Ein altes Ehepaar will sich (endlich) scheiden lassen – da stirbt plötzlich die Frau
Über 30 Jahre haben es Georg Weiser (Joachim Król) und seine Frau miteinander ausgehalten. Jetzt will sie die Scheidung, er stimmt nach reiflicher Überlegung zu, doch dann kommt dem späten Sologlück der Gattin der Sensenmann in die Quere. Wenigstens Weiser will nun all das nachholen, was er zu seinem Wohlbefinden braucht und was er die letzten Jahre nicht haben durfte: einen Kühlschrank voller Bier, ein Riesenfernseher und ganz viel Ruhe. Dafür schmeißt der Pantoffelheld nun alles raus, was er mit seiner Ehefrau verbindet – die schwere Couch-Garnitur, die Teppiche, den ganzen blumig-barocken Plunder, aber auch das Familien-Foto an der Wand muss seinem neuen Leben weichen. Selbst mit seinen Kindern will er möglichst keinen Kontakt. Das aber lässt sich nicht vermeiden, als Sohn Gerd (Tristan Seith), der offenbar unter seinem Unternehmervater sein ganzes Leben lang gelitten hat, auf seinen Erbanteil pocht. Und Tochter Susanne (Friederike Kempter) lässt nicht locker, wenn es um den Zustand ihres Elternhauses und den des Vaters geht. Der Verwahrlosung Einhalt gebieten soll Gisela Rückert (Anneke Kim Sarnau). Die kann nicht nur putzen, die hat auch einen Sohn (Moritz Hoyer), den Weiser zunächst als Alien beschimpft, und sie selbst hat lebenspraktisch so einiges drauf, wovon sich die komplette Weiser-Sippschaft etwas von abgucken könnte.
Das lebenskluge Porträt eines eigensinnigen und reichlich verunsicherten Mannes
Georg Weiser wird sich in jungen Jahren ein anderes Bild von seinen Leben gemalt haben. Ist er irgendwann falsch abgebogen? Hat er es nie gelernt, nein zu sagen? War er schon immer so ein Misanthrop und Ehe und Kindern eher abgeneigt? Oder hat bei den Weisers einfach nur keiner den Mund aufgekriegt? Weshalb sich dieser manchmal gar nicht so üble Kauz dermaßen hartnäckig im Unglück seines Lebens eingerichtet hat, will man als Zuschauer eigentlich gar nicht so genau wissen. Denn „Endlich Witwer“ setzt nicht auf den in TV-Filmen von der Glückssuche so beliebten Abbildrealismus, er versteckt den Charakter nicht hinter zu viel Handlung und gibt keine wohlfeile Anleitung, wie man es besser machen könnte: Es ist, wie es ist; möglicherweise könnte es etwas besser sein. Die filmisch einfallsreich erzählte Tragikomödie von Pia Strietmann („Sturköpfe“) nach dem vielschichtigen Buch von Martin Rauhaus („Allmen“- & „Hotel Heidelberg“-Reihe) ist vielmehr das kluge Porträt eines eigensinnigen Mannes, „der glaubt, eine neue Chance verdient zu haben“, so Hauptdarsteller Joachim Król, „und wir dürfen ihm dabei zusehen, wie er sich irrt“ – sprich: wie er in der Endlosschleife eines einsamen Alltags festhängt. Die Freiheit, sein Leben selbstbestimmt zu gestalten, nutzt sich ab, weil kein größerer Plan dahintersteht. Weiser ist offenbar mal wieder überrumpelt worden. Und er findet wie immer keine passende Antwort auf das Leben. Seine Frau ist tot – soll er jubeln, soll er trauern? „Es geht mir gut, ich hab‘ endlich meine Ruhe“ wird zu seinem Mantra, auch wenn es innen ganz anders aussehen mag. Weiser atmet schwer. Nach außen entscheidet er sich fürs Jubeln. Endlich Witwer! Doch von nichts, kommt nichts. Dieser Mann, im Kopf fit, nur die Kommunikation etwas eingerostet, müsste sich bewegen. Die patente Putze macht es ihm vor und wird zum „Katalysator für Weisers Entwicklung“.
