Weshalb ausgerechnet ein Hospiz? Warum gerade ich? „Der Tod ist der Feind des Lebens, er ist einfach widerlich.“ Fritjof Huber entrüstet sich – aber es hat keinen Sinn. Der Architekt, der statistisch gesehen die Hälfte seines Lebens noch nicht erreicht hat, wehrt sich vergeblich gegen den Auftrag, ein Aufmaß in einem Münchner Sterbehospiz zu machen. „Sie sind der Richtige, sie haben etwas Einfühlsames“, sagt seine Chefin mit freundlicher Bestimmtheit. „Sie sind nicht der Typ, der kündigt“, kontert sie wenig später, als Fritjof kurz mit dem Gedanken spielt, die Brocken hinzuschmeißen. Nur mit einer der beiden Einschätzungen wird sie Recht behalten. Der ornithologisch interessierte Romantiker, der sonst jede Veränderung ablehnt, ist bei der neuen Aufgabe bald mehr mit dem Herzen dabei, als seiner Chefin lieb ist.
Foto: BR / Jürgen Olczyk
„Blaubeerblau“ erzählt von einem Mann, der erst mit dem Sterben Erfahrungen machen muss, bevor er mit seinem eigenen Leben beginnen kann. „Um das Leben zu begreifen, hilft unserem Helden das Sterben“, betont Regisseur Rainer Kaufmann. Fritjof Huber ist ein Eltern-Söhnchen – noch mit Mitte 30 bringt er die Bügelwäsche zu Muttern und mit seiner Freundin Marie liebt er es unverbindlich. Heimischer als im Leben der Menschen fühlt er sich in der Welt der Vögel. Er ist zufrieden mit seiner Beobachterrolle. Und auch bei seiner Arbeit im Hospiz geht er der Realität des Hauses zunächst aus dem Weg – bis ihm Hannes begegnet: ein ehemaliger Mitschüler, damals der coolste Typ der Klasse, heute hat er Pankreaskrebs im Endstadium. Fritjofs Unbeholfenheit weicht einem mitfühlenden Interesse an Hannes, aber auch an Frau Fahrenholtz, die ihm ihren selbstgemachten Blaubeerwein kredenzt. Auf diese selbstbewusste Alte scheint der sanfte „Herr Fritte“ einen großen Eindruck zu machen. Aber auch auf Sabine, die Schwester des Todgeweihten, in die Fritjof während der Schulzeit unglücklich verliebt war. Damals hatte er keine Chance mit den fettigen Haaren (Spitzname „Fritte“), heute hat der sich lange vor dem Leben Drückende plötzlich passende Antworten auf die schwierigsten Fragen des Lebens: Wie geht man mit dem Tod eines Freundes, wie vor den Augen des Sterbenden mit der eigenen Trauer um? Und wie kann man ihn gehen lassen?
Soundtrack: Billy Idol („Eyes without a face“), Keren Ann („As Tears go by“), ELP („Lucky Man“), Sinead O’Connor („Nothing compares to you“), Marc Almond („Something’s gotten hold of my Heart“), Johnny Cash
Foto: BR / Jürgen Olczyk
„Warum gerade ich, warum soll ich so ein Thema bearbeiten?!“, fragte sich – ähnlich wie die Hauptfigur – die Drehbuchautorin Beate Langmaack. „Ich hatte anfänglich große Berührungsängste.“ Am Ende war es auch für sie eine erfahrungsreiche, erkenntnisträchtige Reise. „Sich mit dem Sterben zu befassen heißt, sein Leben noch einmal neu zu begreifen“, so die Grimme-Preisträgerin. Als eine Tragikomödie über das Sterben, die Lust auf das Leben machen möchte, hat Langmaack im Auftrag des BR, „Blaubeerblau“ konzipiert. Diese fein gesponnene Dialektik, getragen vom überragenden Duo Devid Striesow und Stipe Erceg, der für seinen Sterbenden den Hessischen Fernsehpreis bekam, ist der Atem dieses Films.
Die Sterbebegleitung durch einen skurrilen Vogelkundler ist nicht das Einzige, was einen anfangs stutzen lässt. Aber gerade der Verzicht darauf, aus dem Film das große Schluchzen zu machen, gibt ihm seinen Eigen-Sinn und seine tiefe Wahrheit: „Bevor ich das Gebäude betrat, wusste ich nicht, was mich erwartet. Umso erstaunter war ich darüber, wie schön die Räume gestaltet waren, wie heiter die Mitarbeiter miteinander umgegangen sind und wie oft gelacht wurde – auch und gerade in Gesprächen mit den Gästen“, erinnert sich Meyer-Burckhardt an jenen Besuch eines Freundes in einem Hospiz, der die frühe Initialzündung zum Film(wunsch) gab. Dass Fritjof das Sterbehaus mit einem Lachanfall betritt, ist noch als eine Art Übersprunghandlung zu sehen. Erst mit den Gästen, die mehr als simplen Galgenhumor an den Tag legen, lernt der sonst ebenso korrekte wie skurrile Architekt einen lockereren Umgang mit dem Sterben. „Der Film ist komisch und gleichzeitig ernst und traurig“, betont Kaufmann, der schon bei dem preisgekrönten Sterbedrama „Marias letzte Reise“ die richtigen Töne traf. Langmaack brachte diese reizvolle Spannung auf ein Bild: finale Sterbegleitung mit Kuh – mit einem schönen Gefühl soll Hannes sterben, mit einem vielschichtigen „Gefühl“ wohnt der Zuschauer dieser Sterbeszene bei. Für Kaufmann wirkt Devid Striesow wie Monsieur Hulot im Sterbehaus. Am Ende bewegt er sich anders als in den ersten Bildern als unterdrückter, leicht zwanghafter Angestellter. Sichtlich befreit macht er sich auf zur Beisetzung mit Blaubeerernte. Jetzt hüpft er fast vor Glück. (Text-Stand: 22.10.2012)