Am Anfang stand ein großer, hehrer Vorsatz. „Einen Film gegen den Krieg und für eine größere Mitmenschlichkeit“, wollte Produzent Nico Hofmann machen. Einen Film, der auch denen, die nicht aus eigener Erfahrung wissen, was Krieg, was Bombenhagel und Todesangst bedeuten, etwas zu vermitteln von jenen unvorstellbaren Gräueln. Auch der besonderen politischen Verantwortung waren sich die Macher bewusst. Denn sie wollten schließlich nicht irgendein Kriegsszenario zeigen, sondern die Bombardierung Dresdens im Februar 1945. „Der Versöhnungsgedanke war für uns grundlegend“, betont ZDF-Redakteur Günther van Endert. Also musste eine Erzählstruktur gefunden werden, die dem Rechnung trägt. Die Bevölkerung Dresdens als Nur-Opfer darzustellen, wäre historisch fatal gewesen. Also musste ein britisches Opfer hinzu erfunden werden, „ein britischer Bomberpilot, der im wahrsten Wortsinne auf deutschen Boden runtergeholt werden muss“, so Produzent Hofmann.
Die Produktion des Filmes war ein Balanceakt. Vieles musste bedacht werden. Und so wurden zu Beginn der vierjährigen Vorbereitungs- und Herstellungszeit vor allem Fragen gestellt und die kritischen Punkte des Projekts abgeklopft. Wie lässt sich der Mythos Dresden überhaupt in das dramaturgische Korsett eines Event-Mehrteilers bringen, ohne der Historie Gewalt anzutun? Wie verhindert man das Abgleiten in Kitsch und wie gelingt es, dass das Inferno von Dresden durch die Liebesgeschichte nicht um seinen Schrecken gebracht wird? Wie gewinnt man junge Zuschauer, die sich für gewöhnlich wenig für Zeitgeschichte interessieren? Wie viel an Kriegsbildern und Sterbeszenen ist den Menschen – insbesondere denen, die den Krieg und die Bombennacht von Dresden miterlebt haben – zuzumuten?
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Sogar um die Dresdener Bevölkerung machte man sich Gedanken: So waren während der Dreharbeiten an Originalschauplätzen wie der hakenkreuzbeflaggten Augustusbrücke psychologische Betreuer abgestellt, die mit Anwohnern und Zaungästen in Dialog traten und vor allem die älteren Mitbürger über das Filmprojekt aufklärten. „Wer mit jedem pfleglich umgeht, kann keinen Beifall von der falschen Seite bekommen“, bringt Regisseur Roland Suso Richter die Herangehensweise auf den Punkt. Da versteht es sich von selbst, dass auch deutsche und englische Historiker zu Rate gezogen wurden.
Der Produzent, der Autor, der Regisseur, die Redakteure und die Schauspieler, sie alle stellten die richtigen Fragen und gaben die richtigen Antworten. Voraussetzung ist, dass man die erste Frage, muss man einen solchen Film machen, mit ja beantwortet. Man muss überzeugt davon sein, dass Filmbilder den Schrecken des Krieges wahrhaftig wiedergeben können, und das sogar in Zeiten, in denen der Krieg oft weniger durch seine konkreten Ereignisse als vielmehr durch die Politik seiner Bilder bestimmt wird. Auch darüber haben die Macher nachgedacht. „Dresden ist eine der letzten großen Kriegskatastrophen, die nicht nach den Gesetzen der medialen Verwertung inszeniert wurden“, sagt Drehbuchautor Stefan Kolditz. Ein Grund mehr für ihn, die Ereignisse von Dresden mit Hilfe einer klassischen Dramaturgie zu erzählen.
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Wie zuletzt in „Die Sturmflut“ steht eine Krankenschwester im Mittelpunkt des Geschehens. Zunehmend befallen jene von Felicitas Woll gespielte Anna Zweifel, was die kollektiven und auch ihre privaten Gefühle angeht. Liebt sie ihren Alexander, den Oberarzt an der Klinik ihres Vaters, tatsächlich? War die Verlobung eine gute Idee? Und was treibt ihr „Vati“, der heimlich lebensrettendes Morphium einbehält, für ein doppeltes Spiel? Und wer ist dieser verletzte Fremde, der sich im Keller der Klinik versteckt? Ohne ein Wort mit ihm gewechselt zu haben, fühlt sie sich von ihm als Frau verstanden. Sie spürt eine Nähe, die ihr ihr Verlobter nicht geben kann. Anna wird zum Engel in Weiß, eine, die zwischen Soldaten und Deserteuren, zwischen Ariern und Juden, ja sogar dem Feind in Sachen Menschlichkeit keinen Unterschied macht. Sie steht als Ikone der Humanität und ihre schicksalhafte Liebe zu einem britischen Piloten, so sehr sie auch dem großen Kino geschuldet ist, gerät zum Symbol der Versöhnung.
