Das Urteil ist kurz und vernichtend: „Seifenoperdramen im Urlaubsparadies“, heißt es in einer angesehenen Programmzeitschrift über den dritten Teil der ARD-Reihe „Die Inselärztin“; die Redaktion gibt dem „filmischen Reiseprospekt“ einen Daumen nach unten. Das kann man so sehen, zumal Peter Stauch, der auch die ersten beiden Episoden inszeniert hat, gemeinsam mit Kameramann Felix Poplawsky alles getan hat, um nicht nur Mauritius, sondern auch die Hauptdarstellerin von ihren besten Seiten zu zeigen. Deshalb beginnt „Das Geheimnis“ mit einem fetten Sonnenaufgang und ausführlichen Bikinibildern von Anja Knauer; vermutlich ist der Daumen schon jetzt gesenkt worden. Mit dieser Haltung, die Formate dieser Art grundsätzlich als Eskapismus ablehnt, lassen sich natürlich auch die Dramen, von denen der Film erzählt, ins Lächerliche ziehen.
Man kann „Das Geheimnis“ aber auch anders sehen. Maja und Wolfgang Brandstetter, die bereits die Drehbücher für die ersten beiden Episoden geschrieben haben, betten die in der Tat traumhaften Bilder in eine Handlung, die neunzig Minuten lang fesselt; das Verdikt „Seifenoper“ wird den Geschichten nicht gerecht. Wie schon Teil zwei, „Notfall im Paradies“, so ist auch der insgesamt dritte Film der Reihe über weite Strecken ein Medizinkrimi im Stil von „Dr. House“: Tanja (Amanda Khan), eine Nachbarin von Restaurantleiterin Emi (Dennenesch Zoudé), wird nach einem Autounfall schwerverletzt ins Krankenhaus eingeliefert. Die Bauchwunde ist rasch verarztet, doch dann treten rätselhafte Symptome auf. Hotelärztin Filipa (Knauer) vermutet eine Pilzerkrankung, und auch diese Behandlung scheint erfolgreich, aber dann kehren die Symptome verstärkt zurück. Stauch hat den Kampf um das Leben der Patientin ziemlich spannend inszeniert, zumal Filipa über die Fähigkeit verfügt, medizinische Abläufe vor ihrem geistigen Auge detailliert rekapitulieren zu können; das ist nicht nur eine erstaunliche Gabe, Stauch und Poplawsky sorgen auch für eine angemessene optische Umsetzung. Ein zweiter Erzählstrang ist eher psychologischer als medizinischer Natur: In den Unfall waren ein Vater (Adnan Maral) und sein Sohn verwickelt. Der 17jährige Oliver (Philip Noah Schwarz) gibt sich kämpferisch, leidet in Wirklichkeit aber unter der Trennung seiner Eltern und kann seltsamerweise das halbe Büffet leer essen, ohne auch nur ein Gramm zuzunehmen. Eine dritte Ebene sorgt für tiefe Einblicke in Filipas Seelenleben. Dass die Ärztin vor einem Trauma nach Mauritius geflüchtet ist, war schon in den ersten Filmen deutlich geworden, aber nun lüften die Brandstetters das Geheimnis, als sie überraschenden Besuch von ihrer Schwiegermutter Martina (Suzanne von Borsody) bekommt. Den emotionalen Rahmen für die Dramen bildet Filipas Beziehung zum Klinikarzt. Der ausgesprochen gut gebaute Daniel (Tobias Licht) ist ebenfalls Witwer, aber im Gegensatz zur Kollegin bereit für eine neue große Liebe; und dann endet der Film mit einer völlig verblüffenden Schlusspointe, die alles über den Haufen wirft.
„Die Inselärztin“ wird nie einen wichtigen Fernsehpreis bekommen, aber sie gehört auch nicht in die von Reihen wie „Traumschiff“, „Kreuzfahrt ins Glück“ oder „Traumhotel“ geprägte Kategorie „Fernwehfernsehen ohne Anspruch“. Die medizinischen Details scheinen gründlich recherchiert, die Bildgestaltung ist durchaus anspruchsvoll, die Inszenierung ist eine Klasse besser als in vielen Sonntagsfilme im ZDF, und an der Führung der Schauspieler gibt es nichts auszusetzen. Gelungen ist auch die Zopfdramaturgie des Drehbuchs, das die verschiedenen Ebenen geschickt verknüpft. Als Ergänzung zu den zwischenmenschlichen Dramen und den medizinischen Ermittlungen dienen die Hotelgeschichten: Barkeeper Mike (Tyron Ricketts), inkognito Sohn von Direktor Kulovits (Helmut Zierl), bekennt sich nun auch öffentlich dazu, in Wirklichkeit der Mehrheitseigner der Anlage zu sein. Er will weg vom touristischen Mainstream und dem Hotel ein regionales Konzept verpassen, woraufhin sich sein Vater, Filipas Arbeitgeber, erbittert zurückzieht. Auch dieser Handlungsstrang ist plausibel in die Gesamtkonzeption integriert.
