Gebären, Sterben, Meucheln
1799, die 19-jährige Gesa macht sich in die Universitätsstadt Marburg auf, die Hebammenkunst zu erlernen. Weil Elgin Gottschalk, eine angesehene Stadthebamme und alte Freundin ihrer verstorbenen Mutter, ihr die Ausbildung verweigert, muss sie im „Gebärhaus“ der Stadt die Voraussetzungen schaffen, um den Hebammeneid ablegen zu können. Hier hat Professor Kilian das Sagen, ein selbstgefälliger Medicus, der unter teils unwürdigen Bedingungen die Vorgänge während der Schwangerschaft und bei der Geburt seinen Studenten und den Hebammen am lebenden Objekt lehrt. Sympathischer ist ihr da schon der Anatom Dr. Clemens Heuser, auch wenn er im Dienste der Wissenschaft Leichen seziert und konserviert. Eine Selbstmordwelle in Marburg verschafft ihm reichlich „Material“ für seine Studien. Der fesche Ehrenmann hat bald ein Auge auf Gesa geworfen und hält um ihre Hand an. Sie willigt ein, muss für die Ehe mit dem standeshöheren Gatten aber ihren Traum vom Hebammenberuf begraben. Derweil herrscht große Angst in der Stadt. Geht etwa ein Massenmörder um? Auch Gesa macht sich Gedanken: Galt der Anschlag auf die Freundin vielleicht in Wahrheit ihr? Und Ist jener Landstreicher Konrad, der Dr. Heuser die Leichen zuführt, nicht nur ein Leichensammler, sondern auch ein Psychopath und Mörder?
Blut ist ein ganz besonderer Saft
Der Sat-1-History-Thriller „Die Hebamme“ nach dem Roman von Kerstin Cantz beginnt als Coming-of-age-Geschichte einer behüteten Tochter, die vom Dorf in eine Universitätsstadt kommt. Dieses Mädchen auf dem Weg zur jungen Frau will sich ein Bild machen von der Welt. Wenngleich sie auch die Liebe entdeckt: es ist keine schöne Welt. Das Umfeld, in dem sie sich behaupten muss, ist geprägt von kalter Wissenschaft und zynischem Standesdünkel, von Neid und Missgunst – überall nur Blut, Tränen und Tod. Gesas Perspektive bestimmt nicht nur die Erzählhaltung des Films; ihre Reinheit wird zugleich zu einer Art Gegenentwurf zur Welt, ihre Menschlichkeit und weibliche Intuition werden zum moralischen Maß der Dinge. Im Fokus stehen die Schrecken der Geburtsheilkunde, bevor sich handfesterer Horror der Geschichte bemächtigt. Blut ist ein besonderer Saft – das gilt für Sujet wie Genre. Deutlich beleben Cantz und Drehbuchautor Thorsten Wettcke das Genre des Schauerromans – ein Vorfahre Jack the Rippers lebt offenbar in Marburg und Vladimir Burlakov macht auf Boris Karloff: Wie im Gruselklassiker „Der Leichdieb“ schleppt der die Leichen an…
Historischer Hintergrund:
Die sogenannten Gebärhäuser dienten bis ins frühe 19. Jahrhundert hinein vorrangig der medizinischen Ausbildung, weniger dem Wohle der schwangeren Frauen. An den Schwangeren – sie waren vornehmlich unverheiratet und von niederem Stand – wurden neue Instrumente wie Zangen, Kopfzieher und Haken getestet. Sie wurden auch zu Kaiserschnitten ohne Narkose überredet, die nahezu immer mit dem Tod der Mutter endeten. Die Medikalisierung machte aus Schwangerschaft und Geburt eine „gesundheitsgemäße Krankheit“ und damit ein Betätigungsfeld für die (meist männlichen) Medizin-Experten, die den bisher zuständigen Hebammen ihre Kompetenzen erfolgreich streitig machten.
Wirkung & Look statt Atmosphäre
Das Hebammenmotiv ist anders als in dem historischen Drama „Die Hebamme – Auf Leben und Tod“ nicht das thematische Zentrum des Films von Hannu Salonen („Verbrechen – nach Ferdinand von Schirach“), sondern bietet vielmehr ein schön schauriges, sinnliches und narrativ stimmiges „Milieu“ für diesen historischen TV-Thriller. Das Motiv mit seiner spezifischen Konnotation „die sanfte Methode der Frauen“ vs. „die menschunwürdigen Praktiken der Männer“ lässt außerdem noch Raum für die nötige Frauensolidarität. Vielleicht ist die weibliche Zielgruppe der Grund, weshalb Produzent Oliver Berben und Regisseur Salonen in Sachen Schrecken und Thrill nicht noch eine Schippe draufgelegt haben. Vielleicht war es ja auch die Furcht, von der FSF für „Die Hebamme“ keine Freigabe für 20.15 Uhr zu bekommen. So führt der dominierende Hebammen-Strang ein wenig in die Irre, wirken die unvermittelt eingestreuten Digitale-Wundertüten- und martialischen Horror-Effekte anfangs wie Fremdkörper in der mitunter ziemlich brav inszenierten und fürs historische Mordsgenre zu hell und zu gefällig ausgeleuchteten Kammerspiel-Optik. Der Mut, auf die Realität – sprich: auf die Lichtquellen der Zeit – zu setzen, wie es beispielsweise das Grimme-Preis-gekrönte ZDF-Hebammen-Drama und zuletzt „Die Pilgerin“ taten, fehlte den Machern offenbar. In der Postproduktion etwas am Look feilen, das kann man machen, das bringt Reizerneuerung und sorgt für kurze Schockmomente, gegen die Atmosphäre des Analogen, die Sinnlichkeit von Licht und Kamera(bewegung) aber kommen solche flüchtigen optischen Tricks nicht an.
Eine Besetzung vom Feinsten
Die größten Qualitäten besitzt dieser 110-Minüter im Bereich des Dramas. Jede Rolle ist nahezu perfekt besetzt. Josefine Preuß macht ihre Sache als Identifikationsfigur und „Filmöffner“ gewohnt gut. Die 28-jährige, 1 Meter 55 kleine Schauspielerin hat spätestens seit „Das Adlon“ einen Erfolgsbonus – man könnte sich aber durchaus auch einmal ein anderes Gesicht in einem jener historischen Entwicklungs-Romane vorstellen. Lisa Maria Potthoff, Alicia von Rittberg, Axel Milberg und Cornelius Obonya gehören in ihrem jeweiligen Fach zu den Besten. Und selbst noch in den kleinsten Rollen sind hochkarätige Schauspieler zu sehen: Nicole Marischka, Michael Kranz, Johannes Silberschneider, Claudia Messner oder Vladimir Burlakov. An dieser mimischen Übermacht liegt es wohl auch, dass man „Die Hebamme“ zunächst mehr als Drama denn als Thriller begreift. Am Ende ist der Film keines von beidem so richtig – und dennoch ist dieser Selbstfindungs-Thriller in modischem Gewand nach Mittelalter-Mär („Die Wanderhure“) und Western („In einem wilden Land“) der gelungenste Versuch von Sat 1, ein großformatiges Kinogenre fürs Fernsehen zu adaptieren.