Wie zum Hohn rückt die Kamera die Aufschrift „Stadt des Friedens“ an einer Häuserwand ins Bild. Dabei ist es mit dem Frieden nicht weit her: Im (einst östlichen) Herzen Berlins, auf der Rathausbrücke über die Spree, wird ein Geldtransporter überfallen. Dass der Überfall in eine ausgiebige Schießerei mit Geiselnahme ausartet und es in dieser Zeit nur zwei Zivilfahnder an den Tatort schaffen, ist in direkter Nachbarschaft von Museumsinsel, Humboldt-Forum und Dom eine reichlich unglaubwürdige Fiktion. Auch irritiert, dass sich einer der Räuber, Emre Topal (Walid Al-Atiyat), im Auto umgehend die Maske vom Gesicht reißt und sein Komplize Marco Kretschmer (Pit Bukowski) seinem Beispiel folgt, wenn auch widerwillig. Warum sie ohne Not die eigene Identität preisgeben, bleibt selbst dann rätselhaft, wenn man die Botschaft des Films berücksichtigt, dass die Organisierte Kriminalität rücksichtlos und brutal vorgeht. Anna Liebrecht (Lara Feith), die auf der Brücke einen kleinen mobilen Verkaufsstand betrieb und als Geisel genommen wurde, wird in einem Waldstück förmlich hingerichtet. Ob Emre, Marco oder doch Banden-Chef Boskov (Branco Tomovic) abgedrückt haben, bleibt offen.
Foto: ZDF / Christoph Assmann
„Nach eigenem Gesetz“ ist der zweite Film der Thriller-Reihe „Die Jägerin“ mit Nadja Uhl als Berliner Staatsanwältin Judith Schrader. Und wie schon bei der Premiere „Gegen die Angst“ ist die Täter-Seite wenig überzeugend geraten, nicht nur wegen einiger unlogisch wirkender Details. Die Täter-Figuren bleiben weitgehend schablonenhafte Bösewichte. Allein Pit Bukowski hat die Gelegenheit, in seiner Rolle mit inneren Konflikten zu ringen. Emre ist aufbrausend und brutal (und schon bald tot), Dragan ist eiskalt und undurchdringlich. Überhaupt besteht die multikulturelle Rockerbande „Pitbull“ im Grunde nur aus diesen drei Männern – und einem Hund, einem Pitbull natürlich. Dragans ständiger Begleiter ist ein knurrendes Mini-Monster, das aufs Wort hört und sich auf Befehl in alles verbeißt und niemals locker lässt. Autor Robert Hummel und Regisseur Andreas Herzog verzichten zwar auf gängige Rocker-Klischees. Niemand schwingt sich hier breitbeinig aufs Motorrad. Aber was sie stattdessen anbieten, ist eher dürftig. So ist es bezeichnend, dass zwei der insgesamt vier bewaffneten Räuber einfach im Nirwana des Drehbuchs verschwinden.
Foto: ZDF / Christoph Assmann
Die Täter, so ist zu vermuten, werden in der Reihe „Die Jägerin“ bewusst wenig differenziert erzählt, weil es eben nicht darum gehen soll, Verständnis für gebrochene Biographien zu wecken, sondern darum, wie frech die Organisierte Kriminalität den Rechtsstaat herausfordert – und wie überfordert Polizei und Justiz in ihren muffigen Büros sind. Das ist legitim, hat aber teilweise auch einen bitteren Beigeschmack. So spielt Judith Engel zwar die Anwältin des Teufels herrlich kaltblütig und verachtenswert, aber die Darstellung von Rechtsanwälten als reine Erfüllungsgehilfen des Verbrechens ist natürlich problematisch. Ziemlich plakativ auch die Figur des Oberstaatsanwalts Welz (Sebastian Schwarz), der Judith Schrader gerne kurz angebunden auf dem Flur abwimmelt. Robert Hummel, der auch als Schöffe am Berliner Landgericht arbeitet, schreibt sich hier wohl den Frust von der Seele.
Foto: ZDF / Christoph Assmann
Gleichzeitig ist aber der zweite Film der Reihe auch ein packender, emotional enorm aufgeladener Thriller-Stoff rund um eine von Nadja Uhl herausragend gespielte weibliche Titelrolle. Staatsanwältin Schrader musste bei der Premieren-Folge gleich zu Beginn den Tod ihrer großen Liebe und später auch noch den ihrer Kronzeugin hinnehmen – beide Opfer der Clan-Kriminalität. Den Schmerz darüber legt Nadja Uhl ausschließlich in ihre Blicke, sie spielt die Juristin ansonsten extrem beherrscht und zurückgenommen. Nahezu ungerührt nimmt sie vor Gericht den Freispruch der drei „Pitbull“-Mitglieder zur Kenntnis, die Anna Liebrecht auf dem Gewissen haben. Mit ebenso zäher wie leiser Beharrlichkeit stemmt sie sich gegen das eigene Ohnmachtsgefühl und bewahrt trotz der persönlichen Verluste einen neutralen Blick: Als die Leiche von Emre gefunden wird, beginnt sie, in den eigenen Reihen zu ermitteln, gegen die beiden Zivilfahnder, die als erste am Tatort waren: Patrick Odonkor (Malick Bauer) und Michael Pollmann (Jörg Schüttauf).
Für positive Gefühle sorgt Schraders Bündnis mit Kommissar Jochen Montag, den Dirk Borchardt erneut sehr erfrischend als kernigen Berliner mit Herz und Schnauze spielt. Die sich weiter vertiefende Freundschaft zwischen Staatsanwältin und Polizist bietet gewissermaßen auch dem Publikum emotionalen Rückhalt. Mit dem ebenfalls beeindruckend aufspielenden Schüttauf als erfahrenem, aber desillusioniertem Zivilfahnder liefert sich Schrader einige prägnante Wortduelle über das Versagen des Rechtsstaats, aber den schönsten Satz hat Autor Hummel dem Kommissar ins Skript geschrieben: „Wir sitzen nicht bei ,Wünsch Dir wat‘, sondern bei ,So isset’“, bringt Jochen Montag das Dilemma einer schlecht ausgerüsteten, im Kampf gegen das Organisierte Verbrechen überforderten Polizei berlinernd auf den Punkt.