Eine Handvoll Briefe

Ursula Strauss, Teichtmeister, Brée, Murnberger. Märchenhafte Erweckungsromanze

Foto: MDR / ORF / Hubert Mican
Foto Rainer Tittelbach

40, Single und kein Mann in Sicht. Da bekommt die frustrierte Hauptfigur in „Eine Handvoll Briefe“ plötzlich die Liebesbriefe einer ihr fremden Frau in die Hände und ihr Leben erfährt eine tiefgreifende Wende. Autor Uli Brée („Vorstadtweiber“), Regisseur Wolfgang Murnberger und vor allem Ursula Strauss heben diesen entspannten Liebesfilm aus Wien mit seinem dezenten „Harry-&-Sally“-Anleihen deutlich über deutsches „Herzkino“-Niveau. Trotz Nähe zum Drama hält sich der Erkenntniswert in Grenzen. Der Lustgewinn ist umso größer!

40, Single und außer einer Affäre mit ihrem verheirateten Chef kein Mann in Sicht. An ihrem Geburtstag überkommt die Consulterin Kristin der Katzenjammer. Am liebsten würde sie sich mit ihrem besten Freund Lenny sinnlos besaufen, doch ihre Mutter und ihre Freundin Alma durchkreuzen ihre Pläne mit einer Überraschungsparty. Dennoch wird Kristins Leben an diesem Abend eine entscheidende Wende nehmen. Am Wiener Flughafen werden nach Jahren nicht abgeholte Koffer versteigert, ohne dass man den Inhalt kennt. Einen solchen bekommt sie von Lenny. In ihm findet sie einen Packen Liebesbriefe, Gedichte, Zeugnisse einer unerfüllten Liebe. Die Briefe wecken eine ungestillte Sehnsucht in ihr. Unbedingt möchte sie den Koffer ihrer Besitzerin zurückbringen. Diese Frau aber kann sie nicht mehr aufsuchen, sie ist vor zwei Jahren bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen. Aber den Mann, der diese wunderschönen Briefe geschrieben hat, wenigstens den könnte sie besuchen. Der lebt zurückgezogen im Waldviertel. Ein männlicher Typ, zurückhaltend, sanftmütig und sensibel. Der könnte der Richtige sein! Doch Kristin sagt ihm nichts von dem Koffer und den Briefen.

Eine Handvoll BriefeFoto: MDR / ORF / Hubert Mican
„Überraschung!“ Kristins Mutter (Mariele Millowitsch) hat immer einen passenden Beziehungsratschlag parat. Sie muss es wissen, sie war vier Mal verheiratet, davon zwei Mal mit demselben Mann. Auch Kristins Freundin Alma (Doris Schretzmayer) ist die perfekte Ratgeberin.

Uli Brée, der viel (Gutes) schreibende deutsche Drehbuchautor, der sich fast ausschließlich dem ORF verschrieben hat, und längst in Österreich lebt, hat sich nach Komödien wie „Die Spätzünder“ oder „Alles Schwindel“, nach Serien wie „Paul Kemp“ und den sagenhaften „Vorstadtweibern“ und nach einigen Krassnitzer-„Tatorten“ mit dem Fernsehfilm „Eine Handvoll Briefe“, an einer echten Romanze versucht. Herausgekommen ist eine unaufgeregte Erweckungsgeschichte, die sich deutlich abhebt von den banalen Weckrufen der Liebe, wie sie immer noch gern bei Pilcher oder „Inga Lindström“ erzählt werden. Bei der Hauptfigur dieser deutsch-österreichischen Koproduktion, die im ORF unter dem Titel „Lost & Found“ bereits 2014 ausgestrahlt wurde, findet eine tiefgreifende, geradezu märchenhafte Wandlung statt. Die Liebesbriefe treffen jene Kristin im Innern ihres Herzens und spiegeln ihr die eigene Einsamkeit. Die Sache mit dem Koffer wird ihre eigene Sache. Überroutinierte Melodram-Autoren und vor allem -Autorinnen erzählen ähnliche verspätete Selbstfindungsgeschichten, aber nur selten ergeben sich daraus ähnlich überzeugende, fremdschämresistente Liebesfilme.

