Sommer, Sonne – München! Mit großer Euphorie rauschen Jackie (Paula Kalenberg) und Martin (Florian Panzner) in der Weltstadt mit Herz ein. Beide sind seit zehn Jahren ein Paar, verheiratet und sie wollen endlich Kinder. Er ist Teamleiter beim Messebau, verdient das Geld, sie versucht sich im Trachtenschneidern. Gemeinsam mit „Omma“ (Barbara Nüsse), Jackies Großmutter, sind sie von Dortmund an die Isar gezogen und versprechen sich von dem Umzug „mehr Drive“. Als der Franzose Serge (Vladimir Korneev), auch ein Fremder in dieser Stadt mit dem unverständlichen Dialekt, in Jackies und später auch in Martins Leben tritt, kommt bald genug Bewegung in ihren Alltag und nichts ist mehr so, wie es war. Plötzlich stehen andere Fragen im Raum, ohne dass sie ausgesprochen werden: Macht das überhaupt noch Sinn mit einem Kind? Sex allein aus Fortpflanzungsgründen ist es das, was sich das Paar, das sich seit ihrer Jugendzeit kennt, immer erträumt hat? Sind nicht auch andere Lebens- und Liebesmodelle möglich als die monogame Zweier-Beziehung auf Lebzeiten?
Auch unsere Mütter und Großmütter sind – obwohl in Fernsehfilmen davon selten die Rede ist – fremd gegangen; sie hatten allerdings andere Lösungen parat, haben sich gefügt ins vermeintlich Unvermeidliche und die Scheidungsstatistik im grünen Bereich belassen. Heute gibt es (theoretisch) vielfältigere Lebens- und Liebesoptionen, doch Treueschwüre, Eifersucht und Hochzeitsmythos sind lebendiger denn je. Schön, dass der ARD-Fernsehfilm „Eine Sommerliebe zu dritt“ die ewige Illusion von der romantischen Liebe nicht mitmacht und amourös-erotische Alternativen zur Zweisamkeit ins Spiel bringt. Schön auch, dass Autorin Beatrice Meier („Alleine war gestern“) und Regisseurin Nana Neul die Zuschauer nicht bekehren wollen. Nicht einmal die Absicht, das Thema Liebe von einer anderen, weitgehend mythologiefreien Seite beleuchten zu wollen, wird ausdrücklich proklamiert. Der Film spricht einiges an, ohne viele Worte zu machen, alles bleibt hingetuscht, der Zuschauer entscheidet, ob er es wahrnehmen will oder nicht. „Eine Sommerliebe zu dritt“ ist trotz der Bemühungen, vor allem der Degeto, immer noch eine der wenigen Primetime-Dramödien, die eine Geschichte erzählen, anstatt halbgare Thesen mit der immergleichen Konfliktlösungs-Dramaturgie zu übergießen. Diese Haltung der Autorin spiegelt sich auch im Verhalten von Serge: „Jackie, ich werde dich nicht küssen“, sagt er mit sanfter Stimme, „wenn du es willst, musst du es tun.“ Jeder hat die Wahl: wie er lebt, wie er liebt – und wie er Filme guckt.
