Das Geheimnis der Freiheit

Sven-Eric Bechtolf, Selge, Orlac, Zahavi. Und doch ein widersprüchlicher Charakter

Foto: WDR / Wolfgang Ennenbach
Foto Thomas Gehringer

Zwei Männer und die Gespenster des Krieges: Berthold Beitz, der mächtigste Mann im Krupp-Konzern, engagiert den Historiker Golo Mann, damit der ein Buch über den verstorbenen Krupp-Chef Alfried von Bohlen schreiben möge. „Das Geheimnis der Freiheit“ (WDR, Degeto / Zeitsprung Pictures, Trebitsch Entertainment) ist ein etwas anderes Biopic. Drehbuch-Autor Sebastian Orlac nähert sich der Persönlichkeit Beitz über dessen Umgang mit den schrecklichen Erinnerungen aus dem zweiten Weltkrieg. Ein allzu glattes, scheinbar jeden Widerspruch auflösendes Bild von diesem eigenwilligen Industrie-Manager, der Hunderte von Juden vor Deportation und Tod bewahrt hatte, wird vermieden. Spannend auch die Dialoge zwischen Beitz und Golo Mann, herausragend gespielt von Sven-Eric Bechtolf und Edgar Selge. Dem Film mangelt es allerdings etwas an dramatischen Höhepunkten und Wendungen, die auch die zahlreichen Szenen mit verschiedenen Prominenten nicht ersetzen können.

Berthold Beitz, der die Nachkriegsgeschichte des Krupp-Konzerns über Jahrzehnte prägte, wird dem Publikum nicht gerade als Sympathieträger vorgestellt. Bei einem Interview mit zwei Journalisten in einer Bar auf Sylt schlägt die gute Stimmung jäh um, als einer der Reporter eine Passage aus einem vermeintlichen Schlüsselroman über Beitz zitiert, Will Trempers „Das Tall-Komplott“. Da fordert Benjamin Bach, die Hauptfigur des Romans, seine Sekretärin auf: „Mach’s mir schon.“ Sie antwortet: „Ich bin doch keine Hure.“ Beitz (Sven-Eric Bechtolf) wird ärgerlich und bricht das Interview ab, und obwohl er die Stelle eigentlich ganz lustig findet, wie er daheim seiner Frau Else (Judith Rosmair) verrät, will er gleich zum Telefonhörer greifen, um den Verleger von der Herausgabe dieses Buches abzuhalten. Zu Beginn der 1970er Jahre muss Beitz wegen machohaften Umgangs mit seiner Sekretärin keineswegs um seinen Ruf fürchten. Er sorgt sich eher um die Existenz des wirtschaftlich angeschlagenen Krupp-Konzerns, dessen Wohl und Wehe ihm der verstorbene Alfried Krupp von Bohlen und Halbach anvertraut hatte. Dem will Beitz nun mit einem „eigenen Buch“ ein Denkmal setzen, und weil Else gerade Golo Manns „Wallenstein“-Biografie liest, kommt er auf die Idee, den renommierten Historiker als Autor zu verpflichten.

Das Geheimnis der FreiheitFoto: WDR / Wolfgang Ennenbach
Die von den Nazis abtransportierten Juden in Boryslaw gehen Berthold Beitz (Sven-Eric Bechtolf) noch immer nach, vor allem seine Sekretärin Anna (Maya Gorkin).

Umständlicher Umweg über Will Trempers Roman
Es ist nicht ganz einleuchtend, warum der Umweg über den Tremper-Roman gewählt wurde, um die beiden Hauptfiguren des Films zusammen zu bringen. Vom „Tall-Komplott“ wird nie wieder die Rede sein, außerdem kann man einem „Spiegel“-Artikel aus dem Jahr 1973 entnehmen, dass Will Tremper die Behauptung mancher Kritiker zurückwies, es handele sich um einen Schlüsselroman über Berthold Beitz. Wie auch immer, zwingend ist dieser Beginn nicht. Vielleicht steigt der Film aber auch deshalb damit ein, weil „Halbstarken“-Autor Tremper damals mit dem WDR eigentlich einen Fernsehfilm vereinbart hatte – eine Fiktion über eine mögliche Banken-Verschwörung gegen Krupp Ende der 1960er Jahre –, sich dann aber auf den Roman konzentrierte. Die aktuelle WDR/Degeto-Auftragsproduktion wiederum geht auf eine Initiative von WDR-Programmdirektor Jörg Schönenborn zurück, was ernsthaft im Presseheft vermeldet wird. Schönenborn hatte sich offenbar ein klassisches Biopic über das Leben des Berthold Beitz gewünscht, zeigt sich nun aber „dankbar“, dass „Das Geheimnis der Freiheit“ „nicht der Film geworden ist, den ich ursprünglich anstoßen wollte“.

