Alter schützt vor neuen Erfahrungen nicht. So könnte eine Erkenntnis der neuen Episoden der ARD-Freitagsreihe „Die Drei von der Müllabfuhr“ lauten. Werner (Uwe Ochsenknecht), der merkt, wo Unbeweglichkeit und bequeme Gewohnheiten mit Anfang 60 hinführen können, insbesondere wenn man mit einer umtriebigen, kulturell interessierten Frau wie Gabi (Adelheid Kleineidam) zusammen ist, die sich wie aus heiterem Himmel von ihrem Luftikus-Ex (Leander Haussmann) umflirten lässt. Werner muss sich also öffnen für Neues. Vom Kopf her hat er bereits verstanden, wie das neue Jahrhundert tickt: „Frauen liegen oft ja gar nicht so falsch. Man erspart sich viel Ärger, wenn man das tut, was sie sagen“, gibt er in der ersten Episode „Altlasten“ zum Besten. Im zweiten Film, „Arbeit am Limit“, ist es Ralle (Jörn Hentschel), der umdenken muss. Der intellektuelle Müllwagenfahrer sieht so gar keinen Grund, ein Kind in die Welt zu setzen. Ja, mit seinem Unbehagen an der Gesellschaft geht er seinen Kollegen ziemlich auf die Nerven; ein jung Verliebter wie Tarik (Aram Arami) kann sich so viel Pessimismus gar nicht anhören. Natürlich macht es irgendwann klick im Kopf des vergrübelten Ralle. Ausnahmezustand in Berlin: Wasserrohrbruch, Bombenalarm. Und was ist die Antwort? Solidarität im Kiez, Sonderschichten der Müllwerker: Im eigenen Umfeld lässt sich den globalen Katastrophen also eine Menge Lebenswertes entgegensetzen.
Foto: Degeto / Hagen Bogdanski
Die Unterhaltungs- und Wohlfühlfilme haben seit Jahrzehnten vorzugsweise dieses kleine Glück im Visier. In den letzten Jahren ist diese Gattung von Filmen – zumindest thematisch – realistischer geworden. Nicht Schicksalsschläge oder böse Menschen, die die Gier treibt, erzeugen Konflikte; es sind gesellschaftliche Probleme, rücksichtslose, oft allerdings läuterbare Egoisten, die einem das Leben schwer machen. „Die Drei von der Müllabfuhr“ geht – das lässt sich nach zehn Episoden sagen – noch einen Schritt weiter als vergleichbare Reihen. Verdeckten Ochsenknecht und sein freundlicher Helfer auf allen Berliner Straßen in den ersten Episoden noch das Ensemble und die Gemeinschaft, die zwar propagiert, aber vor lauter Glorienschein kaum sichtbar wurde, fand die Reihe mehr und mehr zu ihrem Kern: ein vielfältiger Großstadtmikrokosmos, der die Problemzonen des sozialen Zusammenlebens in Berlin zeigt und dabei unweigerlich gesellschaftlich relevante Zeitthemen aufgreift. Privates und Öffentliches, Psychologisches und Soziales halten sich klug die Waage; die Lösungen bewegen sich allerdings eher konventionell im Alles-wird-gut-Modus des Genres. Je tiefer und breitflächiger die Filme in die Stadt, den Kiez, eintauchen, je mehr kleine Geschichten eingefangen werden und je weniger die Themen lautstark propagiert werden, umso angenehmer geraten die einzelnen Episoden.
