarne Mädel, Nick Julius Schuck, Anne Schäfer, Jan Fehse. Bleib wie du bist!

Foto: BR / TV60Film / Juergen Olczyk
Foto Rainer Tittelbach

Das Leben kostet. Zu viel für einen alleinerziehenden Vater und Ex-Fußballtrainer, der sich als Paketbote durchs Leben schlagen muss. Um zu überleben und dem Sohn auch mal was spendieren zu können, nimmt er einen illegalen Nebenjob an; doch damit nicht genug… Im Zentrum des sozialen Abstiegsdramas „Geliefert“ (BR, Arte / TV60 Filmproduktion) von Jan Fehse steht der innere Kampf eines Mannes, der bisher so viel Wert daraufgelegt hat, auch in der prekärsten Lage noch ein guter, integrer Mensch zu bleiben. Bisher galt für ihn: erst die Moral, dann das Fressen. Jetzt droht er nicht nur den Sohn, sondern auch seine Selbstachtung zu verlieren. Dass der Film nicht nur stimmig erzählt ist, sondern einem auch noch zu Herzen gehen kann, das liegt an der Kombination aus realistischer Tonlage, die nie auf künstliche Dramatisierung verfällt, und einem sehr plastisch vermittelten Charakter, der in seiner Bodenständigkeit und Gutmütigkeit authentisch und ausgesprochen wahrhaftig erscheint. Das liegt vor allem an Bjarne Mädel, der alle Sympathien auf seiner Seite hat. Eine der Kehrseiten des boomenden Online-Handels zu zeigen, die menschliche (die ökologische wäre ein eigener Film), auch das schon allein ist eine längst überfällige Idee für einen Fernsehfilm. 2022 Grimme-Preis-gekrönt!

Das Leben kostet. Zu viel für Volker (Bjarne Mädel), alleinerziehender Vater und Ex-Fußballtrainer, der sich momentan als Paketbote durchs Leben schlagen muss. Der Job geht an die Substanz: lange Dienstzeiten, miserable Bezahlung und dazu noch ständig die sarkastischen Spitzen seines Chefs (Stefan Merki). Wenigstens ist ihm das Training der Jugendmannschaft geblieben. Auch wenn sein Sohn Benny (Nick Julius Schuck) den Fußball gerade an den Nagel gehängt hat, weil ihm seine Freundin Sandy (Nadja Sabersky) wichtiger ist, und auch die anderen Jungs nur wenig motiviert sind, so kann Volker allein hier, auf dem grünen Rasen, ein bisschen runterkommen. Doch der Druck auf den Mann um die 50 nimmt zu. Da ist die kostspielige Schulabschlussfahrt seines Sohns nach Mallorca, da sind die kleinen Lügen von Benny, der lieber chillt als zu lernen, und da ist die Nebenkostennachzahlung. In dieser Notlage kommt ihm ein (illegaler) Nebenjob gerade recht. Die Freude über die Extra-Euros hält nicht lange an. Volker droht seinen Führerschein zu verlieren. Da kann auch  seine Polizisten-Freundin Lena (Anne Schäfer) nichts machen. Als ihm dann noch ein moralischer Aussetzer passiert, ist er auf dem besten Wege, auch noch seine Selbstachtung zu verlieren.

GeliefertFoto: BR / TV60Film / Juergen Olczyk
Die kleinen, liebevollen Gesten sind dem alleinerziehenden Vater (Bjarne Mädel) umso wichtiger, je unerträglicher der Paketbotenjob für den Ex-Fußballtrainer ist. Auch die Inszenierung legt besonders Wert auf die kleinen Zeichen der Darsteller. Im Großen bestimmt der Rhythmus des Alltags die Erzählweise. Nick Julius Schuck

Was in der Plot-Beschreibung nach einem klassischen persönlichen Niedergang klingen mag, das wirkt im Film, dem TV-Drama „Geliefert“ von Jan Fehse, alles andere als dramaturgisch schematisch oder vorhersehbar. Denn im Zentrum der Geschichte steht neben dem sozialen Abstieg und was dieser emotional für die Anderen, vor allem Sohn Benny, bedeutet, in erster Linie der innere Kampf eines Mannes, der bisher so viel Wert daraufgelegt hat, auch in der prekärsten Lage noch ein guter, integrer Mensch zu bleiben. Das Drama wird zwar befeuert durch die Umstände, spielt sich aber zunehmend in der Hauptfigur ab: Es ist ein ewiges mit sich Ringen, wobei zum Überlegen nicht viel Zeit bleibt. Das Hamsterrad steht niemals still. Und das nicht erst, seitdem die Hiobsbotschaften auf jenen Volker einstürmen. Diesen unerträglichen Auslieferjob macht er nun schon ein Jahr. Was das heißt, das verdeutlichen Szenen, in denen der Arbeitsalltag des Paketboten gezeigt wird: das ewige Treppensteigen, das schwere Tragen, die oft egozentrischen oder abwesenden Kunden, die Parkprobleme. Diese dauerhafte Eintönigkeit vermittelt der Film beiläufig, ohne dass die Geschichte langweilig werden würde. Anfangs sind die Situationen mitunter sogar heiter, aber der „Held“ vermag – bei der angespannten Lage – das alles bald nicht mehr locker zu sehen. Und als ihm dann ein Paketempfänger erklärt, weshalb er den Wein von der Firma, die im Parterre seines Hauses eine Filiale hat, lieber online bestellt, da kann der nette Volker schon mal pampig werden.

