Jeanine Weiss will im Elsass ihr Erbe abwickeln und dabei ein bisschen auf Jugendnostalgie machen. Mal wieder einen leckeren Riesling trinken und in der Schuhmacherwerkstatt ihres Onkels Jean das gute Leder riechen. Die Berlinerin, die mit Großstadt-Elan in den verschlafenen Landstrich hineinbraust, wird zunächst durch eine Autopanne auf Elsass-Betriebstemperatur heruntergefahren. Der Verursacher, ein Esel, gehört Aussteiger Marc. Ein Baron, der Käse verkauft, weltmännisch, gut aussehend, ein Franzose, wie er im Buche steht. Von dem lässt sich die quicke Deutsche gern mal abschleppen. Zunächst mit dem Trecker, dann mit Hilfe seines Charmes. Und in der Hauptstadt wartet der Verlobte. Eigentlich wollten Jeanine und ihr Onkel das Schuhmacherhaus, das beiden zur Hälfte gehört, verkaufen. Doch es scheint, als ob dieser Flecken Erde mit seinen liebenswerten Menschen die schnelllebige Jeanine „ganzheitlich“ ausbremsen könnte. Vielleicht also ein Spätsommer mit Folgen?
Foto: ZDF / Thomas Kost
In dem Örtchen Louiswiller ist die Lebenskunst noch zuhause. Qualität hat hier noch einen Wert, Gemeinschaft und Müßiggang als Quell des Lebens werden geschätzt. In „Ein Sommer im Elsass“ wird dieser Grundgedanke vom „anderen“ Leben nicht nur vom Drehbuch behauptet, sondern jedes Bild atmet diese Idee von der Entschleunigung unserer Welt: der Spätsommer im Elsass wird so zu einem großen Fest für die Sinne und das Schöne. Romantik mischt sich mit Erinnerungen aus der Kindheit, mit Wunschvorstellungen, die in vielen Menschen schlummern. Jeanine Weiss, ihr Onkel Jean und Marc von der Lohe durchleben 90 für den Zuschauer wohlige Minuten stellvertretend einen (Aussteiger-)Traum, den auszuleben nur wenige wagen. Die Geschichte holt den modernen Menschen bei seinen Empfindungen ab. Und der schreibende Regisseur Michael Keusch („Die Samenhändlerin“), Deutsch-Kanadier, einst bekannt für seine Hochglanz-TV-Movies, macht das richtig gut.
In „Ein Sommer im Elsass“ erfahren die Bild gewordenen Wunschvorstellungen eine lebenskluge Relativierung. „Jeder hat seinen Platz und spielt seine Rolle“, kommentiert der Franzose das Kneipen-Idyll, das sich der fremde (Zuschauer-)Blick aus einem solchen Mikrokosmos alsbald gerne bastelt. Auch der touristische Blick, den Fernsehfilme an Sehnsuchtsorten häufig bei Zuschauern aktivieren, wird wunderbar durch einen Running Gag mit einem Augenzwinkern belegt. Fünf Mal fährt der Reisebus in Louiswiller ein: the same procedure – nur die Sprachen wechseln. Keuschs Film ist ein „Gefühls-Stück“, geboren aus dem Geiste der Normalität, aus dem Geiste moderner Befindlichkeiten. Durch diese Geschichte schimmert sehr viel mehr (un)gelebter Zeitgeist als durch die vielen anderen TV-Romanzen. Es geht um Lebensgefühl, dann erst kommt die Liebe. Und so ist es nur logisch und angenehm, dass da einmal nicht der Verlobte aus Berlin angedackelt kommt.
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„Ein Sommer im Elsass“ kann sich auf das Wesentliche konzentrieren: auf Stimmungen, Atmosphäre, Gefühle, Elsass-Aura. Der Film besitzt ein angenehmes Tempo, viel Esprit in seinen Details, gelegentlich eine leicht ironische Beiläufigkeit im Umgangston und für einen Unterhaltungsfilm ungewohnt vielschichtige Dialoge. „Alt werden geht ganz von alleine“, grummelt Jean vor sich hin, jener Alt-68er-Schuster mit Cannabis-Plantage. „Und ist besser als die Alternative“, bringt es Jeanine illusionslos auf den Punkt. Ein bisschen mehr deutsch-französische Mentalitätsgeschichte hätte dem leichtfüßigen, perfekt besetzten Film noch beigemengt werden können. Fazit: „Ein Sommer im Elsass“ bestärkt den Eindruck, dass „Ein Sommer in…“ die zeitgemäßeste und ausbaufähigste Sonntagsfilm-Reihe im ZDF ist.