Beitz nimmt die Auszeichnung von Yad Vashem erst 17 Jahre später an
Tatsächlich hätte die Beitz’sche Biografie locker Stoff für einen üppigen Mehrteiler hergegeben. Es ist die Stärke des Drehbuchs von Sebastian Orlac, nicht ein ganzes Leben chronologisch abzuarbeiten, sondern sich der Persönlichkeit Beitz im Hinblick auf die existenziellen Erfahrungen im Zweiten Weltkrieg zu nähern. Orlac konzentriert sich nicht von ungefähr auf die Jahre zwischen 1973 und 1990: Diese 17 Jahre sind die Zeitspanne zwischen dem Anruf der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem, die den damaligen Leiter der Krupp-Stiftung als „Gerechten unter den Völkern“ ehren wollte, und der späten Annahme der Auszeichnung durch Beitz, der als Geschäftsführer eines Unternehmens im besetzten Polen Hunderte Juden vor Deportation und Tod bewahrt hatte. Dem Film-Beitz ist die Auszeichnung 1973 unangenehm: „Ja, wir haben Juden gerettet, aber nicht um dafür einen Preis zu bekommen, schon gar nicht in aller Öffentlichkeit“, sagt er. Die sicher nicht weit hergeholte Behauptung des Films lautet: Beitz hat auch Jahrzehnte später noch darunter gelitten, dass er nicht mehr Menschen vor dem Holocaust retten konnte.

Das Geheimnis der FreiheitFoto: WDR / Wolfgang Ennenbach
Kein glatt poliertes Porträt. Der Charakter bleibt widersprüchlich. Krupp-Manager Beitz (Bechtolf) reist 1974 mit einer deutschen Wirtschaftsdelegation in den Iran. Sein Ziel ist es, den Schah von Persien für eine Beteiligung an Krupp zu begeistern.

Machtlosigkeit als traumatische Erfahrung im zweiten Weltkrieg
Mehr noch: Die Erfahrungen in Polen werden zum entscheidenden Antrieb für sein ganzes späteres Wirken. In einer Schlüsselszene schildert Beitz Golo Mann (Edgar Selge), wie die Menschen in den Deportations-Zügen um Hilfe geschrien hatten („Herr Direktor Beitz, holen Sie mich raus“). Er habe aber „nur ein paar“ retten können. „Wenn Sie das gesehen haben, dann wollen Sie soviel Macht, wie Sie nur haben können“, sagt Beitz, der im Film dennoch eine widersprüchliche Figur bleibt. Dessen Verehrung für den verstorbenen Alfried, der gute Geschäfte mit den Nazis gemacht hatte, Zwangsarbeiter einsetzte, nach dem Krieg verurteilt und enteignet, bald aber wieder begnadigt wurde, scheint groß. Wie kann das sein angesichts der Erschütterungen, die die Erfahrungen in Polen bei Beitz ausgelöst haben? Im Dialog zwischen Beitz und Golo Mann wird das zum Thema, und der Film legt nahe, dass es auf Seiten Beitz‘ eine gewisse Dankbarkeit gegeben haben mag, weil Alfried ihm „die Kraft, die in Krupp steckt“, übertragen hat. Aber insgesamt vermeiden Orlac, Regisseur Dror Zahavi und der famose Darsteller Sven-Eric Bechtolf, der die anfangs etwas künstlich wirkende Berthold-Beitz-Maske rasch vergessen lässt, ein allzu glattes, scheinbar jeden Widerspruch auflösendes Bild von diesem eigenwilligen, impulsiven, bisweilen schroffen Industrie-Manager.

Das Geheimnis der FreiheitFoto: WDR / Wolfgang Ennenbach
Das Ehepaar Beitz. Frauen spielen notgedrungen in diesem Film mit zwei männlichen Hauptprotagonisten nur Nebenrollen. Judith Rosmair und Sven-Eric Bechtolf

Zwiegespräch zwischen zwei Männern – Frauen bleiben nur Nebenrollen
Zahavi sagt: „Die Erwartung, dass ein Regisseur, Drehbuchautor oder Schauspieler durch die Arbeit an einem Film das Wissen und die Fachkompetenz besitzen, eine genaue Bewertung der porträtierten Personen zu treffen, ist meiner Meinung nach falsch. Wir werden dadurch nicht zu Instanzen der absoluten Wahrheit. Auch ein Film über historische Persönlichkeiten wie Beitz und Mann muss zuerst als Kunstwerk für sich funktionieren. Sonst hätten wir uns für einen Dokumentarfilm entschieden.“ Dem kann man nur zustimmen, dennoch hat oft gerade die fiktionale Inszenierung einen besonders prägenden Einfluss auf das Bild, das sich die Öffentlichkeit von einer historischen Persönlichkeit macht – allein schon weil sie zumeist mehr Zuschauer erreicht als Dokumentarfilme. Und weil sie viel stärker auf emotionale und dramatische Momente und Zuspitzungen setzt und setzen darf. Orlac und Zahavi gehen damit in „Das Geheimnis der Freiheit“ vergleichsweise zurückhaltend um. Den Film bestimmt zum einen das intellektuelle Zwiegespräch zwischen Beitz und Golo Mann, hochdramatische Höhepunkte oder Wendungen gibt es eher wenige. Zum anderen ist im Grunde ein gewisses Vorwissen notwendig, denn viele historische Zusammenhänge wie die Bedeutung des Krupp-Konzerns, auch seine Verstrickung in den Nationalsozialismus, fließen nur in groben Zügen mit ein. Und wer von der Familie Mann noch nie etwas gehört hat, wird die greise Katia (wunderbar: Ernie Mangold) einfach nur für eine kranke, despotische Mutter halten. Frauen spielen in diesem Film mit zwei männlichen Hauptprotagonisten notgedrungen nur Nebenrollen. Dass dann aber zahlreiche Stewardessen in Mini-Röcken durchs Bild marschieren (auch 1990 noch), erscheint doch etwas unzeitgemäß und unbedacht.