„Wenn man das Begehren befriedigt, tötet man es“, sagt der Franzose. Serge, der Crepe-Künstler und Eros-Anhänger, konfrontiert das deutsche Paar mit dem französischen „Savoir-vivre“. Diese Lebensart hat bekanntlich auch eine bestimmte Filmkultur hervorgebracht. Nana Neul, die ihre Liebe zu Frankreich bereits in „Stiller Sommer“ Arthaus-gemäß in Szene gesetzt hat, lässt auch in ihrem ersten Fernsehfilm zur Hauptsendezeit ihre Neigung zur französischen Kultur erkennen, jener Leichtigkeit des Seins, aber auch jenem Faible für eine offene Ästhetik. So viel wie nötig und so wenig wie möglich wird im Dialog erklärt. Die Figuren tauschen ein einziges Mal bei einem gemeinsamen Abendessen ihre Lebensphilosophien aus. Das muss reichen. Psychologische Erklärungen werden nicht gegeben. Allerdings gibt es mal einen Satz („ich habe meinen Vater nie kennengelernt“), mal eine Begebenheit („Omma“ hat ihren Mann mit seinem Bruder betrogen), mal eine traurige Geschichte (Jackies Chefin hat vor Jahren im siebten Monat ihr Kind verloren), auf die sich der Zuschauer einen Reim machen kann. Und wenn er will, kann er auch die (Vor-)Geschichte der Charaktere erspüren. Nehmen wir Jackie: Sie wirkt jung, höchstens 30, vielleicht hat sie sich ja, weil ihr der Vater fehlte, früh den „Mann fürs Leben“ gesucht, einen wie Martin, auf den Verlass ist und der etliche Jahre älter ist als sie. Aber ist diese Frau nicht zu jung, um mit einem Mann ein Leben lang zusammen zu bleiben? Schränkt eine solche, in einer Phase ohne jede Lebenserfahrung begonnene Beziehung nicht ihre und seine Potenziale ein? Im Film spricht keiner offen darüber – aber diese Assoziationen und Fragen kann man als Zuschauer durchaus haben. Und manchmal sind es nur Bilder, die man wahrnimmt, Momentaufnahmen, die das Geschehen unmerklich kommentieren und Vergangenes oder Kommendes andeuten: Nachdem Jackie nach einer Filmstunde in einer Szenerie aus Folien, die die junge Frau nicht zufällig an das Puppenkisten-Lummerland ihrer vaterlosen Kindheit erinnert, mit Serge geschlafen hat, sieht man sie beim Joggen. Dass sie ihr Strahlen im Park einem kleinen Kind schenkt, das gerade laufen kann, das lässt sich vom Zuschauer als eine Vorahnung lesen. Genauso wie der Kinderwagen, den die Heldin in der ersten Szene freudestrahlend und beiläufig vom Sperrmüll mitgehen lässt.
In einem Film, in dem es um Beziehung geht, um Variationen der Liebe und in dem magische Momente, der Alltag und die Sinnlichkeit des Augen-Blicks das ersetzen, was bei anderen Filmen „Thema“ bedeutet – in einem solchen Film kommt auf die Schauspieler eine besondere Aufgabe zu. Sie allein verbriefen die Wahrhaftigkeit der Geschichte. Die Chemie zwischen ihnen muss stimmen. Und sie stimmt in Neuls Film. Paula Kalenberg ist der sprichwörtliche Sonnenschein. Dass sie bereits mit 15 Jahren anspruchsvolles Drama spielte („Hanna – Wo bist du?“), früh Hauptrollen übernahm („Tatort – Bermuda“), mit ganz großen Kollegen drehte (George, Pfaff, Manzel), Kino machte („Die Wolke“) und ihr auch Theatersprache („Kabale und Liebe“) nicht fremd ist, prädestiniert sie für ein offenes, vielfältiges Spiel. Wo die vielen Möglichkeiten der Liebe ausprobiert werden, da ist sie am richtigen Ort, zudem passt ihre „Jugendhaftigkeit“ gut zur Rolle. Florian Panzner ist dazu der ideale Gegenpol. Er agiert wie der Prototyp jenes Mannes Ende 30, der nicht aus seiner Haut kann („Es gibt gewisse Konventionen und Regeln“) und der schon gar nicht viel reden möchte. Ein planvoller Mensch, der glaubt zu wissen, wie das Leben auszusehen hat. Dadurch, dass Neul mit Panzner keinen Stoffel besetzt hat, sondern einen physisch attraktiven Schauspieler, der die Normalität seines Ehemanns glaubhaft verkörpert, wird der Konflikt für die Heldin nicht auf den simplen Gegensatz phantasievoller Liebhaber vs. tote Hose reduziert. Das Spiel um Begehren und Sinnlichkeit steht und fällt mit dem Lustobjekt. Vladimir Korneev ist ein noch weitgehend unbeschriebenes Blatt: dass sein geheimnisvoller Verführer (eigentlich ist er eher eine Versuchung) im Film nicht viel über sich verrät und dass auch der Zuschauer nichts über den Schauspieler weiß, ist die beste Voraussetzung für seine Figur; so wird sie zur idealen Projektionsfläche. Dazu der vollkommen stimmig angelernte französische Akzent und die Erotik seiner Ausstrahlung, die nichts mit der so beliebten Muckibuden-Physis oder mit Typenschauspieler-Routine gemein hat. Alle drei bestechen durch ihr alltagsnahes Spiel (die Dialoge sind auch schon entsprechend so geschrieben). Poetische Stimmungen kommen in der Isar-Sommer-Sonne dennoch nicht zu kurz. Und am Ende bleibt „Eine Sommerliebe zu dritt“ vielsagend offen – für eigene Gedanken und Gespräche. (Text-Stand: 31.8.2016)