Zum ersten Mal ist eine Frau im ZDF-Freitagskrimi „Die Chefin“. Katharina Böhm spielt Vera Lanz, eine selbstbewusste Frau, die gerne lächelt, wenig redet und abwarten kann, um im nächsten Moment umso energischer vorzupreschen. Sie muss den Laden zusammenhalten: hier die Münchner Mordkommission, dort ihre Familie, bestehend aus ihrer halbwüchsigen Tochter Zoe, die wie ihre Mutter Vieles besser weiß – und ab und zu ist auch noch der anstrengende Schwiegervater zugegen. Vor vier Jahren verlor die Polizistin ihren Ehemann. Auch er war bei der Polizei. Er wurde erschossen von einem italienischen Kollegen. Mehr als Andeutungen werden in der Auftakt-Episode „Enthüllung“ nicht gemacht. Bis zur vierten Folge zieht sich das Rätsel um Veras Mann. War er korrupt? Weiß sie etwas? Verdrängt sie?
„Der Dauerdienst will übergeben“, heißt es beiläufig in einer der ersten Szenen der neuen einstündigen Serie, die das ZDF als Reihe tituliert. Übergeben an die Lanz-Truppe, den ehrgeizigen und zwischenmenschlich äußerst forschen Jan Trompeter (Stephan Rudolf) und den gefrusteten, ewigen Kriminalassistenten Paul Böhmer (Jürgen Tonkel). Auch der das Konzept entwickelnde Autor Ortun Erkener übergibt quasi sich selbst den Staffelstab für die neue Krimiserie. Sein letztes Großprojekt war „KDD – Kriminaldauerdienst“. Vom modernen Zuschnitt der Grimme-Preis-gekrönten Kultserie ist in „Die Chefin“ wenig zu sehen. Das ZDF rudert – wie zu erwarten war – zurück in Sachen Innovation. Doch die Etablierung eines durchgängigen Nebenerzählstrangs hebt die Serie angenehm von der Krimikonfektionsware ab. Man spürt auch, dass sich die Hauptfiguren dem Zuschauer erst nach und nach erschließen werden. Unerklärlich bleibt nach 60 Minuten, was die Kommissarin wohl geritten hat, als sie Kollege Böhmer mit voller Wucht ins Gesicht schlägt und sich danach nicht einmal entschuldigt. Ihr Lächeln ist danach von den Wangen gewichen. Da ist Potenzial erkennbar, da steckt noch etwas mehr hinter der Fassade, die eingangs typisch münchnerisch glänzt.
Was im Zeitalter von arbeitslosen Schauspielern nichts Neues ist: Serien und Reihen können sich erstklassige Darsteller leisten. Fest im Team neben Böhm, die in den letzten Jahren viel, nach dem „Nachtschicht“-Ausstieg aber nur wenig Bemerkenswertes drehte, sind Jürgen Tonkel (immer eine Bereicherung!) und Stefan Rudolf (jung, sympathisch – und doch ist da mehr) als Mitarbeiter, Nicole Marischka (unverbrauchtes Arthaus-Gesicht) als Pathologin und Vertraute der Lanz’, Stephan Kampwirth (Schauspieler Marke unauffällig gut) als Staatsanwalt, der eine Affäre mit der Kommissarin hat, Olga von Luckwald (auffallend hübsch) als Lanz-Tochter und der große Alte, Hermann Beyer als der Schwiegervater. 1-A-Mimen stehen auf der Gästeliste: Fritz Karl, Alexander Held, Juliane Köhler, Gudrun Ritter, Melika Foroutan, Inka Friedrich, Harald Schrott oder Sophie von Kessel. Grund genug, anzunehmen, dass „Die Chefin“ noch einige Asse im Ärmel hat. Auch wenn sich die Macher augenzwinkernd in der Startfolge vor „Derrick“ verneigen, bleibt zu hoffen, dass die Storys nicht zu schickimickihaft werden und die Regisseure und Kameraleute sich nicht zu sehr von der Helle Münchens und dem (weiß)blauen Himmel über der Isar-Metropole anstecken lassen.