Frühling – vier Episoden 2020

Thomalla, Ohrt, Brendler, Scharf, Gunnar Fuß, Thomas Jauch. Anleitungen für den richtigen Lebensweg

Foto: ZDF / Barbara Bauriedl
Foto Rainer Tittelbach

Nach dem winterlichen Ausreißer nach unten, dem Special „Weihnachtswunder“, in dem die Heldin übertrieben die Rolle der Problemlösungsmanagerin übernehmen musste, pendelt sich die Reihe mit ihren vier neuen Episoden wieder auf dem gewohnten Niveau ein. Familie & Alltag, Harmoniezwang & Helfersyndrom – „Frühling“ (Seven Dogs) bleibt „Frühling“. Der Botschafts-Transfer in Richtung „Herzkino“ und vorbildliche Moral mag – wie bei Simone Thomallas Dorfhelferin Katja Baumann – bisweilen übergriffig sein, banal erscheinen und mögen die Filme in ihrer Anmutung gelegentlich haarscharf am Kitsch vorbeischrammen – für die Zielgruppe bietet die ZDF-Reihe fiktionale Lebenshilfe: Balsam für die Seele!

Die Geschichte der „Frühling“-Reihe und eine persönliche Anmerkung
Kennt man eine Episode der „Frühling“-Reihe kennt man sie alle, dürften wohl die meisten Programmzeitschriften-Kritiker sagen. Sicher auch einige Zuschauer. Nicht erst nach 27 Neunzig-Minütern lässt sich feststellen, dass das so nicht ganz richtig ist. Die lebensbejahende ZDF-Reihe, deren Ausstrahlung zuletzt erfreulicherweise an aufeinanderfolgenden Sonntagen erfolgte, erfüllt einerseits selbst gesetzte als auch „Herzkino“-Standards, andererseits aber unterscheiden sich die Filme in ihren Tonlagen- und Themen-Nuancen, in ihrer dramaturgischen Stimmigkeit und ihrem filmischen Flow. Nach dem winterlichen Ausreißer nach unten, dem Special „Weihnachtswunder“, in dem die Heldin übertrieben die Rolle der Problemlösungsmanagerin übernehmen musste, hat sich die Reihe mit ihren vier neuen Episoden wieder auf dem üblichen Niveau eingependelt. Für den Kritiker, der bisher alle Filme gesehen hat und dem allerdings persönlich eher der Sinn steht nach Darstellungen von Familie und Alltag, wie man sie in Serien wie „Das Wichtigste im Leben“ oder „Bonusfamilie“ erzählt bekommt, geht es mit dieser Reihe ähnlich wie mit einigen Serien. Es stellt sich die Frage: Muss das immer so weitergehen? Will man das noch sehen? Sollte sich der Zuschauer nicht lieber Filmsätze wie „Man muss jeden Tag so leben, als wäre es der letzte“ zu Herzen nehmen und lieber mal den Fernseher auslassen? Schließlich die Gretchen-Frage: Will ICH das noch sehen? Beim „Weihnachts-Special“ war die Antwort eindeutig. Bei den neuen Episoden, allen voran „Spuren der Vergangenheit“ und „Keine Angst vorm Leben“, sieht die Sache schon wieder etwas anders aus. Dieser familiäre Mikrokosmos Frühling besitzt also auch im zehnten Jahr durchaus noch etwas Faszinierendes, für den, der solche nach Harmonie strebenden Reihen gerne guckt. „Lindenstraße“ hört auf. „Frühling“ geht weiter.

Frühling – vier Episoden 2020Foto: ZDF / Bernd Schuller
Höhepunkt der diesjährigen „Frühling“-Staffel: Simone Thomalla & Julia Brendler als einstige Miss Oberbayern, die ihr Haus zugemüllt hat, in „Spuren der Vergangenheit“

„Genieße jeden Augenblick“: Der Vater plötzlich tot, die Mutter nicht bei Sinnen…
Vielleicht war da ja noch der Widerwille gegen das altbackene „Weihnachtswunder“: Die Auftaktfolge zur Staffel 2020 jedenfalls hat es schwer beim Kritiker. Die Geschichte über eine Ehefrau, die scheinbar den Unfalltod ihres Mannes nicht verkraftet und sich in eine Dissoziative Amnesie flüchtet, plätschert zunächst eine ganze Weile vor sich hin. Der Zuschauer ist längt im Bilde, doch selbst Katja Baumann (Simone Thomalla) hinkt dem Geschehen hinterher. Dafür muss sie umso mehr im Auto sitzen, und die Kameradrohnen dürfen fleißig die Landschaft abfliegen. Als ihr bei ihren Überlandfahrten jene ausgebüxte Erika Brugger (Clelia Sarto) das zweite Mal begegnet, schaltet die Dorfhelferin richtig, bringt die Frau ins Krankenhaus und muss sich fortan um deren Tochter (Emilia Bernsdorf) kümmern. Der macht die doppelte Krisensituation – der Vater plötzlich tot, die Mutter nicht bei Sinnen – sichtlich zu schaffen. Es kommt dann aber alles noch sehr viel schlimmer… Auch der Nebenplot um die von ihrem Ehemann betrogene und verlassene Leslie (Nadine Wrietz) wirkt zunächst wenig aufbauend; doch Dank der Heldin endet ein peinliches Dating-Abenteuer nicht auch noch dramatisch, sondern mit einem Schabernack. Die „Familie“, Jan (Christoph M. Ohrt) und Adrian (Kristo Ferkic), kommt deutlich zu kurz. In Erinnerung bleibt vor allem das Spiel und die Gesichtsausrücke von Clelia Sarto. Und der ein oder andere Satz, der nicht in den Mund der Person passt, die ihn sagt. So kommt die 19-jährige Johanna, die gerade noch überall Schuldige für den Unfall ihres Biker-Vaters finden wollte, zur Erkenntnis: „Schuld ist das Leben. Wären wir nicht geboren, dann könnten wir auch nicht sterben.“