Top-Komödie: bizarr, ambivalent, skurril, widersprüchlich, mit Ecken & Kanten
„Endlich Witwer“ ist eine Character-driven-Komödie, wie sie – allen Degeto-Stinkstiefeln zum Trotz – das deutsche Fernsehen selten hervorbringt. Die Ausgangssituation ist bizarr. Die Stimmungslage ambivalent. Die Hauptfigur ist skurril, widersprüchlich, hat Ecken & Kanten und gar nicht so wenig Potenzial; das allerdings ist auf dem Weg durchs Leben verschütt gegangen. Auch dieser Spießer hatte seine Anarcho-Zeiten. Daran erinnert wird er von einem Jugendfreund (Andreas Hoppe), „der wie eine Engelsfigur auftaucht, wenn es brenzlig wird“ (Król). Einmal zieht Weiser in der Kirche einen Joint durch, worauf er den herannahenden Polizisten mit einem verschmitzten Lächeln begegnet: „Wenn Ihr da drinnen nur ein einziges Kiffen-verboten-Schild findet, dann sind wir im Geschäft.“ Die Beamten in Grün wurden schon mal bei ihm vorstellig, nachdem er seiner Wut wegen eines Strafzettels mit einer Spray-Aktion („Eure Ordnung kotzt mich an!“) Ausdruck verliehen hatte. Dass in diesem Fall ausgerechnet Gisela Rückert ihm aus der Patsche hilft, ärgert den Mann, der zwischenzeitlich gern mal in Bademantel und Schlafanzug durchs Haus schlurft. Und seine Putzfrau hat darauf wie immer die passende Antwort: „Wer einen Beamten Pingelkopp nennt, der hat sich auf jeden Fall ein falsches Alibi verdient.“ Mag er auch, wie sein Sohn behauptet, seine Frau wie ein Psychopath terrorisiert haben, so ist doch Weiser immer dann, wenn er sich so schön renitent gegen die Obrigkeit auflehnt, ein liebenswerter Kerl. Und dass er in dieser Miefbude Tabula Rasa macht – das kann man selbst diesem Muffelkopf nicht verdenken. Sein Eigensinn macht ihn zum Unikat – auch in dramaturgischer Hinsicht. Dieser Mann erlebt keine Rundum-Läuterung. Autor Martin Rauhaus zeigt, wie sich durch die Verschiebung der Perspektive – indem sich der „Held“ gegenüber drei, vier Menschen, die gar nicht so übel sind, öffnet – sein Leben verändert. Hier wird nicht alles gut, aber vieles besser: Der destruktiven folgt die kreative Kraft des Eigensinns. Und Georg Weiser bleibt sich ein Stück weit treu.
Ekel Georg – Redakteur Pit Rampelt über die Genese des Films
Joachim Król überraschte uns mit der Idee, er könne sich gut vorstellen, eine Figur wie ‚Ekel Alfred‘ wiederzubeleben (in der Kult-Serie „Ein Herz und eine Seele“ 1973 bis 1976 von Heinz Schubert gespielt). So inspiriert schrieb Martin Rauhaus mit dem Witwer Georg Weiser einen auf Joachim Król zugeschnittenen, gleichermaßen heiteren wie berührenden Charakter. Dabei wird ‚Ekel Alfred‘ auf die heutige Zeit gemünzt variiert und einer Entwicklungsdramaturgie unterzogen. Der klassische Topos, die Verwandlung eines mürrisch-egoistischen Griesgrams zu einem freundlich-sympathischen Menschen, erinnert in Króls temperamentvoller und differenzierter Rollengestaltung z.B. an den Wiener Schauspieler Hans Moser und an die Jack Nicholson-Filme „About Schmidt“ und „Besser geht’s nicht“.
