Vor fast fünfzig Jahren hat die Nasa mit Voyager 1 und 2 eine spektakuläre Mission gestartet, die bis heute als einer der größten Erfolge der Weltraumforschung gilt. Die beiden Sonden haben mittlerweile den interstellaren Raum erreicht und sind längst viele Milliarden Kilometer von unserem Sonnensystem entfernt. Eine mit Gold überzogene Kupferplatte enthält Informationen über die Menschheit und Friedensbotschaften in allen möglichen Sprachen. Natürlich gab es auch pessimistische Kommentare: Eine außerirdische Macht könnte auf diese Weise überhaupt erst auf uns aufmerksam werden und die Erde auslöschen. Im Kino gab es immer beide Varianten der Kontaktaufnahme, wobei die Filme über feindliche Aliens („Independence Day“, „Krieg der Welten“) zumeist spektakulärer waren; in den letzten Jahren sind freundliche Besuche im Stil von Steven Spielbergs Klassiker „Unheimliche Begegnung der dritten Art“ (etwa „Arrival“) deutlich rarer geworden.
Foto: Netflix / Anika Molnar
Nicht nur aus diesem Grund ist „Das Signal“ eine der mutmaßlich größten Überraschungen des Fernsehjahres: Die optische Umsetzung ist spektakulär, die Bilder haben große Kinoqualität, die Handlung könnte in der Tat durch Spielberg beeinflusst sein, zumal eine der drei Hauptfiguren ein hochintelligentes kleines Mädchen ist. Die beste Nachricht ist jedoch, dass die Serie eine deutsche Produktion ist. Jahrzehntelang haben sich hiesige Unternehmen nicht an solche Stoffe gewagt: weil sie viel zu teuer gewesen wären, weil das nötige Know-how für die Umsetzung fehlte und weil Kino wie auch Fernsehen die Konkurrenz zu Hollywood fürchteten; ein Vergleich, den die vier Episoden nicht eine Sekunden lang zu scheuen brauchen. Im Rahmen eines deutschen Kinofilms hätten Nadine Gottmann und Sebastian Hilger ihre Vision jedoch mangels entsprechender Finanzen nie auf diese Weise realisieren können; das war erst dank Netflix möglich.
Tatsächlich entspricht gerade die Rekonstruktion der Raumstation den Dimensionen einer internationalen Großproduktion; allein das Szenenbild (Eva-Maria Stiebler) ist preiswürdig. Das gilt erst recht für Gottmanns Drehbücher, an denen auch Hauptdarsteller Florian David Fitz beteiligt war: weil dem Team das Kunststück gelungen ist, Handlungen, die sich auf verschiedenen Zeitebenen ereignen, so miteinander zu verknüpfen, dass sie sich gegenseitig zu bedingen scheinen. Auch die Geschichte ist einzigartig, zumal sie in ganz anderem Licht erscheint, wenn man weiß, dass Gottmann ihre Idee unter dem Eindruck der Asylproblematik im Jahr 2015 hatte: Nach drei Monaten auf der ISS kehrt Wissenschaftlerin Paula (Peri Baumeister) zur Erde zurück, sehnsüchtig erwartet von Ehemann Sven (Fitz) und der neunjährigen Carlotta. Die hochbegabte Tochter spürt früh, dass bei der Landung der Kapsel in Chile irgendwas nicht stimmt. Kurz drauf wird aus der Ahnung furchtbare Gewissheit: Das Flugzeug, mit dem Paula und ihr Kollege Hadi (Hadi Khanjanpour) nach München fliegen, verschwindet vom Radar.
Foto: Netflix / Anika Molnar
Bruchstückhafte Mitschnitte aus dem Cockpit legen die Vermutung nahe, dass Paula etwas mit dem Absturz der Maschine zu tun hat. Zuvor hatte sie Sven mehrere mysteriöse Nachrichten zukommen lassen. Außerdem sind die vermeintlichen Live-Bilder aus Chile mit Interviews der Besatzung in Wirklichkeit zeitversetzt übertragen worden. Svens Versuch, Paulas Rätsel zu lösen, konfrontiert ihn alsbald mit mächtigen Gegenspielern. So viel findet er immerhin heraus: Seine Frau hat in der ISS eine Entdeckung gemacht, die den Lauf der Geschichte verändern wird. Möglicherweise ist Voyager in der Tiefe des Raumes auf einen Adressaten gestoßen (der Arbeitstitel der Serie lautete „Hello“), aber irgendjemand hat um den Preis von knapp 180 Menschenleben verhindert, dass Paula ihre frohe Botschaft verkünden kann.
Die Geschichte ist originell, die Bildgestaltung (Jan Prahl) nicht zuletzt wegen der exzellenten Lichtarbeit ausgezeichnet, die Musik (Michael Brook) großes Kino. Kunstvoll ist auch die handwerkliche Kombination der Zeitebenen: Ein Widerschein in Svens Gesicht leitet in eine Kirmesszene über, als Paula im Spiegelkabinett eine Panikattacke hatte. Später stößt Sven auf die versteckten Psychopharmaka, die sie eigentlich nehmen soll; als Psychotikerin wäre sie jedoch nie für den Flug zur ISS zugelassen worden. Besonders reizvoll ist der Kontrast zwischen der funktionell und maximal auf Effizienz ausgerichteten High-Tech-Raumstation und dem gemütlichen Holzhaus der Familie, zumal diese beiden wichtigsten Schauplätze auch die Persönlichkeiten repräsentieren: hier die rationale Paula, dort der analoge Sven, der nicht mal ein Smartphone besitzt.
Die unbedingte Lust aufs Weiterschauen, die jede Streaming-Serie anstrebt, verdankt „Das Signal“ ohnehin den drei zentralen Figuren: Auch dank der Gesamtlänge von rund vier Stunden bekommen sie die nötige Tiefe, zumal Hilger und Ko-Regisseur Philipp Leinemann die Drehbücher von Fitz und Gottmann (Koautorin: Kim Zimmermannn) mit viel Empathie und Feingefühl umgesetzt haben. Eine eminent wichtige Rolle spielt dabei Yuna Bennett, die auch mit den schwierigsten Dialogen der außerordentlich klugen Carlotta keinerlei Probleme hat. Das Mädchen ist taub, kann aber mit Hilfe einer ausgeklügelten Technik hören und daher auch sprechen. Die Familie hat nur wenige Szenen zu dritt, doch sie genügen, um eine tiefe Verbundenheit zu vermitteln. Gleiches gilt für Fitz, der schon während der Buchentwicklung als Hauptdarsteller feststand, und Peri Baumeister: Sven und Paula sind durch ein Band verbunden, das Zeit und Raum überbrückt. Weitere Schlüsselrollen spielen Meret Becker als BKA-Kommissarin, die die Seiten wechselt, Sheeba Chadha als indische Mäzenin von Paulas Mission, Katharina Schüttler als ihre Assistentin sowie Katharina Thalbach als mysteriöse Helferin von Vater und Tochter, die dem Geheimnis schon länger auf der Spur ist.