„Spuren der Vergangenheit“: Von der Schönheitskönigin zum Messie
Das Highlight dieser „Frühling“-Staffel ist „Spuren der Vergangenheit“. Im Mittelpunkt steht eine Frau, die in ihrem Pkw lebt und obdachlos ist, freiwillig, denn sie hat ein Haus, in dem sie es nicht mehr aushält. Jene Linda (Julia Brendler) war einst Miss Oberbayern und heiratete bald ein entsprechend attraktives Mannsbild. Doch die Ehe war die Hölle, bis der Mann eines Tages plötzlich verschwand. Spekulationen machten die Runde in Frühling, die zwei Kinder wendeten sich von der Mutter ab, der Niedergang dieser Frau begann. Nach und nach kommt Licht ins Dunkel dieses Familiendramas. Des Rätsels Lösung ist hier einmal nicht der Klassiker Krankheit. In dieser Episode hingegen ist es ein individuelles Schicksal, eine Geschichte, in die die Gesellschaft und deren Vorurteile unaufdringlich hineinspielen. So ausgedacht das Scenario auch sein mag, diese Geschichte überzeugt und geht zu Herzen, weil sie nuanciert entwickelt ist und weil Julia Brendler mit ihrem zwischentonreichen Spiel dem Ganzen die notwendige Tiefe und Glaubwürdigkeit verleiht. In dieser Episode besitzen vor allem die Gesprächsszenen eine besondere Qualität. Weniger tragisch, aber nicht weniger originell ist der B-Plot um einen Hund, der sich im Wald in einem Dachsbau verirrt hat und von der Feuerwehr gerettet werden muss. Dass in dieser kleinen Geschichte des Pudels Kern der großen Geschichte steckt, macht diesen Film auch dramaturgisch rund. Und bei aller Traurigkeit gibt es einen finalen Wohlfühlmoment: eine nicht überdeutlich ausgespielte Umarmung. Hier wird das geerntet, was der Film zuvor an kluger „Gefühlsarbeit“ geleistet hat. Schön, dass auch der des Öfteren als Sidekick-Darsteller etwas unterforderte Johannes Herrschmann hier ein, zwei starke Momente hat. Verbale Gemeinplätze gibt es auch in diesem Film („Es ist nie zu spät“ / „Wenn Sie mich fragen: Jeder hat eine zweite Chance verdient“), aber sie kommen aus berufenem Munde: von Katja Baumann, der Helferin vor dem Herrn. Und sogar etwas Selbstreferentielles besitzt die Episode: Immer wieder ist augenzwinkernd – im Gegensatz zur Nächstenliebe des Pfarrers – vom Helfersyndrom der Heldin die Rede.

Frühling – vier Episoden 2020
Ohne Fernbeziehung Mark und vor allem ohne die portugiesische Tierärztin (Cristina do Regos Figur fehlt für den richtigen Tonlagenmix) kommt die Humor-Ebene zu kurz in den neuen „Frühling“-Episoden. Da ist der betagte Landwirt (Fred Stillkrauth) auf Freiersfüßen in „Keine Angst vorm Leben“ eine willkommene Abwechslung.