Soundtrack:
„Das Geheimnis“: Oh Wonder („Without You“), Amaury Fondeur („La Bamba”), Foo Fighters („Best of You”), Equador („For Always”), Elliott Smith (“Angeles”). „Die Entscheidung”: Britt Nicole („The Sun is Rising”), Cardi B & Bad Bunny & J. Balvin („I Like It”), Niki Reiser („Lillis Melodie”), Kodaline („All I Want”), Ryan Adams („Wonderwall”), U2 feat. Lykke Li („The Troubles”)
Mainstream ist natürlich auch „Die Inselärztin“, und das nicht nur, weil Stauch die Gespräche gern mit Meerblick führen lässt. Die Reihe ist zwar eine clevere Kombination aus „Emergency Room“ und „Traumschiff“, zumal Ärztin Filippa auch für private Probleme stets die richtige Lösung weiß, aber die Dialoge haben regelmäßig hörbare Schwächen. Knauer und Licht klingen bei ihren Fachsimpeleien jederzeit glaubwürdig, doch meist gibt es irgendjemanden, der das Fachvokabular übersetzt: Filipa diagnostiziert bei Oliver Bulimie, und sein Vater fragt nach: „Magersucht?“. Das wiederholt sich, als Martina mit ihrer Schwiegertochter über den Tod ihres Sohnes spricht und dem Publikum erläutern muss, was ein Aneurysma ist. Natürlich ist nicht jeder Zuschauer entsprechend bewandert, aber solche Erklärungen lassen sich auch deutlich eleganter in die Dialoge einflechten. Zuvor hatte sich Martina mit dem Satz „Ich als deine Schwiegermutter“ vorgestellt. Ähnliche Momente gibt es bei der Musik: Als in Kapstadt das Kreuzfahrtschiff ablegt, mit dem Martina nach Mauritius reist, sorgt Philipp Fabian Kölmel für einen völlig unangemessenen klanglichen Höhenflug, und als Oliver beim Tauchausflug ohnmächtig wird, tut die Musik so, als würde der Junge von einem Rudel Haie attackiert. Einfallslos sind auch die serientypisch eingeführten Szenenwechsel zu Filipas Praxis, die jedes Mal mit einer Aufnahme ihres Praxisschilds beginnen. Aus dem Rahmen fällt dank düsterem Make-up und Nasenring nach wie vor Laborantin Sarah (Anne Bolik), aber immerhin ist sie nicht zuletzt dank ihrer respektlosen Dialoge deutlich interessanter als die meisten anderen Nebenfiguren. Der bedauernswerte Adnan Maral zum Beispiel muss sich als Vater mit Gettofaust und „Digger“-Gerede völlig übertrieben an seinen Sohn ranschmeißen.
Spoiler-Alarm!!! Die folgenden Absätze erst lesen, wenn man Episode 3 gesehen hat
Einige dieser Kritikpunkte gelten auch für die Fortsetzung, „Die Entscheidung“. Davon abgesehen wirkt der zweite Film deutlich dichter, denn er konzentriert sich auf einen zentralen Konflikt, der gleichzeitig emotionales wie auch medizinisches Drama ist: Der Arzt Marius Mantler (Friedrich von Thun) berichtet Daniel von einer Patientin, die vor Jahren ihr Gedächtnis verloren habe, aber nun seien einige Erinnerungen zurückgekehrt. Er hat sie gleich mitgebracht: Es ist Jenny (Inez Bjørg David), Daniels vor acht Jahren spurlos verschwundene Frau. Als Cliffhanger von Teil eins war das ein echter Knüller, zumal Filipa für Daniels 13jährige Tochter Isabelle (Sarah Warth) längst mehr als nur eine große Freundin ist. Behutsam und sehr plausibel schildern Buch und Regie, welche Folgen diese überraschende Entwicklung für alle vier hat: Filipa zieht sich erst mal zurück, Daniel ist hin und her gerissen, Isabelle fremdelt, und Jenny versucht, ihr altes Leben wiederzufinden.
