„Masuren-Krimi“-Fans kennen die emotionale Last, mit der Kriminaltechnikerin Viktoria Wex (Claudia Eisinger) durchs Leben geht. Ihr Mann starb im Polizei-Einsatz. Sein Tod blieb ungeklärt. Es nagt an ihr. Jeder der bisher fünf Episoden verschränkte einen aktuellen Fall mit diesem horizontalen Background. In „Blutgeld“ gelingt das mal mehr, mal weniger gut. Zu Beginn mit dementer Tante und inhaftiertem Onkel ins Haus zu fallen, könnte Neu-Einsteiger eher abschrecken. Das Kümmer-Gen, das hier zum Tragen kommt, steht der weiblichen Hauptfigur auch nicht wirklich. Geschmeidiger und dabei spannender gelingt die Verzahnung von Vergangenheit und Gegenwart, wenn Wex bei der Räumung des Party-Bootes einer ehemaligen Kollegin aus Berlin begegnet. Johanna Berger (interessant: Bea Brocks), die sich jetzt Daria nennt, leugnet Wex zu kennen. Bei jeder Begegnung blitzt es in beider Augen, jedes Treffen lässt Wex ratlos zurück. Ausgerechnet sie, die sonst jede Reaktion eines Gegenübers analysieren kann, jede Gefühlsregung sachlich zu erklären weiß. Viktoria Wex ist ein Zwitterwesen aus intuitivem Reflex, wissenschaftlich-sachlicher Erklärungsgabe und Fluchtimpuls, wo es um ihr eigenes Seelenheil geht. Ihre Begegnungen mit dem „Phantom“ Johanna Berger geschehen auf Augenhöhe und sorgen in „Blutgeld“ für Spannung. So kompliziert Wex, so nahbar ihr Kollege Leon Pawlak. Sebastian Hülk verkörpert sehr viel mehr als den üblichen Dorfpolizisten. Pawlak ist weder doof noch bauernschlau. Er ruht in sich und vertraut auf seine Beobachtungsgabe. Seine Erkenntnisse behält er, im Gegensatz zu Wex, für sich. Autor Olaf Kraemer verhilft der Figur zu noch mehr Komplexität und Hülk versteht es, Nähe und Distanz zu seiner Kollegin entsprechend dieser Vorgaben auszuloten. Gemeinsam mit Pawlaks Ex-Frau, der Kommissarin Zofia (Karolina Lodyga) und einer gemeinsamen Tochter agiert im Kommissariat ein überzeugendes Ensemble.
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Plakativer dagegen schippern die Nebenrollen vorbei. Als Boss einer Bande, die mit gefälschten Medikamenten das große Geld macht, taucht Stipe Erceg eher wie die Karikatur eines Ganoven aus dem Schiffsbauch auf. Ihr wollt den Gangster? Ihr kriegt den Gangster. Mit dieser Geste hat Erceg sichtlich Spaß an seinem Part. Sein Auftritt macht aber auch klar, dass es an Bord nicht mehr um ausgefeilte Charaktere geht. Bodyguards, D-Jane und Tanzgemeinde bilden eine wabernde Kulisse, vor der im weiteren Verlauf einzig Escort-Girl Aga (Clara Devantié) Gelegenheit bekommt, verschiedene Gesichter zu zeigen. Viktoria Wex hat in dem Mädchen schnell das schwächste Glied im Reigen der drogenaffinen Feierbiester erkannt. Noch bevor sich Wex und Pawlak in die Ermittlungen stürzen können, nimmt ihnen allerdings ein beliebter TV-Krimi-Standard das Heft aus der Hand. Ein Fax (!) vom LKA Berlin erteilt Weisung, die Ermittlungen einzustellen. Der Tote vor Ort wird als Kollateralschaden verbucht, die Sicherheit einer verdeckten Ermittlung gehe vor. Natürlich lässt sich Victoria Wex – die Füße immer in dicken Boots, die Arme gern vor der Brust verschränkt – davon nicht schrecken. Die Ermittlungen gehen weiter, der Zugriff erfolgt dem Masurenversprechen gemäß auf dem Wasser.
Imposantester Drehort des fünften Masuren-Falls ist der Elblaski-Kanal, bei dem Schiffe über einen Berg mit einem Höhenunterschied von rund hundert Metern gezogen werden. Das ist jetzt nicht wie im peruanischen Dschungel von „Fitzcarraldo“, aber es ist ein Angebot, das Regisseurin Frauke Thielecke zu nutzen weiß. Immer wieder rückt sie die Räder und Seilwinden der alten Konstruktionen ins Bild. Da weht ein Hauch von Nostalgie, da drehen aber vor allem Räder, die alles zermalmen, was ihnen in die Quere kommt. Auch am Rande des Bootsanlegers dreht sich (nach Anschlussfehler kurz vor Minute 10) ein schweres Mühlrad. Vor der Kontrolle der meuternden Party-Gesellschaft fällt der Blick von Victoria Wex als erstes auf das mahlende Rad. Neben diesen Motiven wartet „Blutgeld“ mit vertrauten Bildern auf. Kamera und Drohne fangen die Landschaft als blanken, weiten Wasserspiegel mit wehenden Schilfgürteln ein. Musikalisch wie immer dezent begleitet, hauchen raschelndes Laub und abendliche Froschkonzerte der Szenerie natürliche Begleitgeräusche ein. Nach innen geht es durch unverschlossene Türen mit splitterndem Lack. Idyllisch ist das mit alter Schiffsschaukel und Garten am See, eher trist an den Fassaden und mehrmals überlackierten Türen im Kommissariat. Hier wie dort kündet die Szenerie davon, dass sich hier wohlfühlen kann, wem die Uckermark schon zu restauriert und gentrifiziert erscheint.
Bildgestaltung und Ausstattung machen so auch den fünften Masuren-Fall sehenswert. Das Duo Wex-Pawlak bleibt in Bewegung. Claudia Eisinger und Sebastian Hülk schaffen den Wechsel von Nähe zu Intimität zu erneuter Distanz ohne einen peinlichen Moment. Damit steht alles auf einer verlässlichen Basis. Funkeln wird „Der Masuren-Krimi“ aber erst, wenn man dem Duo auch komplexe Fälle gönnt. Reihen, die ständig zwischen Krimi und Gefühl balancieren gibt es viele. Es wäre verschenktes Potenzial, wenn auch der Masuren-Krimi zu sehr in Richtung Gefühl kippen würde. (Text-Stand: 30.1.2024)
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