„Hinter geschlossenen Vorhängen“: Die Heldin muss mal nicht alles allein richten
„Man geht morgens aus dem Haus und denkt nicht dran, dass man abends vielleicht nicht mehr zurückkommt.“ Dieser Satz der Ärztin Dr. Schneiderhahn, immer eine sichere Bank als ruhender Pol (ebenso überzeugend: Caroline Ebner), mag etwas banal klingen, ist aber nicht einer jener „Herzkino“-Kalendersprüche, die einem schnell mal im Dialog das Leben erklären wollen. Ein Busunfall versetzt den Ort in einen Ausnahmezustand. Viele in Frühling sind direkt betroffen, auch einige Figuren des laufenden Personals. Nora, die Ex-Freundin von Adrian, schwebt in Lebensgefahr. Mit einem blauen Auge davongekommen ist Greta, die jugendliche Besitzerin des Hundes, der in der vorherigen Episode sich in einem Dachsbau verlaufen hatte. Andere haben komplizierte Knochenbrüche davongetragen. Ein Landwirt-Ehepaar (Carin C. Tietze, Wolfgang Maria Bauer) muss die Hilfe von Katja Baumann in Anspruch nehmen, da nicht nur der Hof, sondern auch ihre Tochter Mila (Luisa Wöllisch) versorgt werden muss. Die ist allerdings trotz Trisomie 21 eine ziemlich selbstbewusste junge Frau, die stets den Rat ihrer Mutter beherzigt, sich nicht kleinkriegen zu lassen und das Leben zu leben wie jeder andere Mensch auch. Das bringt sie allerdings in eine existentielle Notlage. In „Hinter geschlossenen Vorhängen“ gibt es zahlreiche emotionale Baustellen. Das Scenario fügt sich dennoch zu einem stimmigen Ganzen, weil die Handlung alle möglichen Beziehungen beeinflusst. Jeder hat sein Päckchen zu tragen. Und die Heldin muss ausnahmsweise mal nicht alles allein richten. Auch Jan muss helfen, und der Pfarrer muss sich um die Seele der Busfahrerin kümmern und seine neue Praktikantin aufmuntern. Die dichte Interaktionsdramaturgie und die emotionale Beteiligung auch aller durchgängiger Charaktere sind die Pluspunkte dieser dritten Episode. Am Ende wendet sich allerdings alles etwas zu abrupt zum Guten, werden existentielle Probleme im Handumdrehen gelöst. Das Happy End auf Biegen und Brechen ist angesichts der Schwere der Themen schon ein bisschen fahrlässig. Und dass einer Landwirtin ein Einstein-Zitat in den Mund gelegt wird, mag mit einem Stereotyp brechen, wirkt in der Situation aber einfach nur aufgesetzt und deplatziert.

„Keine Angst vorm Leben“: Liebe, Lügen, große Gefühle und Grundsätzliches
In der vierten Episode, „Keine Angst vorm Leben“, konzentriert sich Autorin Natalie Scharf, die die Reihe zugleich produziert, auf den Mann an Katjas platonischer Seite: an Mitbewohner Jan, der in den Episoden zuvor seine ganze Energie in sein neu eröffnetes Restaurant gesteckt hat – und der jetzt offenbar von einer Sinnkrise eingeholt wird. Ein Lösungsversuch führt ihn auf eine mehrtägige Wanderung durch die Berge, zusammen mit einer Handvoll anderer Pilger. Darunter eine hochschwangere Frau (Kathrin Anna Stahl), die bald größere Probleme mit ihrer Psyche als mit ihrem Baby im Bauch hat. Und weil sich Jan wirkliche Sorgen um die Frau macht, läuft bald auch Katja ein paar Kilometer mit. Die Dorfhelferinnen-Geschichte daheim ist Komödie mit tragikomischem Ausgang: ein hochbetagter, etwas zauseliger Landwirt (Fred Stillkrauth) auf Freiersfüßen lässt sich von Katja Dating-Portal-tauglich aufbrezeln, um noch einmal Schmetterlinge im Bauch zu fühlen. Weil beide Geschichten ihren Charme besitzen, stört es kaum, dass sie fast eine Filmstunde lang parallel erzählt werden. In „Keine Angst vorm Leben“ geht es um Liebe und Lügen, um große Gefühle und um Grundsätzliches. Nicht umsonst heißt Jans Restaurant im Film Carpe Diem. Die „Frühling“-Reihe gab dem Zuschauer ja immer schon Anleitungen für den richtigen Lebensweg und eine vorbildliche Moral. Der Botschaftstransfer mag – wie bei Katja Baumann – übergriffig sein, trivial erscheinen und mögen die Filme in ihrer ästhetischen Anmutung haarscharf am Kitsch vorbeischrammen – für die Zielgruppe bietet die Reihe fiktionale Lebenshilfe. Balsam für die Seele nach der „Tagesschau“. (Text-Stand: 25.12.2019)

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Reihe

ZDF

Mit Simone Thomalla, Christoph M. Ohrt, Kristo Ferkic, Johannes Herrschmann, Julia Beautx; (1): Clelia Sarto, Emilia Bernsdorf, Wowo Habdank, (2): Julia Brendler, Julia Dietze, (3): Caroline Ebner, Luisa Wöllisch, (4): Fred Stillkrauth, Kathrin Anna Stahl

Kamera: Nathalie Wiedemann (1+2), Clemens Messow (3+4)

Szenenbild: Christine Caspari

Kostüm: Martina Teepe

Schnitt: Moune Barius

Musik: Johannes Brandt (1+2), Siggi Mueller (3), Christoph Zirngibl (4)

Redaktion: Nina Manhercz, Corinna Marx

Produktionsfirma: Seven Dogs Filmproduktion

Produktion: Natalie Scharf

Drehbuch: Natalie Scharf

Regie: Gunnar Fuß, Thomas Jauch

Quote: (1): 5,62 Mio. Zuschauer (15,7% MA); (2): 5,66 Mio. (15,9% MA); (3): 5,71 Mio. Zuschauer (16,1% MA); (4): 5,94 Mio. (16,4% MA)

EA: 19.01.2020 20:15 Uhr | ZDF

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