Wirkte „Das Geheimnis“ wegen der verschiedenen Handlungsstränge stellenweise etwas episodisch, so ist „Die Entscheidung“ ein Film wie aus einem Guss, bei dem alles stimmt. Diesmal ist das musikalische Ausrufezeichen völlig angebracht: In einer Szene mit großem Gänsehautfaktor weint Jenny plötzlich blutige Tränen wie ein Madonnenwunder. Gemeinsam mit Mantler diagnostiziert Filipa ein Blutgerinnsel. Das Aneurysma sitzt fatalerweise mitten im Gehirn und ist im Grunde inoperabel, weil enormes Risiko für das Leben der Patientin besteht, aber Jenny will die OP unbedingt. Der von Filipas Fähigkeiten beeindruckte Kollege besteht darauf, dass sie den Eingriff durchführt, aber die Ärztin hat sich nach ihrem Trauma geschworen, nie wieder zu operieren. Das dramatische Ausmaß der Geschichte ist offenkundig, zumal die Dilemmata der vier Beteiligten sehr nachvollziehbar geschildert werden: Daniel liebt Filipa, fühlt sich Jenny gegenüber aber moralisch verpflichtet; Isabelle hat ein schlechtes Gewissen, weil sie ihrer Mutter keine Chance gegeben hat; Jenny spürt, was zwischen Daniel und Filipa ist, und will sich nicht zwischen das Paar drängen; und Filipa muss die Frau operieren, die ihr den Mann wegnehmen wird. Das hätte auch ein tränenreiches Melodram werden können, aber Stauch treibt es nicht zuletzt dank seiner vorzüglichen Arbeit mit den Schauspielern nie auf die Spitze. Angesichts dieser existenziellen Konflikte hat es der zweite Handlungsstrang naturgemäß schwer, einen ähnlichen Stellenwert zu bekommen: Kulovits rettet beim Segeltörn eine ins Meer gestürzte Frau und erleidet kurz drauf einen Herzinfarkt, den Filippa jedoch nicht auf die Anstrengung, sondern auf seinen seelischen Schmerz wegen des Streits mit Mike zurückführt. Der wiederum grämt sich, denn Restaurantchefin Emi will nichts mehr von ihm wissen; sie fühlt sich betrogen, weil er ihr wie auch allen anderen verheimlicht hat, dass er in Wirklichkeit der Chef des Hotels ist.
Stauch sorgt zwar auch diesmal dafür, dass Meer und Himmel zur Geltung kommen, aber die Handlung wirkt insgesamt deutlich dichter. Die Kameraarbeit wirkt ebenfalls aufwändiger. Das gilt vor allem für eine Sequenz, die Mantlers Schilderungen illustriert: Jenny, ebenfalls Ärztin, war während des Erdbebens 2010 als Helferin auf Haiti; die entsprechenden Bilder sind ziemlich imposant. Doch auch einfache Gesprächsszenen verdeutlichen, dass sich Stauch und Poplawsky nicht mit der erstbesten Auflösung zufrieden gegeben haben. Als Filipa mit Kulovits über dessen seelischen Schmerz spricht, wird ihr die eigene Lage bewusst, und irgendwie gelingt es dem Kameramann zu illustrieren, wie sich ihr Gemüt tatsächlich umwölkt. Zu einem bedeutsamen Film wird „Die Entscheidung“ auch durch die Zeichnung der Figuren als Menschen, die ihr Dasein dem Engagement ohne Eigennutz gewidmet haben. Jenny wird auf diese Weise für Filipa zu einer beinahe überlebensgroßen Kontrahentin: Die Hotelärztin macht zwar Hausbesuche bei armen Einheimischen, aber Daniels Frau hat auf Haiti ihr Leben riskiert, um den Erdbebenopfern zu helfen. Mantler ist ohnehin ein Philanthrop, wie er im Buche steht: Er hat eine Stiftung gegründet, betreibt mehrere Kliniken in Entwicklungsländern und macht Filipa ein Angebot, das sie angesichts der jüngsten Ereignisse kaum ablehnen kann. (Text-Stand: 20.12.2018)