Obwohl fast jeder Landstrich, jede Metropole auf der Fernsehkrimi-Deutschlandkarte verortet ist, wird auf mundartlichen Zungenschlag fast vollständig verzichtet. Ob „Tatort“ oder „Polizeiruf 110“ – mehr als eine schwäbelnde Sekretärin oder mal ein sächselnder Taxifahrer begegnen einem nicht in den Krimis der föderal aufgebauten ARD. Dialekt kostet Zuschauer, also weg damit! Damit aber beschneiden die Redakteure nicht nur den Milieu- und Realismus-Haushalt, sie nehmen den Geschichten auch Möglichkeiten, spezifisch Regionales in die Fälle einzuarbeiten. Und wenn es etwas gibt, was unsere Krimis brauchen, dann sind es originelle Stoffe, die den standardisierten TV-Ermittlungen etwas entgegensetzen.
„Erntedank“ ist ein seltenes Musterbeispiel für originelles Genreerzählen. Kommissar Kluftinger ermittelt in und um Kempten. Das Allgäu ist nicht nur wunderbar zum Wandern, Skifahren oder Brotzeitmachen, im Allgäu da mordet es sich auch lustig. Wo Aberglaube, Katholizismus und wuchtiger Pragmatismus seltsame Zeitgenossen zeugen, da tötet man nach alten Sagen. Also heißt es für die SOKO Kempten, statt ihre Brains zu stormen, in alten verstaubten Büchern zu blättern. „Irgendwas ist faul“, glaubt Kluftinger: Albträume plagen ihn, er hat ein Reißen im Oberarm, zuhause hat er einen Wasserrohrbruch, Krähen greifen ihn an und dann ist auch noch sein ganzer Stolz, der selbst gemostete Apfelsaft, umgekippt.
Foto: BR
Wann konnte man bei einem Krimi zuletzt herzhaft lachen? Wann legte sich ein wohliges Dauerschmunzeln auf die Wangen? Und wann störte es einen mal ganz und gar nicht, dass der Krimifall nicht auf Spannung inszeniert wurde? Komik entspannt – und sie ist die Grundtonlage dieses „Allgäukrimis“. Herbert Knaup als verfressener Ignorant, als rustikaler Mann vom alten Schlag, der schon mal auf der Toilette des Gastgebers eine Zwischenmahlzeit einlegen muss, ist zum Niederknien komisch. Wenn er so dasteht in seinem Janker, aus dem er wie seine geliebte Bratwurst, die er schön schwarz bevorzugt, zu platzen scheint – das ist große Charakterkomödie von Valentinschem Zuschnitt. Jockel Tschiersch ist kaum weniger komisch, dieser Dialekt und dieser Wechsel zwischen niedergedrücktem Blick und der „Hoppla, jetzt komm ich“-Wurschtigkeit. Und Johannes Allmayers theoretisierender Klugschwätzer und Kriminalstreber legt ebenso köstliche Macken an den Tag. Das Besondere liegt auch in der komischen Choreographie dieses Trios. Ihr Witzpotenzial wird übereinander geschichtet, entfaltet sich parallel, komödiantische Solonummern sind die Ausnahme.
„Erntedank“ ist erfrischend altmodisch erzählt. Es wird nicht getrickst mit der so beliebten Parallelmontage, sondern dichte, konzentrierte Szenen sind das Herzstück des Films. Klug inszeniert Rainer Kaufmann in den Raum hinein – schön, wenn August Zirner im Hintergrund seine asiatischen Entspannungsübungen macht oder der Hüne Kluftinger von einem puppenstubenhaften Raum förmlich in die Knie gezwungen wird. Köstlich auch die Einlage, in der Kluftingers Chef seine Seelenlage als erfolgloser CSU-Politiker offen legt. „Erntedank“ ist eine Krimikomödie aus dem Geiste einer Landschaft, eine Krimikomödie, die getragen wird von der Mentalität ihrer Akteure. Zuerst kommt der Charakter, dann erst kriegen die drei „a Leichesach“ rein. Das ist im Übrigen die Parallele zu „Kommissar Süden“, ebenfalls nach einer Romanvorlage entstanden. Diese Krimis leben von der Eigenart ihrer Figuren. Das ZDF setzt nach zwei Episoden „Süden“ nicht fort. Der Bayerische Rundfunk macht es besser.