Das liegt zum einen daran, dass Brée gleich zum Wesentlichen kommt, nicht mit dem bisherigen Lebensentwurf langweilt und nur ansatzweise die noch nicht „erweckte“ Karrierefrau dem Zuschauer präsentiert. Und auch die Wegmarken ihrer Reise zu sich selbst sind vom Autor dramaturgisch gut gewählt und sie sind überdies psychologisch stimmig: anfangs will sie nur teilhaben am Glück der anderen, will nur helfen, aus gutem Grund – pendelt sie doch selbst noch viel zu uneinsichtig zwischen ihren Sehnsüchten und Ängsten. Mit dem Kennenlernen des vermeintlichen Briefeschreibers nimmt sie das eigene Glück in die Hand, bevor sie sich am Ende dort wiederfindet, wo sie schon einmal war (und das gleich in mehrfacher Hinsicht), doch nun dank ihrer Wandlung zu einem „neuen“ Menschen mit anderem Vorzeichen. Dass diese Romanze eine Spur tiefer geht als andere, dass sie bei aller Märchenhaftigkeit „glaubhafter“ erscheint und trotz des „Harry-&-Sally“-Musters, das auch hierzulande schon mehrfach variiert wurde, (zwischen)menschliche Wahrheiten zeigt – das liegt nicht unwesentlich auch an Hauptdarstellerin Ursula Strauss, Österreichs Top-Mimin der letzten Jahre. Eine Theater- und Drama-erfahrene Vollblutschauspielerin wie sie holt einfach sehr viel mehr heraus aus einem Text wie diesem: „Ich hab dann versucht, mir vorzustellen, ich wär diese Frau – und dann krieg ich das die ganze Zeit nicht mit und dann verlier ich auch noch diese Texte. Das ist schrecklich.“ Und auch das ständige Switchen zwischen existentieller Tiefe & oberflächlichem Alltagstonfall, zwischen Innerlichkeit & Exaltiertheit ihrer ganz normal narzisstisch gestörten Figur, ist etwas, was Strauss mit Links meistert.

Eine Handvoll BriefeFoto: MDR / ORF / Hubert Mican
Im Waldviertel beschleicht Kristin plötzlich so ein merkwürdiges Gefühl… Ursula Strauss & Fritz Karl

Ob man nun die Geschichte von Anfang an „durchschaut“, wovon Brée ganz offenbar ausgeht, oder nicht, was für Menschen mit ein wenig Genreerfahrung schwierig sein dürfte, „Eine Handvoll Briefe“ funktioniert auf jeden Fall. Vorausgesetzt allerdings, man ist gewillt, genussvoll einer entspannten Selbst- und Paarfindung zu folgen, deren Lustgewinn für den Zuschauer zwar groß, deren Erkenntniswert sich genregemäß dafür in Grenzen hält. Während die Heldin bald nicht mehr ganz so uneigennützig auf Herzblattsuche geht, geht ihr Sandkastenfreund mit einem „heißen Feger“ ins Bett; zunächst aber läuft gar nichts (warum wohl?), dann – bevor Kristin ein Licht aufgeht – rappelt es plötzlich gehörig in der Kiste. Eine solche Kontrastdramaturgie mag wirkungsvoll sein, ist aber wenig subtil. Aber vielleicht gibt Brée dem Zuschauer ja doch eine kleine Botschaft für den Geschlechterkampf mit auf den Weg?! „Warum hast du nichts gesagt?“, schreit die sich betrogen Fühlende kurz vor Torschluss. „Warum hast du nicht gefragt?“, brüllt der beste Freund zurück. Der Film – ein Plädoyer für Offenheit und eine größere Sensibilität in Beziehungen & besten Freundschaften? Besser nicht! Sonst würde es vielleicht am Ende immer weniger Beziehungskatastrophenfilme geben und auch romantische, angenehm altmodische Verwirrspielfilme wie „Eine Handvoll Briefe“, den Wolfgang Murnberger, dezent und unauffällig und damit äußerst Stoff- und Vorlagen-gerecht inszeniert hat, könnten bald eine Rarität sein. (Text-Stand: 29.7.2015)

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Fernsehfilm

MDR, ORF

Mit Ursula Strauss, Florian Teichtmeister, Mariele Millowitsch, Doris Schretzmayer, Fritz Karl, Hary Prinz, Steffen Groth

Kamera: Hermann Dunzendorfer

Szenenbild: Maria Gruber

Schnitt: Patrick Primus

Musik: Roman Kariolou

Produktionsfirma: MR-Film

Drehbuch: Uli Brée

Regie: Wolfgang Murnberger

Quote: 3,86 Mio. Zuschauer (14,1% MA)

EA: 26.08.2015 20:15 Uhr | ARD

Spenden über:

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