Fliegen lernen

Gesine Cukrowski, Franz Dinda, Schrewe. Die Liebe & die Sache mit den „Spießern“

Foto: Degeto / Martin Valentin Menke
Foto Rainer Tittelbach

„Fliegen lernen“ ist ein Degeto-Stück, das von der Liebe zwischen einer in Scheidung lebenden Mutter aus der Provinz und einem 13 Jahre jüngeren weltoffenen Jungmediziner erzählt, ein Liebesfilm, der am Ende nicht ganz das halten kann, was er zu Beginn verspricht. Gesine Cukrowski und Franz Dinda sind ein überzeugendes Paar; hochkarätig besetzt sind auch die Gegenspieler mit Eva-Maria Hagen & Christoph M. Ohrt. In der zweiten Hälfte verliert der Film etwas an Konzentration, da wird geplottet auf Happy End komm raus.

Was ihr zukünftiger Ex-Gatte kann, der sie gegen eine Jüngere eingetauscht hat, das kann Eva schon lange. Sie verguckt sich in den 13 Jahre jüngeren Hendrik – und es ist mehr als eine Retourkutsche. Der Ort steht Kopf und auch die Familie ist außer sich. Der Noch-Ehemann will seine Frau zurück und die Schwiegermutter, deren Apotheke Eva seit Jahren pflichtbewusst führt, denkt plötzlich gar nicht mehr daran, ihr das gut gehende Geschäft wie vereinbart zu verkaufen. Als Hendrik, der gerade seinen Facharzt macht, in Evas Wohnung zieht, eskaliert die Situation. Ihre berufliche Zukunft wird immer ungewisser, der Ex läuft Amok und auch die Söhne wenden sich von der Mutter ab. Am ernsthaftesten auf die Probe gestellt wird die junge Liebe aber durch Evas Entscheidung nach einer fehlgeschlagenen Schwangerschaft, keine Kinder mehr bekommen zu wollen. Hendrik muss sich entscheiden.

„Wunderschön, kann ich sie haben?“, fragt der angehende Arzt zurückhaltend. Die Apothekerin stutzt. „Ja, natürlich“, kommt es wenig später zurück. Er meinte nur die Dachwohnung, während Eva in weiser Voraussicht das „sie“ als ein „Sie“ unterbewusst auf sich bezogen haben mag. Diese Momente der langsamen Annäherung in den ersten 20 Minuten von „Fliegen lernen“ nehmen einen als Zuschauer rasch ein für dieses Liebesstück am Freitagabend. Der Titel zielt in Richtung Heldin. Fliegen lernen heißt mehr als Lieben lernen für jene in Scheidung lebende Frau, die es allen recht machen möchte und dabei an sich zuletzt denkt – eine gewisse Ängstlichkeit, Neues auszuprobieren, inklusive. Danach haben die Dorfgemeinschaft und die Familie ihre Auftritte. Eva wird als Vorstand ihres Vereins abgewählt, ihr Noch-Ehemann und ihre neue Liebe schlagen sich beim Dorffest, die Schwiegermutter stellt auf Durchzug und auch Hendrik bekommt ob seiner überlangen Visiten von der Klinikleitung Gegenwind. Wenn der (Liebes-)Film von Christoph Schrewe seine „Modernität“ ernst nehmen würde, wäre er nach 35 Minuten zu Ende: das glückliche Paar würde sich aus der Spießergemeinde verabschieden – und sich aufmachen gen Afrika.

Fliegen lernenFoto: Degeto / Martin Valentin Menke
Ein schönes Paar, doch die Familie & Spießer-Dorf haben etwas gegen diese Liebe. Gesine Cukrowski und Franz Dinda in „Fliegen lernen“

Doch diese „Spießer“ sitzen am Freitagabend vor dem Bildschirm. Versöhnung ist ein Muss. Außerdem kann die verantwortungsbewusste Hauptfigur diesen Weg noch nicht gehen. Noch nicht. Eva lebt seit Jahren in dem Kaff. Ihr ist es nicht egal, was die anderen von ihr denken. Es gibt noch weitere Momente, in denen das Verhalten der Hauptfigur Unmut zu erzeugen in der Lage ist, es psychologisch aber durchaus plausibel ist. Ihre Entscheidung, keine Kinder mehr zu wollen, oder die „Unlockerheit“, als ein Kumpel von Hendrik Evas Jüngstem einen Joint anbietet, sind Momente, in denen die Autoren versuchen, eine solche Beziehung zwischen einem jungen Mann und einer Frau über 40, einer Mutter, zu problematisieren. Das Thema Kinderkriegen stürzt die Beziehung darüber hinaus in eine existentielle Krise.

Es ist ein bisschen schade, dass sich der Film in der zweiten Hälfte vornehmlich an sozialen „Äußerlichkeiten“ abarbeitet und dass er am Ende fast alle „Spießer“ läutern möchte. Darin ist der bisweilen recht frisch inszenierte, mit Gesine Cukrowski und Franz Dinda gut besetzte Liebesfilm eben doch ein traditioneller Degeto-Film, der alles in klassischer Dramaturgie-Manier doppelt und dreifach absichert. Und am Ende sieht man hinter dieser Geschichte mal wieder nur ein harmoniesüchtiges Plotten: die Schwangerschaft sorgt für die Versöhnung im Dorf, ihr Fehlschlagen für die Versöhnung mit der Schwiegermutter und für die innere Freiheit, die Eva braucht, um endlich ihre beruflichen Träume zu leben… Etwas mehr Offenheit und Eigen-Sinn der Figuren jenseits dieser Handlungsschablone hätte dem Film gut getan. Auch bei der Degeto sollte man Fliegen lernen. (Text-Stand: 27.7.2013)

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Fernsehfilm

ARD Degeto

Mit Gesine Cukrowski, Franz Dinda, Eva-Maria Hagen, Christoph M. Ohrt, Claudia Scarpatetti, Horst Janson, Lukas Karlsch

Kamera: Mathias Neumann

Szenenbild: Sabine Rudolph

Schnitt: Antonia Fenn

Produktionsfirma: H&V Entertainment

Drehbuch: Adrienne Bortoli, Ulrike Zinke – nach einer Idee von Barbara Wilde

Regie: Christoph Schrewe

Quote: 3,83 Mio. Zuschauer (14,5% MA)

EA: 30.08.2013 20:15 Uhr | ARD

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