Die Bildsprache findet nachhaltige Lösungen für die Konflikte und Widersprüche
Gute Komödien leben auch von unvergesslichen Situationen. „Endlich Witwer“ hat eine ganze Menge davon. Schon die Eingangsszene ist eine grandios pointierte Exposition, ebenso präzise geschrieben wie inszeniert. Zweieinhalb Minuten werden zum Sinnbild einer toten Beziehung. Der Kunstrasenhersteller Weiser hat das Wort. „Wir machen das“, sagt er, gemeint ist die Scheidung. Da spricht der Geschäftsmann, der sich alles reiflich überlegt hat und auch gleich wieder ein paar Spitzen in Richtung Noch-Ehefrau abfeuert, als diese sich seinen Monolog schweigend anhört, aber sich so gar nicht äußern mag: „Was soll das sein – fernöstliche Meditation?“, fragt er grantig, bevor sich sein Gesicht ahnend verfinstert. Eine niederschmetternde Metapher folgt wenig später: Der Blick in die Tiefkühltruhe wird zum tiefen Blick in die Psychologie einer Ehe. Die gedemütigte Frau wollte die Scheidung, und dennoch hat sie ihm für Wochen vorgekocht. Niederschmetternde Bilder auch im Hallenbad. Träge, unförmige Körper bei der Wassergymnastik geben wenig Grund, Weiser aufzumuntern. Von wegen: endlich Witwer! Die ohnehin konzentriert geschriebenen Szenen verdichten Regisseurin Strietmann und Kameramann Florian Emmerich durch eine von Enge geprägte Bildsprache. Einsam und immer verlassener sitzt dieser Mann in seinem sich selbst verordneten Gefängnis. „Diese lächerlichen Tiersendungen“, zieht er über den Geschmack der Gattin her, später bleibt er in seiner Lethargie selbst bei einer solchen Doku hängen.
In „Endlich Witwer“ kommt Król seiner ihm eigenen Note so nahe wie lange nicht
Der Film zeigt komödiantisch das Gegenbild zu den unternehmungslustigen Golden-Ager, und er setzt dem ersehnten Lebensabend zu zweit eine schön schräge Solo-Nummer entgegen. Von wegen: „vielleicht noch 20 gute Jahre“, wie Weiser anfangs tönt. Entgegen seines Werbeslogans ist bei ihm nichts im grünen Bereich. Doch langsam kriegt dieser Griesgram wieder Lust auf Kommunikation. Die muss er allerdings erst wieder üben, so wie Gisela Rückert die Regeln fürs Dating mit Online-Bekanntschaften. Und so bietet Weiser seiner Haushälterin nicht ganz uneigennützig einen Blind-Date-Testdurchlauf in seinem Lieblingsrestaurant an. Das geht gründlich daneben, weil beide nicht in ihren Rollen bleiben. Es wird persönlich und endet unversöhnlich. Solche Momente, in denen eine grotesk-komische Situation ins Tragische kippt, gehören zu den Höhepunkten des Films. Auch wenn Weiser ein Meister der Verdrängung ist, so gewinnt doch die Verzweiflung irgendwann die Oberhand. Da ist es gut, eine Familie oder eine Frau Rückert in der Hinterhand zu haben. Und noch besser, dass Macher wie Schauspieler auf Rührseligkeiten und ein allzu geschlossenes Happy End verzichten. Sarnau beweist auch in dieser komödiantischen Rolle Klasse, und Joachim Król hatte lange nicht mehr die Möglichkeit, in einer Hauptrolle so viele spielerische Nuancen, Ton- und Stimmungslagen zu vereinen. Schwere Dramen („Über Barbarossaplatz“), tonlagenwechselresistente Komödien („Der bewegte Mann“) oder Tiefgang-Krimis (alle seine Frankfurt-„Tatorte“) – in jedem dieser Genres ist dieser Schauspieler ein Meister. In „Endlich Witwer“ kommt er seiner ihm eigenen Note vielleicht am nächsten… Deutsche Autoren, Regisseure oder Schauspieler können Tragikomödie, schade, dass man sie so selten lässt.