„Trauert nicht um uns, trauert lieber um euch selbst!“ Sekten-Guru Bernard Sicard gibt gleich zu Beginn der internationalen Sat-1-Koproduktion „Die verlorene Tochter“ das Motto seiner Akademie der Sonnenritter aus. Die Apokalypse naht. Da macht man seinem Leben doch am besten gleich selbst ein Ende!? 47 Menschen kamen im Oktober ’94 in Kanada und in der Schweiz unter mysteriösen Umständen ums Leben. Sie gehörten alle der Sekte der Sonnentempler an. Sat 1 griff den realen Fall auf, um daraus einen aufwendigen 180-Minüter zu machen. Dabei verließ sich die Züricher Produktionsfirma Condor Films mit Helmut Griem („Cabaret“), Christoph M. Ohrt („Nur über meine Leiche“) und Michael Mendl („Der Schattenmann“) nicht nur auf eine namhafte deutsche Schauspielerriege, sondern zog auch einen internationalen Star an Land: Frauenschwarm Richard Chamberlain („Dornenvögel“).
„Sie darf nicht tot sein. Sie kann doch nicht einfach tot sein“, fleht er zu Beginn des ersten Teils. Er spielt einen kanadischen Geschäftsmann, dessen Tochter zu den Sonnentemplern gehörte. Durch den kollektiven Selbstmord der Sekte brechen bei ihm alte Wunden auf. Gemeinsam mit einer Freundin seiner Tochter macht sich der einsame Mann auf die Suche nach dem Letzten auf dieser Welt, was ihm geblieben ist… Eine „Missing“-Story, zerdehnt auf zwei Teile, bei der so ziemlich alles den Erwartungen entspricht: eine altmodische Rückblenden-Dramaturgie der kleinen Schnipsel wechselt mit amerikanisch angehauchtem Overacting. Dazu ein paar Special-Effects, um die esoterischen Zeremonien der willenlosen Sektenjünger dem Zuschauer so richtig abstoßend näherzubringen. Grundsolide natürlich die Schauspieler. Die größte Überraschung: Susanna Simon, ein neues Gesicht, bisher vor allem am Berliner Theater zu sehen und zur Zeit für Margarethe von Trottas „Winterkind“ vor der Kamera. Sie schwärmt geradezu von „dem erstklassigen dichten Drehbuch: kein Satz zuviel, nicht diese blöden, nichtssagenden Dialoge“, betont sie. Interessant fand sie aber auch das Thema: die Verführbarkeit von Menschen sei für sie vor allem psychologisch spannend.
Doch über die Hintergründe von Sekten erfährt der Zuschauer so gut wie nichts Neues, vielmehr werden nur gängige Klischees reproduziert. Jeden kann es treffen, auch die höhere Tochter aus gutem Hause. Untermauert wird diese Botschaft im Sat-1-Presseheft mit den Statements eines Sekten-Experten: „Die Anfälligkeit für Heilslehren und vereinnahmende Gruppen hat wenig mit Intelligenz zu tun, sondern viel mit unserer Lebensweise, der gesellschaftspolitischen Entwicklung, der psychischen Befindlichkeit und unseren religiösen Defiziten.“ Auch das ist nicht gerade neu… (Text-Stand: 11.3.1997)