Es ist aller Ehren wert, wie abwechslungsreich und überraschend die ARD-Tochter Degeto den Freitagabend mittlerweile gestaltet. Dass ein vielschichtiger Film wie „Brezeln für den Pott“ eine männliche Hauptfigur hat, kam früher zwar auch schon vor, doch dann gab es an der Seite des Helden garantiert eine gleichberechtigte weibliche Hauptrolle. Hans-Jochen Wagner aber ist ohne jede Einschränkung die zentrale Figur dieser Geschichte über den Schwaben Roland Reuter, der von seiner Stuttgarter Backwarenfirma ins Ruhrgebiet geschickt wird, um die dortige Niederlassung aus den roten Zahlen zu holen. Gattin Sybille (Tscharre) ist Lehrerin und hat keine Ambitionen, ihren Mann ins graue Duisburg zu begleiten.
Natürlich lebt der Film vom Zusammenprall zweier scheinbar unvereinbarer Kulturen, zumal das Drehbuch von Peer Klehmet und Franz Müller die Klischees hingebungsvoll auf die Spitze treibt: hier der sparsame Schwabe, der selbst beim Wasser für die Zimmerpflanzen sparen will, dort die geselligen Einheimischen mit polnischen Fußballernamen wie Abramczik (Schalke / Dortmund) oder Grabowski (der allerdings für Eintracht Frankfurt gespielt hat), denen der ständig Chef-Floskeln von sich gebende neue Geschäftsführer viel zu emsig ist. Die gemütliche Ruhrgebietsmentalität widerspricht zwar dem im Revier gepflegten Malochermythos, aber der im grauen Frühwinter gedrehte Film reduziert die Gegend auch optisch auf Klischeebilder von maroden Stahlwerken und rauchenden Schloten. Selbstredend spielt auch der Fußball eine Rolle, schließlich befindet sich das Back-Werk im Ortsteil Meiderich, der Heimat des MSV Duisburg. Viel wichtiger für Reuters vorsichtige Assimilierung ist jedoch der Taubensport: Nachdem er ein besonders erfolgreiches „Rennpferd des kleinen Mannes“ überfahren und heimlich entsorgt hat, beschafft er reumütig Ersatz und lässt sich als neues Mitglied des Zuchtvereins „Kehre wieder“ eintragen.
Foto: Degeto / Willi Weber
Soundtrack: CCR (“Fortunate Son”), Frank Sinatra (“Let it Snow”)
All das klingt nach einem sympathischen Ruhrpottpendant zu den sonst meist in Oberbayern angesiedelten Heimatkomödien, aber die Vorzeichen sind hier völlig andere: Die Geschichte ist nicht lustig, die Gegend ist nicht schön, die Hauptfigur kein automatischer Sympathieträger und ihr Darsteller zwar nicht unattraktiv, aber sicher kein Frauenschwarm. All das aber macht „Brezeln für den Pott“ als Sozialkomödie äußerst sehenswert. Hans-Jochen Wagner, in Krimis gern als Verdächtiger und in Dramen nicht selten als schurkischer Antagonist besetzt, gelingt außerdem ein kleines darstellerisches Kunststück: Er spielt den Abgesandten aus der Konzernzentrale zwar als typisch schwäbischen Bruddler (das Gegenstück zum bayerischen Grantler), vermittelt dabei aber stets das Gefühl, auch Reuter schlüpfe bloß in eine Rolle, um die etwas trägen Angestellten auf Trab zu bringen; in Wirklichkeit sei er eigentlich ein netter Kerl. Die Szenen, in denen er das zeigen darf, haben allerdings Seltenheitswert, was durchaus riskant ist, denn anders als beispielsweise ein typischer Grantler-Darsteller wie Fritz Wepper genießt Wagner keinerlei Sympathievorschuss. Bei den lautstarken und unangenehm überzeugend wirkenden Poltereien vor der Belegschaft wippt er auch noch auf den Zehen wie weiland Franz Josef Strauß bei seinen Wahlkampfauftritten. Andererseits erweist sich Reuter in den Szenen mit seiner halbwüchsigen Tochter als liebenswürdiger Vater. Deshalb empfindet man durchaus Mitgefühl, als der bodenständige Schwabe glaubt, seine Gattin habe ein Verhältnis mit einem kunstsinnigen und zudem noch gut aussehenden Kollegen (Ben Braun).
Großen Anteil an der authentischen Wirkung der Figur hat der ausgeprägte schwäbische Dialekt Reuters (Wagner stammt aus Tübingen), der die Diskrepanz zu den Menschen in Duisburg naturgemäß noch mehr betont. Gleiches gilt für die akustisch und darstellerisch ähnlich glaubwürdigen Eingeborenen (unter anderem Katharina Abt als Reuters lebenslustige Sekretärin und Aykut Kayacik als Wortführer des Taubenzüchtervereins). Regisseur des Films ist Matthias Steurer, dessen frühere Degeto-Filme ebenfalls schon aus der Reihe fielen (allen voran „Zimtstern und Halbmond“, 2010, und „Fünf Tage Vollmond“, 2009). Auch „Brezeln für den Pott“ entwickelt seine Qualität nicht zuletzt durch die Zwischentöne und die kleinen Ironien am Rande. Und der Ruhrpott-Blues von Michael Klaukien und Andreas Lonardoni sorgt für die passende melancholische Stimmung. (Text-Stand: 30.9.2014)