Es ist Sommer, es ist heiß und Wendla hat Geburtstag. Sie wird 14 und sie will Erfahrungen machen, lieber schlechte als keine. Objekt ihres Begehrens ist Melchior, der coole Kopf der Clique. Doch der gibt sich unnahbar, hängt lieber mit seinen Kumpels ab, auf dem Skater-Parcours, beim Rappen oder im Szene-Club. Wenn man nicht über die Eltern oder die Schule herzieht, ist Party machen angesagt, wildes Abfeiern, die Bierflasche oder einen Joint in der Hand. Irgendwann lässt sich Melchior erweichen und schläft mit Wendla. Zeitgleich macht auch sein Freund Moritz diese „männlichen Regungen“ durch. Er überlebt sie nicht. Und auch Wendla lernt gleich beim „ersten Mal“ die Problemzone der unteren Körperhälfte kennen.
Frank Wedekinds „Frühlings Erwachen“ ist einer der zeitlosen deutschen Theater-Klassiker. Das 1891 erschienene Adoleszenz-Drama schien erst nach kräftigen Strichen der Zensur Kaiserreich-kompatibel zu sein. Erst 1906 brachte Max Reinhardt die „Kindertragödie“, wie Wedekind sein Stück nannte, auf die Bühne. 100 Jahre später hat Nuran David Calis (33) „Frühlings Erwachen“ für das Schauspiel Hannover dem Zeitgeist und dem Slang der Straße angepasst. Jetzt liefert er den Film zur Bühnenfassung. Diesem TV-Stück liegt also ein wilder Adaptions-Reigen zugrunde, dem kunsttheoretisch zu begegnen, weltfremd wäre. Das wäre etwa so hirnrissig wie eine Fundamentalkritik am Sampeln in der Popmusik.
Ein potenzieller Sinn eines solchen „Theaterfilms“ muss sich aus dem Film selbst und seinen Rezeptionsmöglichkeiten ergeben. Und in diesem Punkt kann sich „Frühlings Erwachen“ – verglichen mit „Baal“, „Lulu“, oder „Peer Gynt“ durchaus sehen und hören lassen. Die 95 Minuten werden im Gegensatz zu vielen anderen Klassiker-Verfilmungen nicht lang. Der Film strengt sogar weniger an als zuletzt die Schau-Orgie „Lenz“. Die Reduktion der filmischen Mittel, die begrenzte Zahl der Schauplätze, die zeitgemäße Ikonografie und die Konzentration auf klare optische Kontraste (hell/dunkel, Tag/Nacht) erleichtert die Wahrnehmung. Der Dialog-Mix aus Wedekindschen Schlüsselsätzen und Umgangssprache sorgt für eine Brüchigkeit, für Rhythmuswechsel & Tonlagendissonanzen, wie man sie vom HipHop kennt.
Calis geht einen konsequenten Weg. Ob das viele junge Zuschauer sehen wollen, ist fraglich. An den Themen jedenfalls dürfte es nicht liegen. Es ist alles drin, was Teenager antreibt: Liebe, Sex, Selbstfindung, Sucht – und was sie ankotzt: Eltern, Schule, Langeweile, die Zukunft. „Das Leben ist Geschmackssache. Mir schmeckt’s nicht.“ Es kommt zum Aufruhr der Gefühle, zum Aufstand des Unterleibs, zum Kater danach. Und sie küssen und sie schlagen sich. Heute wie vor 100 Jahren – nur heute ist alles etwas heftiger.