Marie hat es satt, dieses ewige Kämpfen, diese Treueschwüre gegenüber dem König, das Schlachtengetümmel, in das sich die kriegsgeilen Männer voller Überzeugung stürzen. Die ehemalige Wanderhure und jetzige Frau von Hohenstein steht kurz vor ihrer zweiten Niederkunft. Ausgerechnet jetzt wird ihr Mann Michael zum Ersten Ritter geschlagen – und es steht gleich ein schicksalsträchtiger Feldzug gegen das mächtige Heer der Tataren an. König Sigismund setzt auf seinen besten Ritter. Derweil wird die hochschwangere Marie von der machtbesessenen Hulda von Hettenheim und ihren Schergen in einen Hinterhalt gelockt, entführt und in Ketten gelegt. Nach der Geburt ihres Sohnes gibt ihre Rivalin, des Königs Lieblings-Mätresse, das Kind als das ihre aus. Marie entgeht knapp dem Tod, wird Sklavin von Khan, dem weißen Ziehsohn des Tatarenfürsten. In der Steppe seines Reiches arbeitet sie sich stolz und mutig von der niedersten zur höchsten Frau empor: der Adlerfrau.
Foto: Sat 1 / TV60 / Jiri Hanzl
„Das Vermächtnis der Wanderhure“, das klingt nach Abgang, Sat 1 kündigt denn auch den dritten Teil des Überraschungserfolgs als „den furiosen Höhepunkt der TV-Saga“ an. Mit aufrechtem Gang – nur ein einziges Mal widerwillig in der Horizontalen – geht die junge Mutter ihren Weg, vorbei an blutigen Hinterhalten und mitten durch eine teuflische Intrige. Es ist ein visionärer Weg, Marie von Hohenstein verspricht, die Heilsbringerin zu werden, die Frau, die die blutige Fehde zwischen Abend- und Morgenland befriedet, die dem barbarischen Blutrausch ein Ende setzt. Die ganz große Schlacht bleibt aus. Gut für das Geldsäckchen des Senders, gut aber auch für den Zuschauer. Die Stärken dieser bewusst romantisch verkitschten Mittelalter-Mär liegen nun einmal nicht in den Bild gewordenen wilden Allmachtsphantasien rustikal verkleideter Mannsbilder, sondern im edlen Weitblick der schönen Heldin und im tödlichen Tunnelblick ihrer nicht minder schönen Widersacherin. Alexandra Neldel ist das Herz dieses zweistündigen Abenteuerfilms, in dem Kettenhemden und königliches Wams zunehmend orientalischen Gewändern weichen. Julie Engelbrecht ist der Körper, der die Intrigen antreibt – ihre Hulda kämpft mit den „Waffen der Frau“, entfacht die Wollust der triebgesteuerten Führer und erhofft sich so ein Höchstmaß an weiblicher Macht. Und zwei weitere Frauen sind entscheidend auf Maries Weg zum Frieden. Da ist ihre Freundin und Betreuerin ihrer Tochter, die sanfte Hiltrud, gespielt von Nadja Becker, und die farbige Alika, lange Zeit die erste Frau im Harem des Tatarenfürsten. Florence Kasumba verleiht ihr Power, Magie und erotische Ausstrahlung. Alika wird zur stillen Beschützerin der Heldin.
Foto: Sat 1 / TV60 / Jiri Hanzl
Soundtrack: Rea Garvey („Rise before you fall“), Nolwenn Leroy („Take me back“)
Die Männer in „Das Vermächtnis der Wanderhure“ sind dagegen eher Staffage. Teils liegt es an jener Story, die aus ihnen Tölpel macht und bereits im Angesicht des dunkelsten Mittelalters das Zeitalter der starken Weiber ausruft, teils liegt es am Kostüm, teils liegt es an den Schauspielern in diesem Kostüm. In einem Genre, das sich im vermeintlich „realistischen“ Medium Fernsehen immer haarscharf an der Grenze zur Lächerlichkeit bewegt, macht sich das Bild holder Weiblichkeit einfach sehr viel besser als hölzernes Schwertergeklirr. Deshalb ist es auch gut, dass dieses so genannte „Event-Movie“ auf die großen kriegerischen Ereignisse verzichtet und den Wettlauf des länger, größer, teurer etc. nicht mitmacht. Ein Grenzgänger zwischen den archetypischen Positionen der Geschlechter ist Maries Michael von Hohenstein: Er will eigentlich wie seine Frau, aber er muss wie sein König befiehlt. Bert Tischendorf spielt ihn entsprechend weicher, sensibler als beispielsweise ein Götz Otto seinen tumben König. Auch die Sätze, die er sagen darf, sind weniger martialisch. „Ich zieh in den Krieg und lass mich erschlagen“, sagt er, als er hört, dass Frau und Kind tot sind. Doch den Verbalwettkampf gewinnt eindeutig die Heldin. Klar ihre Ansagen: „Niemals war ich jemandes Eigentum.“ Klug ihre Aussagen: „Wer nichts glaubt, ist auch nirgends zu Hause.“
Foto: Sat 1 / TV60 / Jiri Hanzl
TV-Movies wie die „Wanderhuren“-Trilogie treten nicht an, Fernsehpreise zu gewinnen. Sie sind nicht vergleichbar mit den Krimis, Komödien, Dramen und Romanzen, die einem sonst tagtäglich im Fernsehen begegnen. Selbst Fans des Genres werden einige Zeit brauchen, bis sie sich in das Mittelalter-Ambiente von Sat 1 eingefunden haben. Wenn die stolze Heldin unter den elegischen Klängen ins Tatarenreich entführt wird, die gestelzten Berserker-Dialoge und den viel zu sauberen Schmutz hinter sich lässt, dann beginnt dieser Film erst richtig. Die Weite der Landschaft öffnet den Blick für den Zuschauer, aber auch im Lager der Tataren ist mehr Leben als in den Ritterspielburgen von König Sigismund. Richtig was los ist dort nur in den Betten. Die Produzenten Andreas Bareiss und Sven Burgemeier haben sich inspirieren lassen vom Sex-und-Intrigenspiel amerikanischer TV-Sagas wie „Rom“ oder „Spartacus“.
Trivialität, die zum Kult und irgendwann zum TV-Mythos wird, gab es immer wieder in der Fernseh(film)geschichte. Ein Beispiel sind die ZDF-Weihnachtsvierteiler, alles andere als Sternstunden der Fernsehästhetik, aber in den 60er und 70er Jahren eine Erholung vom sozialkritischen Fernsehspiel. Auch heute, bei Alexandra Neldels schlagender Verbindung aus Kitsch-Mär und Ritter-Saga, in Zeiten der Krimi-Inflation, trifft das Abwechslungsargument. Ob allerdings die „Wanderhuren“-Trilogie – wie „Die Schatzinsel“ oder „Der Seewolf“ – den Sprung zum Fernsehmythos schaffen wird… in zehn Jahren sind wir schlauer!