GeliefertFoto: BR / TV60Film / Juergen Olczyk
So haben das einige vielleicht noch nicht gesehen: die menschliche Kehrseite des Onlinehandels. Den Kunden interessiert nur die pünktliche Lieferung – sonst nichts!

Dass „Geliefert“ nicht nur stimmig erzählt ist, sondern einem als Zuschauer auch noch nahegehen kann, liegt an der Kombination aus realistischer Tonlage, die nie auf künstliche Dramatisierung verfällt, und einem sehr plastisch vermittelten Charakter, der in seiner Bodenständigkeit und Gutmütigkeit authentisch und ausgesprochen wahrhaftig erscheint. Das ist nicht nur dem Drehbuch, sondern vor allem Bjarne Mädel zu verdanken, dem es gelingt, den Zuschauer in das bemitleidenswerte Leben dieses Paketboten und alleinerziehenden Vaters mitzunehmen, ein Leben, von dem viele im eigenen Alltag wie auch im Fernsehen für gewöhnlich nicht behelligt werden möchten. Die Sympathien für diesen ehrlichen Mann sind von Anfang an groß und sie wachsen sogar noch, nachdem er unehrlich geworden ist: Denn erst jetzt wird sein Wesen als leuchtendes Vorbild so richtig sichtbar. Volker, der gern hilft, stoisch sein Ding macht und mitunter sein Licht unter den Scheffel stellt, geht mit sich selbst schwer ins Gericht. „Ich trau mir selbst nicht mehr“, sagt er den Tränen nah. „Erst das Fressen, dann die Moral“, das hat für ihn bisher(!) nie gegolten – und wird es auch in Zukunft nicht. Der Mann hat sich verloren, aber er findet sich wieder. „Bleib so wie du bist, von den anderen gibt es schon genug“, macht ihm Lena, die beste Freundin, die mehr sein könnte als das (aber das wäre eine andere Geschichte), seinem angekratzten Ego das schönste Geschenk.

GeliefertFoto: BR / TV60Film / Juergen Olczyk
31 km/h drüber! Für Volker geht es ans Eingemachte. Wenn er seinen Lappen verliert, kann er alles vergessen. Dennoch ist es wohl besser, wenn er seinen Job als Paketbote verlieren würde und nicht Lena ihren als Polizistin. Die Geschichte kippt nicht zur Tragödie, sondern bleibt ein realistisches Drama eines ganz normalen Menschen. Bjarne Mädel und Anne Schäfer

Eine der Kehrseiten des boomenden Online-Handels zu zeigen, die menschliche (die ökologische wäre ein eigener Film), das allein schon ist eine gute, längst überfällige Idee für einen Fernsehfilm. Die Konsumenten-Seite kennt jeder, schön, dass „Geliefert“ einmal den Fokus auf die für viele selbstverständlich gewordene, immer funktionierende „Dienstleister“-Ebene lenkt. Dass der Film im Schlussdrittel nicht in die Tragödie kippt, sondern alltagsnah bleibt und Jan Fehse („München Mord“), der ursprünglich Kameramann war und bei seiner zehnten Regiearbeit nun erstmals auch das Drehbuch geschrieben hat, die Hauptfigur sich vornehmlich selbst mit seiner verlorenen Selbstachtung auseinandersetzen lässt, macht den Film besonders überzeugend. Dazu passt die Inszenierung: die ausschnitthafte, am Tagesrhythmus orientierte Erzählweise mit ihren beiläufigen, kaum merklichen Blicken und Gesten, den mal liebevollen, mal abgebrochenen Berührungen, den versteckten kleinen Verletzungen, die im Alltagsstress unterzugehen scheinen. Auffallend unauffällig, ohne belanglos oder austauschbar zu sein, ist auch die zurückhaltend eingesetzte Musik, in der die Töne häufig atmosphärisch angeschlagen werden und damit dem Zuschauer die Emotionen selbst überlassen. Der kleine Mann mit dem großen Herzen benötigt wie sein wunderbarer Darsteller ohnehin keine künstliche Unterstützung. (Text-Stand: 5.8.2021)

Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von YouTube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.

Mehr Informationen

tittelbach.tv ist mir was wert

Mit Ihrem Beitrag sorgen Sie dafür, dass tittelbach.tv kostenfrei bleibt!

Kaufen bei

und tittelbach.tv unterstützen!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Fernsehfilm

BR

Mit Bjarne Mädel, Nick Julius Schuck, Anne Schäfer, Stefan Merki, Ivan Shvedoff, Nadja Sabersky

Kamera: Michael Wiesweg

Szenenbild: Michael Köning

Kostüm: Esther Amuser

Schnitt: Christian Lonk

Musik: Arash Safaian

Redaktion: Amke Perlemann, Monika Lobkowicz

Produktionsfirma: TV60 Filmproduktion

Produktion: Andreas Schneppe, Sven Burgemeister

Drehbuch: Jan Fehse

Regie: Jan Fehse

Quote: ARD: 4,01 Mio. Zuschauer (14,4% MA)

EA: 27.08.2021 20:15 Uhr | Arte

Spenden über:

IBAN: DE59 3804 0007 0129 9403 00
BIC: COBADEFFXXX

Kontoinhaber: Rainer Tittelbach