Ehrenberg ist spurlos verschwunden. Doch die Klienten nehmen darauf keine Rücksicht – und so wissen die Anwältin Isabel von Brede (Sabine Postel) und ihre „Gehilfinnen, Yasmin (Sophie Dal) und Gudrun (Katrin Pollitt), bald gar nicht mehr, wo ihnen der Kopf steht. Ein Obdachloser, der von einem Supermarktfilialleiter schikaniert und verletzt wird, sucht einen Rechtsbeistand, von Bredes Verehrer, Ex-Zuhälter Matuschek (Uwe Bohm), will von ihr mal wieder rausgeboxt werden, und dann soll auch noch ein alter Bekannter, seine schwerkranke Mutter getötet haben. Außerdem macht die Anwältin Bekanntschaft mit Markus Gellert (Herbert Knaup), dem Anwalt der Gegenseite in einem Rechtsstreit zwischen der Betreibergesellschaft einer Hühnerfarm und einer radikalen Tierschützerin. Und dann hat von Brede eines morgens eine betrübliche Botschaft: „Gregor Ehrenberg wird nicht in die Kanzlei zurückkehren.“ Der tragische Tod seines Vaters hat ihn nachdenklich gemacht. Er will reisen. Einige Fälle später wähnt die Staatsanwaltschaft Isa von Brede auf der anderen Seite des Gesetzes: Sie steht unter Mordverdacht. Erste Bewährungsprobe für Gellert, der seine alte Kanzlei verlassen hat und nach spannenderen Aufgaben sucht. Und das Schicksal schlägt gleich noch ein weiteres Mal zu: Ehrenberg ist bei einem Autounfall ums Leben gekommen.
Thorsten Näter über Knaups Markus Gellert:
„Auch Gellert liebt wie von Brede den Kampf. Aber bei ihm hat das nichts mit Rebellion zu tun. Für ihn ist es ein Spiel. Gellerts größte Qualitäten sind sein Tempo und seine Eloquenz. Gellert hat nie eine Strategie oder eine Meinung zu einem Fall. Sondern eine ganze Reihe von Strategien und grundsätzlich nie nur eine Meinung oder Haltung. Er liebt es, seine Gegner aufs Glatteis zu führen, wechselt gern von einer auf die andere Sekunde seine Haltung, um seine Kontrahenten zu verwirren.“
Foto: NDR / Georges Pauly
Nach 52 Folgen von „Der Dicke“ starb Dieter Pfaff während der Vorbereitungen für die fünfte Staffel der erfolgreichen ARD-Hauptabendserie. So ist „Die Kanzlei“ nun eine Fortsetzung im Gewand der alten Serie – allein sein gewichtiger Hauptdarsteller fehlt. Wie groß die Lücke sein wird, die er reißt, müssen die „Fans“ entscheiden. WDR und NDR jedenfalls haben produktionstechnisch alles getan, um einen qualitativ hochwertigen Nachfolger zu ermöglichen: Die Drehbücher kamen wie zuletzt immer aus einer Hand – der von Thorsten Näter. Auf dem Regiestuhl sitzen durchweg erfahrene Fernsehfilm-Regisseure wie Claudia Garde oder Oliver Dommenget. Und als neuer Mann im Team ist Herbert Knaup einer, der Dieter Pfaff zwar nicht vergessen machen wird, der aber mit seiner Figur Markus Gellert eine persönliche Note und gesellschaftliche „Farbe“ in die Serie bringen könnte, die dem oberflächlichen, ichbezogenen Zeitgeist näher kommen – und was auch zu mehr Kontroversen innerhalb des Quartetts führen könnte. So ein bisschen bestand bei der alten Konstellation die Gefahr, dass sich diese Viererbande zu sehr gegenseitig bestätigt in ihrem Streben nach politischer Korrektheit und dass die Konflikte des Stammpersonals allenfalls auf die Mentalitäts-, Geschlechter- oder Generationenebene abgeschoben wurden. Und so wird sicher ohne den „Dicken“ ein bisschen die (psychologische) Tiefe, werden die wärmenden Gefühle aus dem Bauch heraus fehlen, was der nachdenkliche, hoch sensible Gregor Ehrenberg (darin war er eins mit Dieter Pfaff) stets sehr glaubhaft zu vermitteln wusste.
Herbert Knaup über seine Anwaltsfigur:
„Markus Gellert ist ein versierter Anwalt, der alle Facetten der Juristerei beherrscht. Schräg, eigenwillig, unorthodox und unberechenbar kämpft er für seine Klienten, auch wenn es aussichtslos erscheint. Anfangs lernen wir ihn versnobt und gelangweilt in einer Großkanzlei kennen, wo er völlig unterfordert nur noch auf sein großzügiges Salär schielt.“
Foto: NDR / Georges Pauly
Man darf gespannt sein, ob Gellert tatsächlich das einlöst, was sich Näter von ihm als Kontrastfigur zu Sabine Postels Isa von Brede verspricht: Spieler gegen Kämpferin, Florett gegen Schwert, Egoismus gegen Altruismus. Der Serie könnten in diesem Punkt etwas Frische, mehr Mut & weniger gesellschaftlicher Konsens gut tun. Denn auf den ersten Blick (nach Sichtung von nur zwei zur Verfügung gestellten Folgen) hat sich, was die Fälle angeht, nichts Grundlegendes getan. The same procedure. „Der Glaube an die ausgleichende Funktion des Rechts in einer Gesellschaft, in der jeder sich selbst der Nächste ist“, so umschreibt Gebhard Henke das Hauptmotiv des „Dicken“ – und dasselbe gilt nun auch für „Die Kanzlei“. Zwischen herzerwärmend und lehrreich verkündet auch diese Serie ihre ehrenwerte Botschaft, die fein sozialromantisch überpudert wird. Vier für ein bisschen Gerechtigkeit.
Aber eben nur ein bisschen. „Die Kanzlei“ tut realitätsnah, behandelt aber nur soziale Konflikte und persönliche Problemlagen, die rasch zu reparieren sind. Nach 45 Minuten sind alle Widersprüche beseitigt. Die Einsicht regiert. Dem konservativen Erzählformat entsprechen die weichgespülten Fälle und die naive Pädagogik, die sich hinter den Geschichten versteckt. Das ist gediegenes Unterhaltungsfernsehen für Zuschauer ab 60. Man kann durchaus argumentieren, eine solche dezente Sensibilisierung für soziale und zwischenmenschliche Zustände in der Gesellschaft sei im Rahmen des Unterhaltungsfernsehens besser, als sich gar nicht um Moral und Gesellschaft zu kümmern. Aber wenn zum Beispiel in einer Szene, in der sich Postels vornehme Kämpferin unter die Brücke zu den Obdachlosen wagt, sofort eine Musik einsetzt, die die Situation dramaturgisch glättet und den Zuschauer besänftigt, kann man das auch furchtbar verlogen finden. Fazit: „Die Kanzlei“ ist eine sehr professionell gemachte Serie, die keinem wehtut. Gediegenes öffentlich-rechtliches Nebenbei-Fernsehen, mit dem man die Zielgruppe bei der Stange zu halten versucht. (Text-Stand: 1.8.2015)