Das Geheimnis der FreiheitFoto: WDR / Wolfgang Ennenbach
Im Jahr 1977 reist Bundeskanzler Helmut Schmidt (Bernhard Schütz) nach Polen und besucht Auschwitz. Auch Berthold Beitz (Sven-Eric Bechtolf) gehört zur Delegation.

Die Frau mit zwei Koffern ist Beitz‘ Gespenst aus der Vergangenheit
Ansonsten paradieren auch viele prominente Zeitgenossen vorbei, was den Film ein wenig fragmentarisch wirken lässt, aber zugleich Beitz‘ großes Selbstbewusstsein veranschaulicht. Beitz kanzelt Dresdner-Bank-Chef Jürgen Ponto und den neuen Krupp-Geschäftsführer Heinz Petry ab, spricht forsch das persische Kaiserpaar an, redet unverblümt mit Erich Honecker und fragt Bundeskanzler Helmut Schmidt, wie er das Terrorjahr 1977 durchgehalten habe. Mit den Erben der Familie liegt er über Kreuz: Alfrieds jüngerer Bruder Berthold (Michael Benthin) und Alfrieds Sohn Arndt (Anian Zollner) haben jeweils schillernde Auftritte. Im Zentrum stehen aber nicht die Familie Krupp oder die Ereignisse der 1970er Jahre, auch nicht der Iran-Deal von Beitz, sondern das Trauma der Kriegsgeneration und die Unfähigkeit insbesondere der Männer, sich mit dem Erlebten auseinanderzusetzen oder gar darüber zu reden. Beitz tagträumt von einer Frau mit zwei Koffern – ein Gespenst aus der Vergangenheit, das ihn immer wieder einholt und mit jeder Vision schärfer wird. In Golo Mann findet er einen Gesprächspartner auf Augenhöhe, der ihn herausfordert, dem er sich anvertraut und den er schließlich doch brüskiert. Zwei Männer aus einer Generation, aber mit unterschiedlichen Erfahrungen. Hier der aus einfachen Verhältnissen stammende, mächtige Manager, der Zeuge des Terrors im Osten wurde; dort der gelehrte Historiker aus einer berühmten Schriftsteller-Familie, der die Nazizeit im Exil verbrachte und unter seinem Über-Vater litt. Ihre Gespräche, die Orlac basierend auf achtstündigen Tonaufnahmen aus dem Golo Mann Archiv in Bern geschrieben hat, sind spannende Reflektionen über das Nachkriegsdeutschland, die Bedeutung von Freiheit und die Notwendigkeit des Erinnerns. Davon hätte es ruhig mehr geben können – gerne auch zu Lasten der Szene, die Beitz‘ Erinnerung an die Deportationen visualisiert. Seine verbale Schilderung der Ereignisse ist erschütternd genug, und solche Bilder, die den realen Schrecken nicht einmal im Ansatz zu erfassen vermögen, hat man schon zu oft gesehen.

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Fernsehfilm

ARD Degeto, WDR

Mit Sven-Eric Bechtolf, Edgar Selge, Judith Rosmair, Erni Mangold, Michael Benthin, Anian Zollner, Adrian Zwicker, Andreas Schröders, Christian Hockenbrink, Bernhard Schütz

Kamera: Gero Steffen

Szenenbild: Gabriele Wolff

Kostüm: Elisabeth Kraus

Maske: Nadia Homri

Schnitt: Fritz Busse

Redaktion: Nina Klamroth (WDR), Christine Strobl (Degeto)

Produktionsfirma: Trebitsch Entertainment, Zeitsprung Pictures

Produktion: Katharina M. Trebitsch, Till Derenbach, Michael Souvignier

Drehbuch: Sebastian Orlac

Regie: Dror Zahavi

Quote: 2,97 Mio. Zuschauer (9,8% MA)

EA: 15.01.2020 20:15 Uhr | ARD

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