„Es ist schön zu sehen, da sind Völker, die gegeneinander kämpfen, aber auch in der Lage sind, sich zu lieben“, sagt Hauptdarstellerin Woll. Mit ihr, bekannt geworden durch die auch international preisgekrönte Serie „Berlin, Berlin“, haben Hofmann und Regisseur Roland Suso Richter („Der Tunnel“) einen Glücksgriff getan. Kalkuliert war gewiss, dass sie wie kaum eine andere auch ein jüngeres Publikum ansprechen könnte. Auch dass ihre Oma und Großtante die Bombardierung Dresdens selbst erlebt haben, war für die Einfühlung in die Geschichte nur von Vorteil. Dass Felicitas Woll aber auch schauspielerisch die Gratwanderung zwischen Melodram und hartem Kriegsdrama so überzeugend bewältigt, konnte nach Rollen in „Die Camper“ oder „Mädchen, Mädchen“ nicht unbedingt angenommen werden. Ihr frisches, unverbrauchtes Gesicht trifft hier auf einen tief ins kollektive Gedächtnis eingegrabenen Kriegsmythos – und das färbt ab: nicht die ewig Vorgestrigen bestimmen die historische Richtung, sondern eine von heute, gerade noch ein Girlie, gibt die versöhnliche Perspektive vor. Ähnlich wie Heike Makatsch als Gesicht der 1990er Jahre der ein Jahrhundert früher lebenden Margarethe Steiff einen auratischen Subtext mitgab, so ist auch Wolls Anna nicht frei von Lolle, jedenfalls für den Zuschauer. Ein Gesicht als V-Effekt. Der dem Abbildrealismus verpflichteten Ästhetik des Films tut das sichtlich gut.
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„Dresden“ ist ein verantwortungsvoller Film, ohne in Ehrfurcht vor der Geschichte zu erstarren. Bei aller historischer Korrektheit und Ausgewogenheit geht er durchaus auch ans Eingemachte. Er zeigt den Bombenkrieg mit all seinen Auswirkungen: das Chaos, das Leiden, den Tod, das Inferno. „Wir gehen an die Schmerzgrenze, was die Radikalität der Erzählung und die Heftigkeit der Bilder betrifft“, betont Produzent Hofmann. Es sind weniger die apokalyptischen Totalen, die den Zuschauer „erschrecken“, es ist das Sterben im Detail, es sind die Toten, die in den Kellern Erstickten, die das Grauen physisch spürbar machen. Die Kamera streift über sie, sie gibt eine Ahnung davon, was es heißt zu sterben oder zu leben im Angesicht dieses Leids. Mit diesen Bildern wolle man „den Zuschauer zwingen, die Ereignisse von damals zu reflektieren“, sagt Regisseur Richter. Die 35 Minuten, in denen die Folgen des Luftangriffs auf Dresden gezeigt werden, sprengen massiv die Konventionen der TV-Fiktion. Nicht jeder Charakter wird weitergeführt. „Der Betrachter soll spüren, wie durch dieses Ereignis alles gewissermaßen auf Null fällt, wie jedes Schicksal, jede Lebenslinie unterbrochen wird“, so Roland Suso Richter. Das habe einen guten Grund: „Wenn künstlich Dramaturgien aufrecht erhalten werden, wird aus einem Antikriegsfilm schnell ein Kriegsfilm.“
Der Film, entstanden in 68 Drehtagen mit einem Rekordbudget von zehn Millionen Euro, ist nach „Die Luftbrücke“ und „Die Sturmflut“ das dritte Event-Movie in der TV-Saison 2005/6 und ist ein Höhepunkt des noch jungen Fernsehjahres. „Dresden“ besticht durch glaubhafte Schauspieler und eine handwerkliche Präzision, wie man sie noch nicht in einem deutschen Film gesehen hat. Wenn man hört von mehr als 300 Brandherden, die eine Drehwoche lang das Feuer in Gang hielten, von 80 Fenstern, aus denen die bis zu sechs Meter hohen Flammen schlugen, von Windmaschinen, Rauch und Funkenflug, dann denkt man vor allem an die Schauspieler, die mit all dem zurecht kommen mussten. Und die sogar noch während des Drehs über eine 15.000-Watt-Anlage mit den simulierten Geräuschen malträtiert wurden, die entstehen, wenn 200 Bomber ihre Last abwerfen. Auffallend, dass sie nicht über den strapaziösen Dreh klagten, sondern an Größeres dachten. So wie Felicitas Woll: „Meine Generation muss sich bewusst machen, wie gut es ihr geht. Und ihr muss klar werden, wie schnell sich diese Situation ändern könnte.“ (Text-Stand: 5.3.2006)