Als Agrarwissenschaftlerin an einem universitären Versuchsinstitut hat Ellen Bischoff gerade einen guten Lauf. Daher passt es ihr so gar nicht, dass sie auf dem Hof ihres verwitweten Vaters, der nach einem Schlaganfall im Krankenhaus liegt, aushelfen muss. Außerdem hat sie sich mit diesem Dickschädel, der ihre Methoden der ökologischen Landwirtschaft stets ablehnte, zuletzt nicht besonders gut verstanden. Und auch in Bezug auf ihr Liebesleben hat die alte Heimat Schrammen bei ihr hinterlassen. Doch was muss, das muss – und so hängt sie sich rein, wie sie es schon vor Jahren so gern gemacht hat, als der Vater drauf und dran war, ihr den Hof zu übergeben. Sie hat Pläne, mit denen sie hofft, den Alten doch noch von mehr Ökologie überzeugen zu können. Doch der Milchhof arbeitet längst nicht mehr rentabel und ist hoch verschuldet. Und ausgerechnet die Person, die über die Existenz von Anton Bischoff entscheidet, wird getrieben von blinder Eifersucht und ist auf Ellen schlecht zu sprechen.
Die Inhaltsangabe von „Der Geruch von Erde“ klingt wie ein mit ökologischen Motiven leicht aufgepepptes klassisches Heimatfilm-Melodram: eine Heimkehr nach Jahren, in der Vergangenheit geschlagene Wunden, nachtragende und argwöhnische Menschentypen, (melo)dramatische amouröse Verflechtungen. Doch der Film bedient alles andere als die gängigen Muster des Feld-Wald-Wiesen-Genres. Diese Produktion im Auftrag der Degeto setzt auf Zwischentöne in den Situationen, im Spiel, in der Inszenierung – und erzählt so eine ganz andere, sehr viel tiefgreifendere, existentiellere Geschichte, als es der bloße Plot verspricht. Die Konflikte fallen nicht mit der Tür ins Bauernhaus. Alles wird hoch visuell aufgelöst. Kurz nach Ellens Rückkehr gibt es eine Szene im Supermarkt. Ein Mann steht ihr gegenüber. Die Blicke, die Körpersprache deuten an: das muss ein Verflossener sein. Die Abwehr der Vertrautheit ist spürbar. Und da ist noch eine zweite Frau, die beide beobachtet: Sie muss die Neue des Ex sein. Zu ihr sagt jemand wenig später: „Lässt sich Philipp manchmal wegen Florian sehen?“ Jetzt weiß man: diese Frau ist die Ex vom Ex („15 Jahre haben wir es versucht…“) und sie haben ein Kind zusammen. Das Spiel mit Blicken, mit Nähe und Distanz und die kluge Informationsvergabe gehören zu den großen Qualitäten des Films.
Die Erde lässt sich zwar nicht riechen, wie der Titel nahelegt, aber sehen und erspüren lässt sich so manches aus der Gefühlswelt des Films in seinen eindrucksvollen, nie ausgestellt wirkenden Bildern. Das zu den Charakteren passend wortkarge, ökonomisch erzählte Drehbuch von Anne-Kathrin Schulze und Andreas Pflüger gibt Regisseur Marcus Ulbricht die perfekte Vorlage für diesen „anderen“ Heimatfilm. Der Zuschauer kann sich nach und nach selbst erschließen, wie die Menschen, Ellen, ihr Ex, ihre Schwester, ihr Vater und ihre Kontrahentin, zueinander stehen und wo die emotionalen Knackpunkte liegen. Auch die Heldin ist keine Frau, die sich gern etwas sagen lässt. Zuletzt eine Frau der Theorie, versucht sie, ihre verlorene Welt wieder zu begreifen, zu erfassen, mit den Augen, mit den Händen und den Füßen. Ulbricht findet dafür eine hoch sinnliche Filmsprache, die unwesentliche Momente wegschneidet und bei aller Emotionalität eine schöne Alltäglichkeit entwickelt. So entsteht ein flüssiger, unaufgeregter Erzählrhythmus, der wunderbar auch zum Sujet des Films passt.
Die Heldin, aber auch alle anderen Figuren, machen keine großen Worte. Entsprechend kurz und knapp sind die Dialogsätze. Klare Ansagen, die neben der „Inhaltsebene“ auch viel „Beziehungsebene“ mittransportieren. „Ich will da nicht hin“, sagt Ellen vor ihrer Fahrt ins Allgäu. „Ich weiß, dass du nicht gern auf meine Hilfe angewiesen bist. Lass uns das Beste draus machen“, lautet ihr Friedensangebot am Krankenbett. „Hau nur ab, wie du es immer machst“, hält ihr die Schwester vor. „Dein vollkommen überholtes Frauenbild kotzt mich an“, darin gipfelt ein kurzer Disput zwischen Tochter und Vater nach dessen Entlassung aus dem Krankenhaus. Die Figuren haben ihren eigenen Kopf, sie sprechen aus, was sie denken, sie gehen in den Konflikt und lassen sich nicht vom Schicksal (der Dramaturgie) bevormunden.
Fazit: „Der Geruch von Erde“ ist ein moderner Heimatfilm, der zeigt, wie viel Gefühl – ohne dabei ins offen Melodramatische abzudriften – sich mit Landschaft erzählen lässt, wenn die Dramaturgie stimmt, wenn sich der Regisseur der Möglichkeiten des Mediums bedient und wenn man fünf großartige, für ihre Rollen bestens gecastete Schauspieler (allen voran Maria Simon, Sebastian Bezzel & Annika Kuhl) zur Verfügung hat. (Text-Stand: 18.12.2013)