Dementsprechend geradezu vorbildlich ist „Arbeit am Limit“. Für einen Tag ist in Berlin die Hölle los. Eine widerspenstige Fliegerbombe bringt den Alltagstrott der Menschen durcheinander. Viele sind ohne Wasser, einige müssen evakuiert werden, und so wird Gabis Späti zur Notfallzentrale für die Nachbarschaft. Aber auch die Routen der Müllabfuhr müssen ständig überarbeitet werden, ja sogar der alte Kowalski (Axel Werner) wird reaktiviert, denn der kennt Berlin wie seine Westentasche („Vergiss Google!“). Auch wenn Werner & seine Kollegen an diesem Tag ein- und angespannt sind wie sonst selten, so findet der Käpt’n sogar noch Zeit, sich eines orientierungslosen Zeitgenossen anzunehmen, der ihn offenbar an seinen Vater erinnert und ein altes Schuldgefühl wiederbelebt. Dass der alte Boris (Udo Samel), der drei Mal schwarzgefahren ist, keine Briefe öffnet und auch sonst das moderne Leben nicht mehr auf die Reihe kriegt („Das ist alles so kompliziert“), haben seine Mahnbescheide einen Schuldenberg von über 4000 Euro angehäuft. Klar, dass sich Werner dieses Mannes annehmen muss, und klar, dass die Solidarität siegen wird und dass sogar noch ein engagierter Anwalt vom Himmel fällt. Das klingt nach dem üblichen Wohlfühlplot. Doch wie das Ganze konstruiert, emotional aufgeladen („Mensch, Papa, du musst!“) und von Udo Samel gespielt wird, das hat Klasse. Und weil in dieser Episode so viel anderes gleichzeitig passiert, relativieren sich die einzeln möglicherweise klischeehaft wirkenden Geschichten und fließen stimmig zusammen. Während in anderen Unterhaltungsfilmen häufig ein Weniger an Themen und Problemen mehr wäre, ist es bei dieser Geschichte (Buch: Gernot Gricksch) umgekehrt: weil alles aus einer einzigen kollektiven Ausnahmesituation erwächst.
Foto: Degeto / Hagen Bogdanski
Dagegen erscheint „Altlasten“ wie ein herkömmlicher Themenfilm der leichten Gangart. In den privaten Geschichten häufen sich die Beziehungsprobleme: zwischen Werner und Gabi, zwischen Tarik und Annika (Laura Louisa Garde) und zwischen dem Müllabfuhrchef Dorn (Rainer Strecker) und seiner neuen Nachbarin Mona (Julia Jäger). Und im sozialen A-Plot geht es um ein Thema, das hier wortwörtlich auf der Straße liegt: illegale Müllentsorgung, giftiger Sondermüll inklusive. Um das „Loslassen“ von persönlichem Krempel, der ja noch zu was gut sein kann, sich also verkaufen, verschenken oder legal wegschmeißen lässt, geht es im B-Plot. Einige moralische Binsen („Das muss doch den Leuten endlich mal bewusstwerden, dass so was Konsequenzen hat – für uns alle“) und eine bis ins Detail vorhersehbare Dramaturgie mindern ein wenig den Unterhaltungswert der ansonsten von Hagen Bogdanski fast gleichermaßen flüssig inszenierten Episode. Auch die Besetzung mit Dirk Martens (entgegen seines früheren Images), Leander Haussmann und Julia Jäger kann sich sehen lassen; letztere wird jedoch durch ein arg simples Konfliktmuster in ihren Möglichkeiten gebremst. Umso überraschender die Szenen mit Müll-Vize Gerald (Martin Glade), dessen Team-bildende Atemmeditation unter den Müllwerkern gar nicht mal so sehr belächelt wird.
Ein weiteres Alleinstellungsmerkmal von „Die Drei von der Müllabfuhr“ ist das Prinzip des Gegenargumentierens. Immer wieder darf Ralle Gegenpositionen zu kleinbürgerlichen Vorurteilen einnehmen: früher häufig im Vorbeigehen, wenn ihm die Ignoranz oder Unwissenheit seiner Kollegen zu dumm wurde. In „Arbeit am Limit“ ist seine Kritik grundsätzlicher, da er sich direkt von der Schlechtigkeit der Welt bedroht fühlt und mit dem Vaterwerden hadert. Damit fördert Jörn Hentschels Ralle als zweitwichtigste Figur der Reihe Toleranz, bringt Vorurteile augenzwinkernd zum Purzeln und relativiert vor allem auch die bisweilen allzu blauäugigen Anschauungen des Käpt’n und kontert dessen Gemeinplätze. „Das ist das Leben. Dinge passieren manchmal so, einfach so“, sinniert Werner. Und Ralle kontert konsterniert, etwas lauter als gewohnt: „Ganz starke Analyse. Werner David Precht. Ganz philosophisch, toll. Hilft mir, sehr.“ (Text-Stand: 7.9.2023)
Foto: Degeto / Hagen Bogdanski